Es hätte einer gewagten Volte bedurft, um diese Geschichte weiterzuerzählen: Am Ende von "Kurzschluss hoch drei" versucht das ausgesperrte Paar, mit einem tollkühnen Sprung über den gähnenden Abgrund das gegenüberliegende Dach zu erreichen; ein Filmschluss wie beim Western-Klassiker "Zwei Banditen" ("Butch Cassidy and the Sundance Kid", 1969) oder wie in dem Roadmovie "Thelma & Louise" (1991). So endete eine Kurzfilmtrilogie, die das Zeug zu einer neuen Silvestertradition hatte: In den drei Filmen begegnen sich zwei Menschen (Anke Engelke, Matthias Brandt) am letzten Tag des Jahres unter auf immer wieder aufs Neue herausfordernden Umständen.
Zum Glück hatten der WDR, die Hauptdarstellerin sowie das Produktionsduo Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann (btf) offenbar große Lust, das gemeinsame Unternehmen fortzusetzen; das Kurzfilmmotto "Eine halbe Stunde ist viel Zeit" klingt ohnehin wie ein Reihentitel. Beim möglichen Auftakt gibt es zwar keinen Silvesterbezug mehr, aber dafür ist die Erzählung deutlich turbulenter. Während es sich bei den drei "Kurzschlüssen" (2022 bis 2024) über weite Strecken um Zwei-Personen-Stücke handelte, schildert "Die Hochzeit" in Echtzeit, wie der vermeintlich schönste Tag im Lebens eines jungen Paars komplett aus dem Ruder läuft.
Zentrale Figur ist Hochzeitsplanerin Mareike Berger (Engelke), die alles im Griff zu haben glaubt; bis der Vater des Bräutigams ihren Zeitplan mit einer nicht abgesprochenen und hemmungslos ausufernden Rede über den Haufen wirft. Kleine Pannen hatte es schon vorher gegeben, aber die konnte Mareike mit Resolutheit und Entscheidungsfreude meistern: Für den kurzfristig indisponierten Fotografen ließ sich Ersatz finden, und mit dem Fahrradkurier, der ihr die falsche Torte unterjubeln wollte, hat sie kurzen Prozess gemacht.
Tilmann P. Gangloff setzt sich seit 40 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei erwachsenen Kindern und lebt am Bodensee. Er war über 30 Jahre lang Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, ist ständiges Mitglied der Jury Kindermedien beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), und 2023 mit dem Bert-Donnepp-Preis für Medienpublizistik ausgezeichnet worden.
Auch die Tatsache, dass es sich beim neuen Fotografen um ihren Ex handelt, konnte sie nur kurz aus dem Konzept bringen. Familienfoto, Torte, Sektempfang, Brauttanz: All’ das muss in dreißig Minuten erledigt sein, dann hat die nächste Gruppe die "Event-Location" im Schloss gebucht. "Wahnsinn", findet der Bräutigam. Aber "der Wahnsinn folgt einem Plan", korrigiert Mareike: "meinem". Was sie nicht ahnt: Fotograf Miller will die Gelegenheit nutzen, um sie zurückzugewinnen.
Außerdem hat er eine gewisse Neigung zur Anarchie, weshalb die Hochzeitsplanerin immer öfter zum Flachmann ("seelischer Notgroschen") oder später zur Champagnerflasche greift. Unter Verwendung des mutmaßlich von Wilhelm Busch verballhornten Schiller-Zitats "Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht was Bess’res findet" weist er das Brautpaar auf die Folgen des Ja-Worts hin, weshalb sich Lydia (Katharina Gieron) ihrer Sache prompt nicht mehr sicher ist, zumal kurz drauf der Schwiegervater (Stefan Lampadius) die Zukunft skizziert: Sie kümmert sich um den erhofften Stammhalter, der Gatte (Angelo Alabiso) macht Karriere.
Die besten Kurzfilme sind jene, die genug Stoff für einen Neunzigminüter enthalten. Kabarettist Michael Ostrowski (Buch und Regie), hierzulande vor allem als Schauspieler bekannt ("Passau-Krimi"), hätte im Fundus "Pleiten, Pech und Pannen bei Hochzeiten" bestimmt noch eine Vielzahl weiterer Missgeschicke entdeckt, aber durch die Ballung auf knapp dreißig Minuten wirkt sein Film natürlich enorm dicht. Tatsächlich ist der Ideenreichtum fast zu verschwenderisch für eine einmalige Sichtung.
Erst beim zweiten Sehen zeigt sich zum Beispiel, dass inmitten der Frauen, die Lydias Hochzeitsstrauß fangen wollen, auch ein Mann steht. Das Gebinde landet allerdings auf dem Schoß der aus England angereisten Erbtante. Die hat zwar zuvor kundgetan, sie sei Single und einer baldigen Eheschließung nicht abgeneigt, aber ein weiterer jener unmöglich vorherzusehenden Zwischenfälle lässt eine Hochzeit zumindest sehr fraglich erscheinen. Die betagte Tante ist ohnehin Opfer eines Running-Gags: Jedes Mal, wenn sie eine ihrer Pillen nehmen will, wird sie angerempelt.
Auch handwerklich beweist der Österreicher Ostrowski großes Geschick. Zwei Tage Proben, fünf Tage Drehzeit in und um Schloss Hülchrath (Grevenbroich): Das ist außerordentlich sportlich, zumal oft das gesamte Ensemble vor der Kamera stand und die diversen heiteren Slapstick-Momente einer minutiösen Vorbereitung bedurften; ein Sturz in eine Champagner-Pyramide lässt sich nicht oft wiederholen. Anders als im Film durfte daher nichts oder zumindest nicht viel dem Zufall überlassen bleiben; 5 Prozent Improvisation waren laut Ostrowski trotzdem möglich. Der WDR will sich noch nicht festlegen, ob sich aus dem Film eine Reihe entwickeln wird. Der Sender zeigt die "Halbe Stunde" heute um 16.15 Uhr (der Film steht auch in der ARD-Mediathek) und zeigt zuvor ab 14.35 Uhr noch mal die drei "Kurzschlüsse".


