TV-Tipp: "Zero"

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Mittwoch, 3. November, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Zero"
Die Journalistin Cynthia Bonsant (Heike Makatsch) recherchiert im Umfeld eines Drohnenangriffs von Netzaktivisten. Dabei gerät sie in den Bann der Apps und sozialen Netzwerke, die Grenzen zur stofflichen Realität verschwimmen.

Früher war es der liebe Gott, der laut Volksmund kleine Sünden sofort bestraft hat. Heute besorgt das eine App: Für gute Noten bekommen Schulkinder Pluspunkte, öffentliches Fehlverhalten wird mit Abzügen bestraft. In China gibt es dieses soziale Währungssystem bereits, wenn auch bislang auf freiwilliger Basis. Dave Eggers beschreibt in seinem neuen Roman „Every“, wie eine derartige App letztlich den freien Willen abschafft. Marc Elsberg hat ein ähnliches Szenario bereits 2014 entworfen.

In seiner Romandystopie „Zero“ hat die sogenannte Act App des globalen Konzerns Freeme ganz ähnliche Konsequenzen, aber auch einen tödlichen Nebeneffekt. Hauptfigur der Geschichte wie auch der Adaption durch Johannes Betz („Die Spiegel-Affäre“) ist die frühere Top-Journalistin Cynthia Bonsant (Heike Makatsch), die nach der mehrjährigen Pflege ihres verstorbenen Mannes Phillip zurück in ihren Beruf will. Während des Vorstellungsgesprächs beim Online-Magazin „Daily“ werden sie und ihr neuer Chef Brenner (Axel Stein) Zeuge einer im Netz übertragenen Drohnenattacke auf Regierungsmitglieder, die zu einem konspirativen Treffen mit einem mysteriösen Unbekannten verabredet sind. Die Angreifer, eine Gruppe von Netzaktivisten, nennen sich „Zero“; Cynthia bekommt den Auftrag zu recherchieren, wer die vermeintlichen Terroristen sind und welche Ziele sie haben.

Die Journalistin stößt schließlich auf eine Verschwörung, die genug Stoff für einen Fernsehfilm böte, aber natürlich muss so eine Geschichte dem Publikum auch die Möglichkeit bieten, emotional anzudocken; das dachten sich offenbar zumindest die Verantwortlichen. Deshalb legt das Drehbuch viel Wert auf die gestörte Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Cynthia hat die 17jährige Viola (Luise Emilie Tschersich) vernachlässigt, während sie sich um ihren sterbenden Mann gekümmert hat, und dann auch noch in ihrer Trauer allein gelassen. Beistand bekommt Viola von der Act App, die ungefragt Beratung für jede Lebenslage bietet. Viola hat ihr die Gestalt eines kleinen Mädchens gegeben. Cynthia versteht nicht, dass sich ihre kluge Tochter von einem Algorithmus vorschreiben lässt, wie sie sich verhalten soll, bis sie das Trostpotenzial der App entdeckt; sie gibt dem Avatar das Aussehen ihres verstorbenen Mannes.

Jochen Alexander Freydank hat vor einigen Jahren „Und weg bist du“ (2012) inszeniert, eine schmerzlich schöne und zu Herzen gehende Tragikomödie mit Christoph Maria Herbst als Tod und Annette Frier als Schuhverkäuferin mit Krebs im Endstadium, aber hier gelingt es ihm nicht, die notwendige Empathie für die Figuren entstehen zu lassen. Seine Umsetzung macht es ohnehin schwer, sich für den Film zu erwärmen: Ausstattung (Tom Hornig) und Bildgestaltung (Patrick Popow) sorgen für eine durch die passende elektronische Musik (Ingo Ludwig Frenzel) verstärkte unterkühlte Atmosphäre. Der riesige, aber sparsam möblierte Redaktionsraum von „Daily“ ist in Grauschwarz gehalten, Cynthias Heim ist ebenfalls düster, die Außenaufnahmen zeigen eine seltsam menschenleere Stadt. Der Corona-Effekt entspricht vor allem dem Zukunftsentwurf aus Eggers’ Roman: Weil der Alltag zunehmend digitalisiert ist, ist das Verlassen der eigenen vier Wände kaum noch nötig.

Die Visualisierung der App ist allerdings vergleichsweise sparsam ausgefallen. Wer die „Glasses“ aufsetzt, ein als Interface zwischen Smartphone und Gehirn fungierendes Schläfenband, bekommt Informationen über alle Menschen, die den Weg kreuzen. Das sah selbst in einer ungleich schmaler budgetierten Produktion des Kleinen ZDF-Fernsehspiels weitaus eindrucksvoller aus. In „Operation Naked“ (2016) hat Mario Sixtus ein ganz ähnliches Szenario entworfen: Motor der Handlung war eine Datenbrille, die Menschen nicht nur identifiziert, sondern rasend schnell sämtliche Daten sammelt, die über eine Person im Netz zu finden sind. Größeres Manko des Films gegenüber der literarischen Vorlage ist jedoch die Reduktion der Komplexität: Im Vergleich zum Roman fällt „Zero“ mehr als nur ein paar Nummern kleiner aus; im Grunde hätte aus dem Buch ein großer Kinofilm oder eine aufwändige produzierte Serie wie die Joyn-Serie „Blackout“ (ebenfalls nach Elsberg) werden müssen. Mit mehr Sendezeit hätten vermutlich auch die Nebenfiguren mehr Tiefe bekommen. Gerade Violas Freunde sind im Film bloß Mitläufer, dabei bringt einer von ihnen die Handlung durch seinen Tod überhaupt erst richtig ins Rollen. Freydank hat zuletzt für Sat.1 den Zweiteiler „Du sollst nicht lügen“ (2021) gedreht, ein fesselndes Krimidrama über Kontrolle, Macht und Demütigung, und zuvor unter anderem „Das Joshua-Profil“ (2018, nach dem Bestseller von Sebastian Fitzek). In diesem mit „Zero“ thematisch verwandten Thriller wird ein harmloser Familienvater aufgrund einer Software-Prognose als potenzieller Verbrecher gejagt.

Im Vergleich dazu ist Freydanks jüngstes Werk weitgehend spannungsfrei. Sehenswert ist der Film daher vor allem als Denkanstoß. Der von Sabin Tambrea mit dem nötigen Charisma versehene Vorstand von Freeme entwirft im Gespräch mit Cynthia die Vision einer Welt, die dank der Act App letztlich sogar ohne Regierung auskommen könnte: weil sich alle konsequent optimieren und nur noch Gutes tun. Das klingt selbstredend zu schön, um wahr zu sein. Über dem Film schwebt daher die Frage, ob sich die Menschen wirklich von einer App sagen lassen wollen, was sie zu tun und zu lassen haben. Das bringt ihnen zwar „Smartpunkte“ ein, macht sie aber auch anfällig für Manipulationen; und wehe, wenn Regierung und Technologiekonzerne eine unheilige Allianz eingehen.