Ein Tatort wird Pilgerziel

Luthers Entführungsstelle im Luthergrund mit Denkmal
© epd-bild / Norbert Neetz
Bisher erinnerte nur das Lutherdenkmal im Luthergrund bei Stadt Bad Liebenstein an die Entführung des Reformators. Nun wird die "Thüringer Schleife" eröffnet, die den"Lutherweg 1521" um ein weiteres Thüringer Teilstück zwischen Möhra bis zu Luthers Entführungsstelle (Bild) erweitert.
Lutherweg um Teilstück erweitert
Ein Tatort wird Pilgerziel
Eine ganze Region feiert eine Entführung: Am 4. Mai 1521 wurde Martin Luther bei Bad Liebenstein aus seiner Kutsche gezerrt und auf die nahegelegene Wartburg gebracht. Am heutigen Samstag (5.5.23) wird dieser Ort offizieller Teil des "Lutherwegs 1521".

Ralf Luther ist den Weg schon gegangen. Im September 2021 hat sich der ehemalige Landrat des südthüringischen Kreises Schmalkalden-Meinungen mit einigen Freunden auf die rund 360 Kilometer lange Reise von Worms nach Eisenach gemacht. An Bord einer Elektrokutsche folgte er jener historisch verbürgten Route, die der Namensvetter und Reformator Martin Luther (1483-1546) zwischen dem 26. April und dem 3. Mai 1521 bei seiner Rückkehr vom Reichstag in Worms nach Mitteldeutschland genommen hatte.

"Keine Minute dieser einzigartigen Erfahrung" möchte Ralf Luther selbst zwei Jahre danach missen. "Wir haben so viele Gespräche auf dem Weg geführt, so viele Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen gehabt", sagt der heute 71-jährige. Die Impulse hätten ihm völlig neue Denkanstöße vermittelt, ganz so wie es wohl schon seit Jahrhunderten den Pilgern in der Welt ergehe.

Dabei war die Tour als Werbefahrt gedacht gewesen. Die Reisegesellschaft wollte Aufmerksamkeit herstellen, um die Aufnahme der sogenannten "Thüringer Schleife" in den "Lutherweg 1521" herbeizuführen. "Luther kam am 3. Mai 1521 in Eisenach an und übernachtete dort, bevor er am darauffolgenden Tag seinen Onkel im nahe gelegenen Möhra besucht hat", sagt Marcus Malsch.

Der Stadtrat aus dem westthüringischen Liebenstein hat drei Jahre daran gearbeitet, die Wegstrecke von Luthers Verwandten-Ausflug zum offiziellen Bestandteil der Pilgerstrecke zu machen - und das mit gewichtigen Argumenten.

"Bei uns in Liebenstein, im abgelegenen Glasbachgrund, ist Luther dann auf dem Rückweg nach Eisenach entführt worden", sagt Malsch. Dieser Tatort gehöre einfach zum Pilgerweg dazu. Ohne diese Entführung hätte Luther auf der Wartburg das Neue Testament nicht ins Deutsche übersetzt, ist Malsch überzeugt. Die Reformation hätte wahrscheinlich einen anderen Verlauf genommen.

Der Verein "Lutherweg in Hessen" zeigte sich offen für den Vorschlag. Er hatte die Pilgerstrecke 2017 ins Leben gerufen. Als einziger der bundesweit fast schon inflationär ausgewiesenen Lutherwege folge dieser Weg einer historisch verbürgten Reise Luthers, die noch dazu den Lauf der Geschichte verändern sollte, sagt Vereinschef Bernd Rausch. Denn Luthers Reise zum Reichstag nach Worms markiere den Gipfelpunkt der Auseinandersetzung zwischen dem Reformator und seinem Kaiser Karl V. (1500-1558).

Der mächtige Kaiser hatte den Augustinermönch nach Worms befohlen. Der sollte dort seine als ketzerisch empfundenen Thesen widerrufen. Doch Luther weigerte sich und machte sich auf den Rückweg nach Wittenberg. Er wusste, dass er am Ende dieser Fahrt als vogelfrei gelten würde und jedermann ihn festnehmen, wenn nicht gar erschlagen könnte.

"Wir sind dankbar für die Initiative der Thüringer", sagt Rausch. Im Grunde sei die Thüringer Schleife vor sechs Jahren nicht sofort mit in den Pilgerweg aufgenommen worden, weil den Hessen schlicht die Kontakte nach Thüringen fehlten. Denn irgendwer habe ja Kosten und Mühen für die Beschilderung, die Arbeiten längst des Weges und die Auswahl der Pilgerstationen aufbringen müssen. Da hätten Ansprechpartner wie Malsch und Luther gefehlt.

Trotzdem hat es gedauert, bis nun an diesem Samstag die Thüringer Schleife mit einer Wanderung von Möhra bis zu Luthers Entführungsstelle im Glasbachgrund offizieller Teil des Lutherwegs 1521 wird. Das lag vor allem daran, dass die Dinge heute auch nicht weniger kompliziert sind als vor 500 Jahren. Genehmigungen mussten eingeholt und Sponsoren gefunden werden. Und dann hatte das Landratsamt noch die falschen Schilder in Auftrag gegeben.

"Egal", sagt Malsch. "Ende gut, alles gut", heißt es beim Lutherverein. Und der ehemalige Landrat Ralf Luther will jetzt herausfinden, ob er nicht nur auf Martin Luthers Spuren gewandelt ist, sondern vielleicht mit ihm sogar verwandt ist.