Ukrainische Orthodoxe Kirche unter Druck

Gläubige hält ein Gesangbuch bei Ukrainisch-Orthodoxem Gottesdienst
© epd-Bild/Peter Jülich
Gläubige hält ein Gesangbuch bei einem Ukrainisch-Orthodoxen Gottesdienst. Die Kirche steht wegen ihrer Verbindungen zum Moskauer Patriarchat zunehmend unter Druck.
Krieg belastet Kirchengemeinschaft
Ukrainische Orthodoxe Kirche unter Druck
Der Osteuropaforscher Thomas Bremer sieht die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK) in einer bedrängten Situation. Der Kirche werde von den staatlichen Behörden nicht abgenommen, dass sie alle Verbindungen zur Russischen Orthodoxen Kirche abgebrochen hat, sagte der emeritierte Professor für Ökumenik, Ostkirchenkunde und Friedensforschung an der Universität Münster dem Evangelischen Pressedienst. Dies belaste auch die orthodoxe Weltgemeinschaft: "Es gibt zurzeit so eine Art Lähmung in der Orthodoxie."

In welcher Lage befindet sich die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK), die sich im Mai 2022 von der Russischen Orthodoxen Kirche für unabhängig erklärt hat?

Thomas Bremer: Sie befindet sich in einer sehr bedrängten Lage, weil ihr von den staatlichen Behörden nicht abgenommen wird, dass sie alle Verbindungen zur Russischen Orthodoxen Kirche abgebrochen hat. Nach einem Gesetzentwurf, der wahrscheinlich im März vom ukrainischen Parlament verabschiedet werden wird, können Kirchen oder Religionsgemeinschaften, die ihr Zentrum in einem feindlichen Staat im Ausland haben, verboten werden.

Was bedeutet das?

Bremer: Ein im Dezember für verfassungsgemäß erklärtes Gesetz verlangt bereits jetzt, dass die Ukrainische Orthodoxe Kirche sich in "Russische Orthodoxe Kirche in der Ukraine" oder in "Moskauer Patriarchat in der Ukraine" umbenennen muss. Dagegen wehrt sich die Kirche. Sie sagt: Wir haben keine Verbindungen zu Moskau, wir sind eine rein ukrainische Kirche.

Thomas Bremer, Professor für Ostkirchenkunde, sieht die orthodoxe Weltgemeinschaft durch den Ukraine-Krieg gelähmt.

Der Staat hat eine Expertenkommission eingesetzt, die die Beziehungen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche zu Moskau untersuchen sollte und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass sie nach wie vor zur russischen Kirche gehört. Doch diese Kommission war sehr einseitig zusammengesetzt, vor allem aus Anhängern eines Verbots oder einer Umbenennung.

Wie geht es jetzt weiter? Ist eine solche Umsetzung des Gesetzes realistisch?

Bremer: Rein formell gibt es die Ukrainische Orthodoxe Kirche nach dem Gesetz gar nicht als eigenständige Kirche. Es gibt vielmehr rund 12.000 Gemeinden, die beim Staat registriert sind. Die müssten alle einzeln umbenannt werden. Sie können auch kaum verboten werden, das wäre administrativ zu schwierig. Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass der Staat die Leitungszentren, also die Bistümer, die auch registriert sind, verbieten könnte und ebenso die Kirchenleitung in Kiew, also die Verwaltung des Metropoliten.

"Das wäre ein massiver Eingriff in die Religionsfreiheit"

Gibt es denn tatsächlich noch Verbindungen aus der Ukrainischen Orthodoxen Kirche nach Moskau?

Bremer: Es gab in der UOK auch Kollaborateure - einige Bischöfe haben ihre Bistümer verlassen und sind in Russland. Schwierig ist auch die Situation in den besetzten und umkämpften Gebieten, wo es Menschen gibt, die eher auf der russischen als auf der ukrainischen Seite sind. Aber die offizielle Position der Ukrainischen Orthodoxen Kirche ist sehr klar, dass sie nichts mit Russland zu tun haben will. Zwar verweist die staatliche Kommission darauf, dass die Russische Orthodoxe Kirche die UOK als Teil von sich betrachtet. Das kann diese jedoch nicht beeinflussen.

Was würde es bedeuten, wenn sich die Ukrainische Orthodoxe Kirche tatsächlich umbenennen müsste?

