TV-Tipp: "Tatort: Unsichtbar"

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17. Oktober, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Unsichtbar"
Der Schmerz kommt aus heiterem Himmel und ohne Vorwarnung. Die junge Frau gerät in Panik, rennt auf die Straße und bricht tot zusammen. Die Obduktion ergibt keinerlei Hinweise auf Fremdeinwirkung.

Anna Schneider war jedoch kerngesund; trotzdem hat ihr Herz einfach aufgehört zu schlagen. Aber wie kann das sein?

Regisseur Sebastian Marka hat einige der originellsten Sonntagskrimis der letzten Jahre gedreht. Die „Tatort“-Beiträge, die er zusammen mit dem kongenialen Autor Erol Yesilkaya geschaffen hat, gehörten zu den besten ihrer jeweiligen Jahrgänge; für „Meta“ (2018, Berlin) sind die beiden mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden. Ihr letzter gemeinsamer Krimi vor dem nicht minder sehenswerten Science-Fiction-Film „Exit“ war „Parasomnia“ (beide 2020), ein ziemlich gruseliger „Tatort“ aus Dresden, in dem ein Mädchen zwischen Traum und Wirklichkeit wandelte. „Unsichtbar“ basiert zwar auf einem Drehbuch von Michael Comtesse, ist aber nicht weniger ungewöhnlich. Zu einem besonderen Krimi wird der Film nicht nur wegen der bizarren Mordmethode, sondern durch die persönliche Betroffenheit von Kommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczweski): Ähnlich wie Anna Schneider (Milena Tscharntke) leidet auch die Ermittlerin plötzlich unter unerklärlichen Schmerzen; nur deshalb ahnt sie, dass die junge Frau keines natürlichen Todes gestorben ist. Anna wurde von einem Stalker heimgesucht, der sie nach allen Regeln der Mobbing-Kunst tyrannisiert hat. Ein Motiv ist jedoch nicht erkennbar. Zwar gibt es einen Ex-Freund (Christian Friedel), der nicht nur Grund zur Eifersucht hatte, sondern auch sehr seltsam wirkt, aber die Spur führt ins Leere, zumal der junge Mann, der als Assistent in einem Labor an der Behandlung von Krebszellen forscht, kurz drauf von seiner fürsorglichen Kollegin (Anna Maria Mühe) als vermisst gemeldet wird. Gorniak und Winkler (Cornelia Gröschel) kommen nicht weiter; die Kriminaloberkommissarin ist wegen ihrer Schmerzen und düsterer Drohanrufe ohnehin nur halb bei der Sache. Eine gründliche medizinische Untersuchung bleibt ohne Befund.

In diesem Rätsel liegt der große Reiz der Geschichte, zumal die Schmerzattacken wie aus heiterem Himmel auftreten; selbst ein vom Chef (Martin Brambach) angeordneter Hausarrest kann die Angriffe aus dem Nichts nicht verhindern. Die Musik (Thomas Mehlhorn) setzt von Anfang an entsprechende Akzente und sorgt dafür, dass sich Gorniaks existenzielles Unbehagen beinahe unmittelbar überträgt. Endgültig mysteriös wird der Fall durch mehrere Videos, die sie erhält. Es handelt sich um Aufnahmen einer rund zwanzig Jahre zurückliegenden Party, als die junge Karin die Polizeifachhochschule besuchte. Irgendwas muss damals vorgefallen sein, aber sie kann sich beim besten Willen nicht erinnern, obwohl der anonyme Anrufer behauptet, er habe sein Leben für sie geopfert. Und welche Verbindungen könnte es zwischen Gorniak und Anna Schneider geben, die damals noch ein Kind gewesen ist?

Als die Wahrheit endlich ans Licht kommt, driftet der handwerklich anspruchsvolle Film ein bisschen ab, und spätestens zum Finale, als Gorniak endgültig dem Tode geweiht zu sein scheint, lässt Marka seine Mitwirkenden auch etwas dick auftragen. Faszinierend bleibt jedoch die buchstäblich subkutane Ebene, weil die Opfer den nicht nachweisbaren Angriffen wehrlos ausgeliefert sind. Comtesse war zuletzt an einem eher mittelprächtigen Geiselnahme-„Tatort“ aus Dresden beteiligt, der jedoch sein packendes Potenzial verplemperte („Die Zeit ist gekommen“). Umso besser war „Das perfekte Verbrechen“ (beide 2020): Der clever konstruierte Krimi konfrontierte das „Tatort“-Duo aus Berlin mit Jurastudenten, die sich für unangreifbar hielten, weil ihre Tat ein Mord ohne Motiv war. Diesmal ist die Konstellation ähnlich: Wie soll die Polizei einen Mörder überführen, wenn es nicht mal Anzeichen für ein Verbrechen gibt?

Gerade zu Beginn widmet sich ein Nebenstrang ausführlich den unnachgiebig und lautstark geführten Auseinandersetzungen zwischen Gorniak und ihrem fast volljährigen Sohn (Alessandro Schuster). Auch hier zeigt sich, wie gut durchdacht das Drehbuch ist. Was zunächst wie ein allzu durchschaubarer Versuch wirkt, das Selbstbewusstsein der alleinerziehenden Mutter zu erschüttern, erweist sich als geschickter Schachzug: Die Polizistin lässt ihrer Aggression in einem sogenannten Wutraum, wo man mit einem Baseballschläger allerhand Inventar zertrümmern kann, freien Lauf, und kann selbstverständlich nicht ahnen, dass ausgerechnet hier ihre Nemesis lauert; ebenso unsichtbar wie die tödliche Bedrohung, der die Kommissarin ausgesetzt ist.