TV-Tipp: "Wilsberg: Überwachen und belohnen"

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1. Februar, ZDF Neo, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Wilsberg: Überwachen und belohnen"
Langsam wird es eine Tradition: Ausgerechnet die Krimi-Reihe "Wilsberg", deren Protagonisten allesamt keine Eingeborenen des digitalen Zeitalters sind, setzt sich nun schon seit einigen Jahren immer wieder kritisch mit den vermeintlichen Segnungen der Digitalisierung auseinander.

"Überwachen und belohnen", der 71. Film über den Privatdetektiv aus Münster (TV-Premiere war 2021), knüpft in gewisser Weise an die Episode "Ins Gesicht geschrieben" (2019) an. Darin ging es um eine App, die dank Gesichtserkennung umgehend sämtliche digital verfügbaren Daten über eine Person preisgibt. Das Drehbuch war von Mario Sixtus, die Inszenierung besorgte Dominic Müller. Der Regisseur entwickelt sich immer mehr zu einem Qualitätsgaranten der Reihe; "Bielefeld 23" (2020) war nicht minder sehenswert. Seine insgesamt elfte "Wilsberg"-Arbeit" ist eine wunderbar gelungene Kombination aus Krimi, Gesellschaftskritik und Komödie, diesmal nach einem Drehbuch von David Ungureit, dessen Klostergeschichte "Gottes Werk und Satans Kohle" (2019) ebenfalls ein Höhepunkt der letzten "Wilsberg"-Jahre war.

Epizentrum von "Überwachen und belohnen" ist die vermeintlich gemeinnützige Organisation Social Credit, die dank einer gleichnamigen App im Zusammenspiel mit Politik und Behörden das soziale Verhalten der Münsteraner belohnt: Weil das Unternehmen Zugriff auf alle öffentlichen Überwachungskameras hat, kann die App vorbildliches Verhalten automatisch mit Punkten belohnen und Regelverstöße mit Punktabzug bestrafen. Den Teilnehmern winken Vergünstigungen und Bevorzugungen, etwa beim Buchen von Konzertkarten oder beim Arzttermin; der Punktestand kann sich allerdings auch positiv oder negativ auf die Karriere auswirken.

Zum Krimi wird die Geschichte, als der Entwickler der App vorsätzlich überfahren wird. Weil die Polizei den Mord als Unfall mit Fahrerflucht behandelt, bittet die Lebensgefährtin des Opfers Wilsberg (Leonard Lansink) um Hilfe. Christine (Susanne Bormann) hat eine Bürgerinitiative gegründet, die die Menschen über die Gefahren von "Social Credit" aufklären will. Ihr Freund hatte die Seiten gewechselt und wollte sie mit Material versorgen, das die wahren Absichten des Unternehmens enthüllt.

Wilsberg findet zwar den Stick mit den Unterlagen, aber Hinweise auf den Mörder enthalten sie natürlich nicht. Also überredet er seinen Freund Ekki (Oliver Korittke), seinen Urlaub für ein "Praktikum" in der Finanzabteilung von Social Credit zu opfern. Alex, die Patentochter des Detektivs, arbeitet ebenfalls für den weltweit aktiven Konzern, ist aber diesmal keine Hilfe, denn sie lässt sich nicht davon abbringen, dass die App nur Gutes bewirkt. Ina Paule Klink verabschiedet sich mit diesem Film nach exakt 20 Jahren von "Wilsberg".

Krimis mit Botschaft sind immer eine Gratwanderung: Das Risiko eines über der Geschichte schwebenden erhobenen Zeigefingers ist offenkundig. Auch "Überwachen und belohnen" hat solche Momente, wenn Wilsberg mit der jungen Merle über den Sinn und Unsinn von eBooks diskutiert; andererseits entspricht die Auseinandersetzung exakt den Gesprächen, die viele Eltern mit ihren Kindern führen.

Außerdem ist die Mitwirkung von Janina Fautz als Nichte von Wilsbergs Kommissarin Springer (Rita Russek) immer ein Gewinn für die Reihe; auch diesmal sorgen gerade ihre Dialoge mit Springer-Mitarbeiter Overbeck (Roland Jankowsky) zu den witzigsten Szenen. Der Film ist ohnehin ein Fest für Zuschauer, die sich an Details erfreuen: Unmittelbar vor seinem Tod hat Christines Freund ihr mitgeteilt, dass die Unterlagen "bei Ischmael" sind; weil Wilsberg im Zweitberuf Antiquar ist, weiß er selbstverständlich, welchem Werk der Weltliteratur diese Anspielung gilt.

Overbeck wiederum nervt seine Umgebung mit Zitaten von Michel Foucault, die allerdings perfekt zum Sujet passen. Der französische Philosoph und Historiker hat Mitte der Siebziger den Begriff "Panoptismus" geprägt und in seinem Werk "Überwachen und Strafen" (1975) vorweggenommen, wie sich mit Überwachungs- und Kontrollmechanismen eine soziale Konformität des Individuums erreichen lässt.

Sehr plausibel und stets glaubwürdig illustrieren Ungureit und Müller auch die ganz konkreten Folgen des "Social Credit"-Systems (inklusive jeweils eingeblendeter Punktzahl), und natürlich fragen sich Wilsberg und seine Mitstreiter, wie es dem Konzern gelingen konnte, derart viel Einfluss zu bekommen. Neben den Dialogen und den perfekt miteinander verflochtenen Handlungssträngen erfreut Ungureit mehrfach durch witzige Einfälle am Rande. Am schönsten ist ein Auftritt Overbecks in der Verkleidung von Inspektor Clouseau, angekündigt durch die berühmte "Pink Panther"-Melodie.

Im Anschuss zeigt ZDF-Sender Neo den 72. Film der Reihe, "Aus heiterem Himmel". Der kunstvoll konstruierte Krimi erzählt fünf unterschiedliche Geschichten, die in Wirklichkeit alle zusammengehören. Regie führte auch hier Dominic Müller, und wie es ihm gelingt, mit diesen verschiedenen Ebenen zu jonglieren, ohne den Film je sprunghaft wirken zu lassen, ist sehr beeindruckend.

Das Drehbuch ist von Mario Sixtus, der es schafft, die verschiedenen Handlungsstränge am Ende plausibel miteinander zu verknüpfen, zumal anfangs eingestreute biografische Nebensächlichkeiten unversehens entscheidende Bedeutung bekommen. Die Dialoge sind klasse, das Ensemble macht großen Spaß.