"Das Positive sehen, das in der Kirche geschieht"

Portait des württembergischen Bischof Ernst-Wilhelm Gohl
© epd-bild/Andreas Langen
Ernst-Wilhelm Gohl ist am 24.07.2022 in sein Amt als württembergischer Landesbischof eingeführt worden.
Bischof Gohl rund 100 Tage im Amt
"Das Positive sehen, das in der Kirche geschieht"
Er ist seit rund 100 Tagen im Amt - der neue Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Ernst-Wilhelm Gohl. Er sehe viele Menschen mit einem großen Interesse an existenziellen Fragen - auch wenn sie keiner Kirche angehören. Im Gespräch nennt er Gründe, warum es sich lohnt, Kirchenmitglied zu sein, und bezieht zum Ukraine-Krieg Stellung.

epd: Herr Gohl, Sie sind nun seit einigen Wochen Landesbischof: Was sind Ihre ersten Eindrücke?

Ernst-Wilhelm Gohl: Ich glaube, es ist ein längerer Prozess, bis man als Bischof wirklich angekommen ist. Aber ich hatte bereits sehr viele eindrucksvolle Begegnungen: Zum Beispiel habe ich auf der Ostalb die Verbundkirchengemeinde Türkheim-Aufhausen/Geislingen an der Steige besucht, die den Garten des Pfarrhauses geöffnet und in ein Café verwandelt hat. Ich war beim Flüchtlingskreis in Fellbach, der für so viele andere Aktivitäten steht, wo Kirchengemeinden Menschen ganz aktiv helfen, das Leben in Deutschland zu meistern.

Gibt es auch etwas, in Ihrem neuen Amt, das Sie überrascht hat?

Gohl: Ich hätte nicht gedacht, dass man als Landesbischof Autogrammkarten verschickt (lacht). Das hätte ich nicht für möglich gehalten, dass es Autogrammjäger gibt, die auch Unterschriften von Bischöfen sammeln.

Wo wollen Sie als Landesbischof bewusst neue Schwerpunkte zu setzen?

Gohl: Wo ich einen Akzent setzen will, ist, dass man das Positive sieht, was in der Kirche geschieht, statt immer nur auf die sinkenden Zahlen der Kirchenmitglieder und Gottesdienstbesucher zu starren. Wir sollten die Möglichkeiten nutzen, die wir haben. Ich erlebe viele Menschen, die zwar nicht mehr zur Kirche gehören, aber ein großes Interesse an existenziellen Fragen haben.

"Es sollte also nicht alles von diesen Zahlen abhängig gemacht werden."

Ich traf Sarah Stäbler, eine Pfarrerin aus Balingen, die Kontakt zu vielen Menschen auf Instagram hat und sie als "@sara3klang" in ihren Lebensfragen begleitet. Diese Menschen tauchen in keiner Mitgliederstatistik auf. Es sollte also nicht alles von diesen Zahlen abhängig gemacht werden.

Was sind denn aus Ihrer Sicht gute Gründe, in der Kirche zu sein?

Gohl: Da gibt es viele. Aber vor allem die Botschaft des Evangeliums, dass jeder Mensch ohne jede Leistung von Gott angenommen und geliebt ist. Dass der eigene Wert nicht von dem abhängt, was ich kann. Das ist in unserer Gesellschaft leider oft anders: Ganz viel Hass hängt damit zusammen, dass einem vermittelt wird, man ist nichts wert. Auch die vielen kulturellen Angebote in der Kirche sind ein riesiger Schatz und die Kirchenräume, die uns verbinden mit Generationen vor uns und nach uns, die ebenso wie wir geglaubt und gehofft haben.

Sie sagten einmal, es gibt bereits viele gute Konzepte, die nur noch umgesetzt werden müssen. Woran genau dachten Sie?

Gohl: Wir haben die Pfarrpläne, bei denen es darum geht, die Zahl der Gemeindepfarrstellen an die erwartete Entwicklung anzupassen und bestmöglich auf die Kirchengemeinden zu verteilen. Wir haben schon lange diskutiert, und ja, vielleicht gibt es noch kleine Stellschrauben, die man verändern könnte, aber ich will ermutigen, den letzten Pfarrplan 2030 umzusetzen und dann haben wir das Thema hinter uns. Dasselbe gilt für unsere Strukturdebatten: Wir wissen eigentlich, wie wir es machen müssen, dann nützt es nichts, dass man noch mal fünf Runden dreht.

