TV-Tipp: "Stralsund: Das Manifest"

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TV-Tipp: "Stralsund: Das Manifest"
28. August, ZDF, 20.15 Uhr
Die Nachwendezeit und die Aktivitäten der Treuhand im Nordosten Deutschlands sind der historische Hintergrund für einen spannenden Krimi-Zweiteiler.

Wer nicht persönlich betroffen ist, kann kaum nachvollziehen, welches Wechselbad die "Wende" bedeutet hat: Freiheit gewonnen, Arbeit genommen. Es ist richtig und wichtig, dass immer wieder an die damaligen Ereignisse erinnert wird, zumal die Vorgänge rund um die Treuhand bis heute nicht aufgearbeitet sind. Die Tatsache, dass außerdem viele Akten noch bis 2050 unter Verschluss bleiben, öffnet natürlich Tür und Tor für allerlei Verschwörungsmodelle. Vor diesem Hintergrund haben Andreas Kanonenberg (Teil eins, "Das Manifest") und Olaf Kraemer (Teil zwei, "Medusas Tod") einen zweiteiligen Krimi konzipiert, der die Vergangenheit geschickt mit der Gegenwart verknüpft.

Die Handlung beginnt mit einem sechs Monate zurückliegenden Prolog, als eine Mutter ihrem Sohn einen Stapel Papiere überlässt. Sie dokumentieren die Abwicklung der Stralsunder Volkswerft und damit einen für die damalige Zeit typischen Vorgang. Ähnlich wie andere Filme über jene Jahre vermitteln auch die "Stralsund"-Episoden 17 und 18 den Eindruck, in den frühen Neunzigern habe eine Art Goldgräberstimmung geherrscht, zumal es großzügige Fördergelder der EU gab. Viele der entsprechenden Wunden sind bis heute nicht verheilt. Allerdings sind sich die Figuren in den Produktionen zu diesem Thema regelmäßig sehr ähnlich. Das gilt auch für die Verbitterung, die wie ein subkutaner emotionaler Mehltau unter den Bildern liegt. In einer Hinsicht immerhin unterscheidet sich der Zweiteiler von anderen Produktionen dieser Art: Die Schurken kommen diesmal nicht aus dem Westen; auch im Osten gab es Wendegewinner.

Zum Krimi wird die Geschichte, weil der der entscheidende Nutznießer des Werftverkaufs in seinem Eigenheim auf Rügen erschossen wird. Dominik (Leonard Carow), der Sohn der mittlerweile verstorbenen früheren Volkswerftsekretärin, wollte den Mann erpressen und hat damit schlafende Hunde geweckt. Die Spannung resultiert fortan vor allem aus drei Fragen: Wird die Lawine, die Dominik ungewollt losgetreten hat, auch ihn selbst unter sich begraben? Wird seine kleine Tochter, die entführt worden ist, damit er die Akten rausrückt, überleben? Und vor allem: Wer ist der Drahtzieher der damaligen Aktion, der sich heute mutmaßlich hinter der Fassade eines ehrenwerten Bürgers verbirgt?

Das klingt nach gutem Thrillerpotenzial, zumal Regisseur Alexander Dierbach einige ziemlich packende Episoden für die ZDF-Reihe "Helen Dorn" gedreht hat, allen voran "Gnadenlos" (2017) und "Prager Botschaft" (2018). Seine Sebastian-Fitzek-Verfilmung "Passagier 23 – Verschwunden auf hoher See" (RTL, 2018) war ebenfalls recht fesselnd. Dass dies auf "Das Manifest" und "Medusas Tod" überhaupt nicht zutrifft, hat im Wesentlichen drei Gründe: Die Inszenierung ist allzu bedächtig, die Geschichte füllt keine 180 Minuten, und es ist viel zu früh klar, um wen es sich bei der grauen Eminenz im Hintergrund handelt. Hinzu kommt eine bisweilen einfallslos anmutende Besetzung. Bestes Beispiel ist Peter Schneider, der Rollen wie den Wendeverlierer Dieter Wolf schon oft verkörpert hat. Interessant ist immerhin die Weiterführung der Figur: Wolf hat einen Öko-Bauernhof für "völkische Siedler" gegründet, die sich für den Tag X wappnen, wenn sie endlich das verhasste System stürzen werden. Er ist auch für das titelgebende Manifest verantwortlich und stellt schließlich die Dokumente ins Netz, was der Handlung eine gewisse Dynamik verleiht.

Abgesehen von einigen SEK-Szenen, in denen die Musik (Oliver Kranz) lautstarke Akzente setzt, ist der Film jedoch über weite Strecken mehr Drama als Krimi. Dafür stehen Wolfs Vater (Axel Werner), einst Betriebsrat bei der Volkswerft, sowie seine Schwester (Christina Geiße), die gerade den nächsten fatalen Schicksalsschlag verkraften muss. Obwohl der Zweiteiler viel Zeit mit dieser Familie verbringt, bleiben die Figuren ebenso oberflächlich wie die schießübungsfreudigen Mitglieder der kleinen Nazitruppe (als Wortführerin: Samia Chancrin), denn im Zentrum der Geschichte stehen natürlich die Ermittlungen, und auf dieser Ebene ging es in "Stralsund" nie bloß um die Lösung der jeweiligen Fälle. Die Animositäten innerhalb des Teams haben gerade in den Anfangsjahren den besonderen Reiz der Reihe ausgemacht, zumal Nina Petersen (Katharina Wackernagel) bislang kein Glück mit ihren Beziehungen im Kollegenkreis hatte. In der letzten Episode ist ihr LKA-Freund Thomas (Johannes Zirner), bislang bloß Berater, zum Leiter der Kriminalpolizei ernannt worden; mit ihren Vorgesetzten hat die Kommissarin allerdings immer Ärger gehabt. Das gilt auch diesmal, zumal sie Grund zu der Annahme hat, dass Thomas nicht auf ihrer Seite steht: LKA-Chef Hagner (Rainer Furch), dem Thomas zu großem Dank verpflichtet ist, legt größeren Wert auf die Unterwanderung der Nazi-Aussteiger als auf die Aufklärung des Mordes an dem Volkswerft-Abwickler. Interessanter und auch schauspielerisch auf einem anderen Niveau ist ohnehin die Konfrontation von Petersens Kollege Hidde (Alexander Held) mit seiner eigenen Vergangenheit: Auf einem Foto, dass die maßgeblichen Beteiligten der Abwicklung zeigt, ist auch seine Ex-Frau (Lena Stolze) zu sehen. Die lakonische Beiläufigkeit, mit der Kanonenberg und Kraemer – Konzept und Charaktere haben sie gemeinsam entwickelt – die Tragödie dieser Beziehung erzählen, hätte dem Zweiteiler, der sich viel zu oft in üblicher Krimiroutine verliert, auch an andere Stelle gut getan. Die Treuhand-Ebene ist hochinteressant, der Rest ist oft bloß Ballast. Der zweite Teil steht bereits in der Mediathek, die ZDF-Ausstrahlung ist am 1. September.