TV-Tipp: "Die Gier nach Meer"

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26. Juli, Arte, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Die Gier nach Meer"
Über die Tiefen der Meere weiß der Mensch im Grunde weniger als über den Mond. Eins jedoch ist gewiss: Einige Kilometer unter der Wasseroberfläche gibt es in rauen Mengen Bodenschätze; vor allem solche, die für den Bau von Batterien unverzichtbar sind.

Deshalb hat die Industrie den Meeresgrund zum nächsten Ziel erklärt. Prompt ist eine regelrechte Goldgräberstimmung wie einst im Wilden Westen ausgebrochen; die Claims sind bereits abgesteckt. Welche Konsequenzen dies für die trotz des gigantischen Wasserdrucks durchaus vorhandene Fauna und Flora hat, ist völlig offen; keine guten vermutlich. Immerhin haben die Konzerne aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt.

Während der oberirdische Abbau ohne Rücksicht auf Verluste durchgezogen wurde, ist die Wissenschaft nun von Anfang an involviert. Michael Stocks durfte die Forscherinnen und Forscher bei ihrer Exkursion in den Pazifik irgendwo im Dreieck zwischen Kalifornien, Hawaii und Mexiko begleiten. Sein Film "Die Gier nach Meer" dokumentiert ihre Arbeit. Weil dieser Aspekt allein offenbar nicht genügte, macht er mehrfach Abstecher zu den Kapverdischen Inseln. Die Verbindung wirkt zwar etwas bemüht, aber der Tenor ist der gleiche, denn die Inselgruppe vor der Westküste Afrikas steht für einen Raubzug, der in der Diskussion über den Schutz der Natur jedoch meist zu kurz kommt: Hier wird Sand abgebaut, und zwar in derart großem Stil, dass die Redensart vom Sand am Meer wie Hohn wirkt; zurückgeblieben sind Strände, die nur noch aus Geröll bestehen. 

Die beiden Ebenen unterscheiden sich auch im Tonfall. Während Stocks die Ernte der Tiefseeknollen, die Mangan, Nickel, Kobalt und Kupfer enthalten, vergleichsweise nüchtern und sachlich begleitet, sind die afrikanischen Impressionen deutlich emotionaler. Hier gibt es mit einer einheimischen Naturschützerin auch eine klare Protagonistin: Eine Meeresbiologin hat eine kleine Organisation gegründet, die sich dem Schutz der Strände verschrieben und ein Gehege für die Eier der Meeresschildkröten eingerichtet hat. Die Tiere sorgen zudem für die bewegendsten Bilder des Films: Sie erreichen ihre Geschlechtsreife zwanzig Jahre, nachdem sie geschlüpft sind, und kehren an den Strand ihrer Geburt zurück, um dort ihre Eier zu vergraben, aber dieser Strand existiert nicht mehr; die Aufnahmen der mutmaßlich verwirrt über die Kiesel kriechenden Schildkröten gehen ans Herz. 

Vom Archipel macht der Film noch einen Abstecher an den französischen Atlantik zur Enkelin von Jacques-Yves Cousteau. Als Überleitung dient ein Wandgemälde des legendären Meeresforschers, der einst auch Kap Verde besucht hat. Alexandra Cousteau, ebenfalls Umweltaktivistin und Dokumentarfilmerin, macht keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen den Tiefseebergbau. Stocks wiederum verdeutlicht das ökologische Dilemma: Die Transformation im Verkehr, also die Wende zur Elektromobilität, wird nur mit Batterien funktionieren. Die Industrie argumentiert, irgendwo müssten die dafür nötigen Rohstoffe ja herkommen; auf dem Meeresboden würden immerhin keine tropischen Regenwälder gerodet. 

Wer Stocks übel will, könnte kritisch anmerken, dass er viel Bildmaterial von Greenpeace verwendet; eine Sprecherin der Umweltschutzorganisation steuert zudem wichtige Ausführungen über die menschlichen Umweltfrevel bei. Immerhin trägt sie ihre Warnungen ohne Furor vor: Ganz abgesehen von den unabsehbaren Folgen, die die Störung des Lebensraums in der Tiefe habe, sei im Tiefseesediment viel CO2 gebunden, das durch den Abbau der Knollen womöglich freigesetzt werde und so den Klimawandel noch weiter vorantreibe. Was der Mensch dem Planeten und insbesondere den Meeren antut, grenzt langfristig ohnehin an Selbstmord. Die Ozeane sind der größte Lebensraum der Erde und ein riesiger Wärmepuffer, sie liefern die Hälfte unseres Sauerstoffs und einen großen Teil unserer Nahrung, aber weite Teile sind längst leer gefischt; auf diesen Aspekt geht Stocks am Schluss ein, als ein leutseliger Ostseefischer demonstrieren darf, wie nachhaltige Fischerei aussieht. 

"Die Gier nach Meer – Wie der Mensch die Ozeane ausbeutet" ist Teil eines Arte-Themenabends mit dem Titel "Wie viel Mensch verträgt die Welt?" Um 21.55 Uhr zeigt der Kulturkanal eine Dokumentation über die Bemühungen von Coca-Cola, die Vermüllung der Meere durch Plastikflaschen einzudämmen, im Anschluss untersucht eine Wissenschafts-Doku den Zusammenhang zwischen einer unerklärlich wachsenden Zahl an Brustkrebserkrankungen sowie ungewollter Kinderlosigkeit und den Chemikalien, die zur Herstellung von Plastik verwendet werden.