"Uns fehlt manchmal der Mut, Entscheidungen zu treffen."

Ich habe den Eindruck, uns fehlt manchmal der Mut, Entscheidungen zu treffen, aus der Angst heraus, dass sie falsch sein könnten. Doch wir sollten mutig überlegen, und dann fröhlich umsetzen, auch wenn wir dabei das Risiko eingehen, Fehler zu machen.

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Landeskirche in Zukunft trotz sinkender Mitgliederzahlen zu wenige Pfarrerinnen und Pfarrer haben werden. Was kann dagegen unternommen werden?

Gohl: Mir ist klar geworden, dass wir einen engeren Kontakt zu den Theologiestudierenden halten müssen. Und wichtig ist, auch positiv vom Pfarrberuf zu reden. Wenn man mich fragen würde, ob ich noch einmal Theologie studieren möchte, würde ich sagen: Ja, hundertprozentig! Der Pfarrberuf ist wunderschön: Er ist sinnerfüllend, weil man sich selbst mit existenziellen Fragen beschäftigt und es sinngebend ist, wenn man Menschen in schwierigen Situationen beistehen kann.

Und: Niemand muss sich in Verwaltungsaufgaben aufreiben. Das habe ich so nie erlebt, und nach unserer Strukturreform, in der Verwaltungsaufgaben professionalisiert werden, können sich Pfarrerinnen und Pfarrer noch mehr auf ihr Kerngeschäft konzentrieren.

Wie sollte sich aus Ihrer Sicht die Landeskirche im Ukraine-Krieg positionieren?

Gohl: Für mich ist das zuerst eine geistliche Haltung: Wenn ich darauf vertraue, dass ich von Gott gehalten bin, auch wenn ich manches nicht verstehe, dann habe ich diesen letzten Halt im Leben und im Sterben. Aus diesem Halt heraus kann ich dann angemessen mit Sorgen umgehen. Als Kirche schauen wir dann zum Beispiel, wie wir aus den Kirchensteuer-Mehreinnahmen durch die Energiepauschale Menschen materiell unterstützen, die in extreme Notlagen kommen.

"Ein Angriffskrieg ist durch nichts zu rechtfertigen - schon gar nicht mit Gott."

Aber Halt hat auch etwas mit Haltung zu tun. Wenn das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Kyrill I., den Überfall auf die Ukraine geistlich verklärt, ist das Gotteslästerung. Schlicht und einfach. Ein Angriffskrieg ist durch nichts zu rechtfertigen - schon gar nicht mit Gott. Ich halte es auch für richtig, ein Volk zu unterstützen, das sich gegen einen brutalen Angriff verteidigt. Frieden ohne Gerechtigkeit gibt es nicht.

Sehen Sie Möglichkeiten, um noch enger mit der Evangelischen Landeskirche in Baden zusammenzuarbeiten?

Gohl: Es gibt schon viele Kooperationen, gerade im schulischen Bereich, was den Religionsunterricht betrifft, wird bereits sehr eng zusammengearbeitet und auch in der Diakonie. Auch in anderen Bereichen sollten wir ideologiefrei prüfen, ob eine Kooperation der Sache dient. Beispielsweise könnte ich mir vorstellen, dass man überlegt, ob man die zentralen Gehaltsabrechnungsstellen zusammenlegen kann.

Das Bischofshaus muss noch renoviert werden: Ist schon klar, wann Sie einziehen können?

Gohl: Das wird noch länger dauern, da einiges renoviert werden muss. Ich bin froh, wenn der Neubau des Oberkirchenrats, der landeskirchlichen Verwaltung, im geplanten Zeitraum und dem geplanten Budget fertiggestellt werden kann - und das sieht bisher sehr gut aus. Ich wohne seit zwei Wochen in einer Wohnung direkt an der Baustelle des Oberkirchenrats, das reicht mir.

Man liest, dass Sie auch gerne joggen - kamen Sie bereits dazu, die Stuttgarter Laufstrecken zu erkunden?

Gohl: Nein, dazu kam ich noch nicht, in meiner Wohnung stehen noch die Umzugskisten, die müssen erst einmal ausgeräumt werden. Aber ich habe jetzt immerhin W-Lan in meiner Wohnung, das ist schon einmal eine große Hilfe.