Bremer: Das wäre ein massiver Eingriff in die Religionsfreiheit, wenn man einer Religionsgemeinschaft vorschreiben will, wie sie sich zu nennen hat. Das Religionsgesetz der Ukraine ist zwar modifiziert worden, aber im Prinzip ist das noch das alte sowjetische Religionsgesetz von 1991. Dieses sieht eine relativ starke Rolle des Staates vor. Danach müssen sich etwa alle Gemeinden registrieren lassen.

"Moskau und Konstantinopel sind in einer Sackgasse. Ich sehe nicht, wie sie da wieder herauskommen"

Was hätte das für gesellschaftliche Folgen?

Bremer: Was dann passieren würde, ist schwer zu sagen. Man müsste dann, bildlich gesprochen, bei 12.000 Gemeinden das Klingelschild ändern. Wenn dieses Gesetz kommen würde, würde die UOK sicherlich durch alle juristischen Instanzen gehen. Das heißt, es würde sehr lange dauern, mehrere Jahre. Niemand weiß, wie es dann in der Ukraine aussieht.

Wie belasten die Vorgänge in der Ukraine die orthodoxe Weltgemeinschaft?

Bremer: Es gibt zurzeit so eine Art Lähmung in der Orthodoxie, weil keiner sich bewegt. Vermittlungsversuche zwischen Moskau und Konstantinopel sind gescheitert. Diese Lähmung war zunächst auch durch die Corona-Pandemie bedingt, während der niemand richtig reisen konnte. Und jetzt kommt natürlich der Krieg hinzu. Die beiden Hauptprotagonisten Moskau und Konstantinopel haben sich in eine Sackgasse gebracht. Ich sehe nicht, wie sie da wieder herauskommen.

"Moskau würde ein Drittel seiner Gemeinden verlieren"

Warum möchte Moskau an der Ukrainischen Orthodoxen Kirche festhalten, obwohl diese sich längst abgelöst hat?

Bremer: Die Russische Orthodoxe Kirche hat weltweit rund 38.000 Gemeinden, die Ukrainische Orthodoxe Kirche vor dem Krieg rund 13.000 Gemeinden. Wenn die Russische Orthodoxe Kirche diese endgültig verlieren würde, hätte Moskau mit einem Schlag ein Drittel seiner Gemeinden verloren. Es gibt auch Untersuchungen, dass die Ukrainer sehr viel religiöser sind als die Russen. Sie gehen öfter in die Kirche und nehmen mehr am Gemeindeleben teil. Es gab auch immer viel mehr Priesterberufungen aus der Ukraine. Das heißt, die Russen verlieren sozusagen ihr wertvollstes Drittel.

Wie orthodox ist die Ukraine?

Bremer: Etwa 60 Prozent der Bevölkerung bezeichnen sich als orthodox. Wenn man die Menschen dort fragt, zu welcher Kirche sie gehören, dann sagt etwa ein Drittel: Ich bin allgemein orthodox. Sie wollen sich nicht in diese Streitigkeiten einmischen. Neben der Mehrheit der Orthodoxen bilden katholische, protestantische, darunter viele evangelische Freikirchen, sowie muslimische und jüdische Gläubige die wichtigsten religiösen Gemeinschaften.

Es gibt in der Ukraine neben der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK) ja noch die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU). Können diese Kirchen überhaupt etwas für den Frieden beitragen?

Bremer: Das Hauptproblem ist Russland. Putin könnte morgen den Krieg beenden, doch ist nicht zu sehen, dass er das anstrebt. Zudem sind die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK) und die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) eben zerstritten. Das macht es kaum möglich, dass es da gemeinsame Friedensbemühungen gibt. Aber auch die wären ja aussichtslos, solange es aus Moskau nicht das leiseste Signal gibt, weder politisch noch kirchlich.

Der Moskauer Patriarch Kyrill unterstützt vorbehaltlos die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Könnte die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) auch eine andere Position einnehmen?

Bremer: Die russische Kirche versteht sich nicht als Nationalkirche. Kyrill sagt ausdrücklich, er sei der Patriarch von Russen, Ukrainern, Belarussen und anderen. Wenn Kyrill das ernst nehmen würde, müsste er sich im Ukraine-Krieg zumindest neutral verhalten. Die Russische Orthodoxe Kirche handelt nicht so, weil sie so handeln muss, sondern weil sie von ihrer Position überzeugt ist. Das heißt, Putin muss gar nicht Kyrill anrufen und ihm sagen, was er tun soll. Ich glaube, dass die beiden relativ unabhängig voneinander agieren können, weil sie einfach dieselbe Weltsicht haben.