Kirchenmitglied auf Probe

Junge Frau schaut in Kirche rein
© Getty Images/iStock/AJ_Watt
Nur mal rein schnuppern in eine Kirchengemeinde? Verantwortliche denken über neue Formen der Kirchenmitgliedschaft nach.
Strategie gegen Kirchenaustritte
Kirchenmitglied auf Probe
Angesichts rasch sinkender Mitgliederzahlen spricht sich der Theologe Axel Denecke für neue Formen der Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche aus. So sei es für Menschen attraktiver, einer ganz bestimmten Kirchengemeinde beizutreten. Auch eine Mitgliedschaft auf Zeit, ohne sich gleich taufen zu lassen, bringt er ins Spiel.

"Das bisherige Mitgliedschaftsmodell mit automatischem Kirchensteuereinzug ist völlig veraltet und passt nicht mehr in unsere Zeit", sagte der Pastor und frühere Professor für Praktische Theologie dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Wir müssen weg von der anonymen, unpersönlichen Verwaltungskirche hin zur an den Personen orientierten Mitgestaltung in einer Gemeindekirche." Als neue Formen schlug der 83-Jährige die Gemeindemitgliedschaft und eine Mitgliedschaft auf Probe vor.

Die Mitgliederzahlen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für 2021 zeigten, dass die Mitgliedschaft in der bisherigen Form für viele Menschen nicht attraktiv sei, sagte Denecke. Der Statistik zufolge standen den rund 115.000 Taufen sowie 18.000 Aufnahmen etwa 280.000 Austritte gegenüber - ein neuer Höchststand.

Ein ähnliches Bild ergeben die Ende Juni von der hannoverschen Landeskirche präsentierten Zahlen für 2021. Demnach traten 32.000 Menschen aus der größten evangelischen Landeskirche aus, so viele wie seit 27 Jahren nicht.

"Viele Menschen möchten christlich leben und Gemeinde-Anbindung haben", betonte Denecke. "Mit der großen Institution können sie sich aber oft nicht identifizieren." Für sie müsse die Kirche die Möglichkeit schaffen, zur Gemeinde zu gehören, ohne damit Mitglieder der übergeordneten Landeskirche zu werden.

Kein Zwang zum Bekenntnis

Zwar werde das ohne einen finanziellen Beitrag für die Gemeinde nicht funktionieren. "Ein solcher Beitrag wird sich aber für viele besser anfühlen als der anonyme Kirchensteuereinzug", ist der Theologe überzeugt. Von dem Beitrag sollten die Gemeinden einen Teil den Landeskirchen für allgemeine, etwa diakonische Aufgaben zur Verfügung stellen. "Ich bin mir sicher, dass wir auf diesem Wege viele Austrittswillige in der Kirche halten können."

Denecke plädierte außerdem für eine "Mitgliedschaft auf Probe", eine zunächst auf drei Jahre begrenzte, aber verlängerbare Mitgliedschaft, welche die Taufe nicht voraussetze. Derzeit schrecke die Kirche viele Eintrittswillige ab, da sie von ihnen verlange, sich taufen zu lassen und ein Bekenntnis abzulegen.

"Sie sollen also eine Lebensentscheidung treffen und alte Bekenntnistexte und Lehrsätze nachsprechen, mit denen selbst Theologen ihre Not haben." Damit setze die Kirche die Schwelle für Menschen, die mit Kirche und Christentum nicht aufgewachsen sind, viel zu hoch.

Denecke, der zunächst viele Jahre in der hannoverschen Landeskirche arbeitete, war von 1992 bis 2003 Hauptpastor an der St.-Katharinen-Kirche in Hamburg. 1995 ernannte ihn die Universität Hamburg zum Professor. Dort lehrte er bis 2003 Praktische Theologie.

Mit ihrem Amtsverständnis und ihren Ordnungen stehe sich die Kirche selbst im Weg, sagte die Kirchentags-Generalsekretärin Kristin Jahn bei einer Diskussion in Fulda. "Heute erleben wir einen Erlösungsprozess durch Austritte hin zu einer Kirche der Freiwilligkeit und des mündigen Bekennens", so Jahn. Die Vielfalt der Gaben und das Engagement der Mitglieder sei das größte Potenzial der Kirche. Ihre Aufgabe sei es, einen Rahmen zu setzen, damit Menschen diese Gaben einbringen können, sie eine Sprache für ihr Leben finden zu lassen und im Dialog mit ihnen Dinge zu entwickeln, anstatt immer noch "Sendemast-Kirche" zu sein.