Unmut über Verbleib der Wittenberger "Judensau"

Mittelalterliche "Judensau" an der Stadtkirche St. Marien in der Lutherstadt Wittenberg
© epd-bild/Jens Schlueter
Das um 1300 angebracht Relief zeigt eine Sau, an deren Zitzen sich Menschen laben. Sie und eine weitere männliche Gestalt sollen Juden sein. Mit der Schmähung sollten Juden abgeschreckt werden, sich in der Stadt niederzulassen.
EKD-Beauftragter enttäuscht
Unmut über Verbleib der Wittenberger "Judensau"
Der jahrelange Streit um die Wittenberger "Judensau" sollte mit der Entscheidung über ihren Verbleib eigentlich beigelegt sein. Doch es gibt Kritik an dem Entschluss, die judenfeindliche Schmähplastik an Ort und Stelle zu belassen.

Der Entschluss zum Verbleib der "Judensau" an der Fassade der evangelischen Stadtkirche Wittenberg sorgt für Ärger. Der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Johann Hinrich Claussen, äußerte sich enttäuscht. Er könne zwar die Entscheidung des evangelischen Gemeindekirchenrats inhaltlich nachvollziehen, sei aber über die Art und Weise verärgert, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Donnerstag.

Der Wittenberger Gemeindekirchenrat hatte am Mittwoch nach jahrelangem Streit bekannt gegeben, dass die judenfeindliche Schmähplastik nicht entfernt wird. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte, die Entscheidung werde sicher nicht alle Positionen in der bisherigen Debatte befriedigen.

Ein von der Gemeinde 2020 eingesetzter Expertenbeirat hatte im Juli empfohlen, die Schmähskulptur von der Fassade zu entfernen und in unmittelbarer Nähe kommentiert auszustellen. Die Fachleute seien nie zu einem Gespräch eingeladen worden, sagte Claussen, der selbst Mitglied des Beirats war. Zudem seien die Experten nicht über die Entscheidung des Gemeindekirchenrats informiert worden.

Auch der Leiter der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in Wittenberg, Christoph Maier, kritisierte, dass man nicht zum Gespräch eingeladen worden sei. Er hatte die Beiratsgespräche moderiert. Dass nach der Beiratsempfehlung in der Lutherstadt offenbar der Eindruck entstanden sei, man müsse sich gegen die Zerstörung eines etablierten Gedenkortes zur Wehr setzen, konterkariere die gemeinsame Arbeit der vergangenen Jahre. "Wir sind der festen Überzeugung, dass das Gedenkensemble an der Wittenberger Stadtkirche auch ohne das Zeigen der beleidigenden judenfeindlichen Plastik auskommt", sagte Maier.

Der EKD-Kulturbeauftragte Claussen sagte, die Entscheidung eines einzelnen Gemeindekirchenrats strahle auf die gesamte evangelische Kirche in Deutschland aus. Dem Wittenberger Fall komme eine besondere Bedeutung zu, die Skulptur sei größer und präsenter als andernorts. Außerdem sei sie mit dem Namen des Reformators Martin Luther (1483-1546) verbunden. Deshalb handle es sich hier nicht um eine Wittenberger Lokalangelegenheit.

Der Antisemitismusbeauftragte Klein sagte, wichtig sei jetzt, dass eine geeignete und zukunftssichere Kontextualisierung gelinge, in die auch jüdische Stimmen einbezogen würden.

Der Gemeindekirchenrat sieht sich in seinem Entschluss durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs im Juni bestätigt, wonach das Relief trotz des antijüdischen Inhalts an seinem historischen Ort verbleiben kann (AZ: VI ZR 172/20). In der Begründung hieß es, dass die Gemeinde sich durch die 1988 eingelassene Bodenplatte und einem erklärenden, einordnenden Text auf einem Aufsteller ausreichend von dem Relief distanziert habe.

Der Kläger Michael Düllmann, selbst Mitglied einer jüdischen Gemeinde, sagte in einem Interview mit dem evangelischen Monatsmagazin "chrismon", ihn überrasche die Entscheidung des Gemeindekirchenrats nicht. Ihm sei aber nicht klar, warum der Kirchenvorstand eine Expertenkommission eingeladen habe, wenn er deren Empfehlung dann doch nicht folge.