TV-Tipp: "Tatort: Kehraus"

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27. Februar, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Kehraus"

Anders als Aschenputtel, Rapunzel oder die schöne Müllerstochter aus "Rumpelstilzchen" wird Rotkäppchen am Ende des Grimm’schen Märchens nicht mit einem Königsthron belohnt; das Mädchen kann froh sein, dass es überhaupt noch lebt. Es wird also kein Zufall sein, dass das Autorenduo Stefan Betz und Stefan Holtz die Antiheldin seines Münchener Karnevalskrimis "Kehraus" zu Beginn des Films in ein Rotkäppchenkostüm gesteckt hat.

Wenn sich die Frau, die schon lange kein Mädchen mehr ist, zum Schluss in ein Festkleid zwängt, in dem sie vor dreißig Jahren zur Faschingsprinzessin gekürt worden ist, hat das auch etwas von heroischem Trotz; und so wird sie tatsächlich doch noch zur Heldin der Geschichte.

Für jede Schauspielerin wäre die Rolle dieser hochverschuldeten Frau, die mit Ende vierzig vor den Scherben ihres Daseins steht und nun auch noch eines Mordes verdächtigt wird, ein Geschenk - aber die Wienerin Nina Proll entpuppt sich als Idealbesetzung: weil sie die Abgründe dieser verkrachten Existenz regelrecht auslotet.

Silke Weinzierl ist einer dieser Menschen, die die Welt mit ständig neuen Ideen beglücken will; aber die Welt hat kein Interesse. Seit Jahren träumt sie davon, das große Los zu ziehen. Bis dahin gaukelt sie ihrer Umgebung eine Existenz als vielbeschäftigte Geschäftsfrau vor; dabei sind ihre Habseligkeiten in einem abgemeldeten Auto verstaut, und morgens weiß sie meist noch nicht, wo sie abends schlafen wird.

All’ das verrät "Kehraus" jedoch erst später. Der Film beginnt am "Unsinnigen Donnerstag" mit viel närrischem Frohsinn und einem Kommissar (Udo Wachtveitl), dem der spätabendliche Heiterkeitslärm seiner Mitmenschen gehörig auf die Nerven geht. Als Kollege Batic (Miroslav Nemec) dann auch noch als Pilot mit zwei Bienen im Schlepptau auftaucht und um ein Nachtasyl bittet, erreicht Leitmayrs Laune ihren Tiefpunkt. Zu allem Überfluss gibt’s mitten in der Nacht einen Toten: Ein alter Mann ist offenbar eine Treppe runtergestoßen worden.

Ein Stempel am Handgelenk führt Leitmayr und Batic in einen nahen Club, wo sich alsbald rausstellt, dass das Opfer den Abend weitgehend mit Rotkäppchen verbracht hat. Silke Weinzierl behauptet zwar, den Mann nicht näher zu kennen, aber das entpuppt sich als Lüge. Ein Motiv hätte sie womöglich auch: Der alte Herr war Antiquitäten- und Goldhändler und ist in letzter Zeit des Öfteren mit beträchtlich viel Bargeld nach Südafrika geflogen, um dort kleine Goldbarren zu kaufen. Die nächste Reise stand unmittelbar bevor, doch davon erfährt Silke erst aus der Zeitung.

Unversehens stößt sie auf einen für ihre Verhältnisse unermesslichen Reichtum, und jetzt geht die Geschichte im Grunde erst richtig los. Als die Kommissare rausfinden, dass es im Hintergrund um Geldwäsche in ganz großem Stil geht, warnt Batic die Frau, die ihn mit einem zupackenden Heimlich-Griff vor dem Ersticken bewahrt hat und ihm auch sonst imponiert, vor einem Gegner, der in der Wahl seiner Mittel nicht zimperlich ist. Sie jedoch klammert sich regelrecht an die Aussicht, endlich etwas Großes in ihrem Leben leisten zu können; koste es, was es wolle.

"En detail", sagt Silke bei ihrer ersten Vernehmung, könne sie sich an die Ereignisse jenes für den Goldhändler so verhängnisvoll geendeten Abends nicht mehr erinnern. Umso detailfreudiger ist der Film, der dank der Dialoge des perfekt eingespielten Duos Nemec und Wachtveitl auch später, als die amüsante Anfangsnote längst einer gewissen Tragik gewichen ist, immer wieder Pointen setzt.

Zu den für die Handlung nicht weiter bedeutsamen Nebensachen zählt neben der BVB-Tasse, die seit dem Besuch bei den Kollegen in Dortmund ("In der Familie", 2020) in keinem "Tatort" aus München mehr fehlen darf, auch der berühmte Auftakt des Deep-Purple-Hits "Smoke on the Water", den Leitmayr auf dem gläsernen Inventar des Antiquitätenladens zum Besten gibt. Sehr schön sind zudem die Stimmungsbilder der verwehten Faschingsspuren in der Stadt.

Regie führte Christine Hartmann, deren letzte Arbeiten, etwa ein "Tatort" aus Köln ("Kaputt") oder "Club der einsamen Herzen" (beide 2019), das Potenzial der jeweiligen Drehbücher nicht ausgereizt haben; ihr bekanntester Film ist die Adaption der Gaby-Köster-Biografie "Ein Schnupfen hätte auch gereicht" (2017). Diesmal trifft sie jedoch exakt den richtigen Ton für diese gleichermaßen kurzweilige wie vielschichtige Tragikomödie, deren Titel "Kehraus" auch eine kleine Verbeugung vor dem gleichnamigen Satireklassiker (1983) von und mit Gerhard Polt sein dürfte, den der BR morgen um 22.45 Uhr wiederholt.