TV-Tipp: "Wolfswinkel"

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29. März, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Wolfswinkel"
Der Stein des Anstoßes wiegt schätzungsweise eine Tonne und steht plötzlich mitten im Dorf: Der Findling soll an die gefallenen Soldaten im Zweiten Weltkrieg erinnern.

Das ist erst mal nichts Ehrenrühriges. Ungefähr zur gleichen Zeit hat sich jedoch ein besonders seltener Fall von Straßenraub ereignet: Ebenfalls quasi über Nacht ist das Kopfsteinpflaster eines Waldwegs verschwunden. Der Bürgermeister hat es kurzerhand ausgraben und verkaufen lassen, um die leere Kasse der brandenburgischen Gemeinde aufzufüllen; dabei ist die Straße vermutlich einst von Zwangsarbeitern aus dem nahen Konzentrationslager Sachsenhausen gebaut worden.

Die beiden Vorfälle mögen auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben, aber sie sind die sichtbaren Symptome einer unguten Entwicklung, die sich schleichend vollzieht: Wolfswinkel rückt nach rechts; und darum geht es in diesem Film. Das klingt zunächst nach Klischee: Ostdeutschland, Provinz, Rechtsradikalismus. Davon ist das vom WDR beauftragte Drama jedoch zum Glück weit entfernt.

Im Zentrum des Drehbuchs von Scarlett Kleint, Alfred Roesler-Kleint und Regisseurin Ruth Olshan stehen drei ehemalige Schulfreundinnen, die vor zwanzig Jahren gänzlich unterschiedliche Lebenswege eingeschlagen haben: Anja (Alina Levshin) ist Lehrerin und hat die örtliche Grundschule gerettet. Daran hatte ein Flüchtlingskind maßgeblichen Anteil, was nicht allen im Dorf gefällt.

Lydia (Claudia Eisinger) ist Schauspielerin und als "Biest" in einer täglichen Serie ein bisschen berühmt geworden. Dass sie nun nach Wolfswinkel zurückgekehrt ist, hat einen Grund, den sie lieber für sich behält. Erzählt wird die Handlung aus Sicht von Polizistin Melanie (Annett Sawallisch), deren beruflicher Alltag mit dem Prädikat "ereignisarm" nur höchst unzureichend beschrieben wäre. 

Mit dem Auftauchen von Lydia aber ändert sich alles: Die Schauspielerin verbreitet in ihrem "Lydieblog" Parolen ("Hol’ dir deine Heimat zurück"), die vor allem bei der unterforderten Dorfjugend auf fruchtbaren Boden fallen. Alsbald hat Lydia eine Gefolgschaft um sich geschart. Anja ahnt als einzige, in welche Richtung sich die Sache entwickelt, aber ihre Warnungen verhallen ungehört: Bürgermeister Elvis Neumann (Jörg Schüttauf) will vor allem Ruhe im Dorf, Melanie fühlt sich der Neutralität verpflichtet.

Als Anja aktiven Widerstand leistet, mit ihrer Klasse den Findling bunt anmalt und schließlich Unterschriften gegen den "Heldengedenkstein" sammelt, verpasst ihr jemand beim nächtlichen Heimweg eine bittere Quittung für ihre Zivilcourage. Jetzt endlich erkennt Melanie, die stets zwischen Anja und Lydia vermittelt hat, dass sie sich für eine Seite entscheiden muss.

Es sind vor allem zwei Besonderheiten, die "Wolfswinkel" auszeichnen: Die als Spielfilmregisseurin bislang noch nicht großartig in Erscheinung getretene Ruth Oshan hat das Drehbuch ohne erhobenen Zeigefinger umgesetzt. Lydia ist zwar die zweifelsfreie Antagonistin, aber die jungen Leute erwecken den Eindruck, als seien sie in erster Linie dankbar dafür, dass die Heimkehrerin ihnen eine Beschäftigung gegeben und aus dem Haus ihrer verstorbenen Tante einen Jugendtreff gemacht hat. Da die Kamera fast immer bei Melanie verweilt, bleibt offen, ob die offenbar abgestürzte Schauspielerin ihr Gefolge auch über den Blog hinaus in irgendeiner Form agitiert. Trotzdem kommt die Botschaft des Films an: Rechtsextremismus ist wie ein Virus, das sich nicht aussitzen lässt und sich immer weiter verbreitet, wenn niemand etwas unternimmt. 

Gleichfalls bemerkenswert ist die Vergabe der Hauptrolle an eine kaum bekannte Schauspielerin, die in so gut wie jeder Hinsicht den Gegenentwurf zu Lydia verkörpert. Dank Annett Sawallisch, Ensemblemitglied am Schauspiel Leipzig, ist Melanie trotzdem eine ziemlich coole Frau, zumal sie die Polizistin mit Selbstironie und trockenem Mutterwitz versieht. Das Drehbuch bietet ihr zudem Spielmaterial jenseits des Handlungskerns: Melanie hat eine Beziehung mit einem verheirateten Polen, der dank der Affäre zeitgleich zum dritten und vierten Mal Vater wird. Ungewöhnlich ist auch der Auftakt, als sie zu den Klängen von "Hold my Hand" (Jess Glynne) durch ihre Wohnung tanzt, was der Film später noch mal aufgreift.

Das erste Drittel wirkt ohnehin wie eine sympathische Provinzkomödie, auch der mittlere Akt ist nicht weiter dramatisch. Der Tonfall ändert sich erst, als die Polizistin nach dem Vorfall mit Anja die Staatsanwaltschaft einschalten will und erkennen muss, dass sie von den Kollegen keinerlei Unterstützung erwarten darf.