TV-Tipp: "Immer der Nase nach"

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26. August, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Immer der Nase nach"
Es ist ein Drama, das viele Frauen um die fünfzig nur allzu gut kennen: Viele Jahre lang war die Familie der Mittelpunkt des Lebens. Wenn dieses Zentrum plötzlich verschwindet, weil der Mann eine Jüngere hat und die Kinder das Nest verlassen, tut sich nicht etwa eine große Freiheit auf, sondern oft ein Vakuum.

Für die freiberufliche Schaufensterdekorateurin Tanja (Claudia Michelsen) kommt’s aber noch schlimmer: Da immer mehr kleine Geschäfte schließen müssen und sie die Zufahrt ins digitale Zeitalter verpasst hat, wird sie nach dem Auszug von Tochter Lisa (Lena Klenke) mit einer großen Leere konfrontiert; der Gatte (Stephan Szász) hat sich schon vorher aus dem Staub gemacht. Plötzlich steht Tanja vor einem Scherbenhaufen, der einmal ihr Leben war, und da sich der Teufel immer die Schwächsten aussucht, um noch mehr Unheil anzurichten, nehmen die Hiobsbotschaften kein Ende: Ihre Mutter (Angela Winkler) hat offenbar Krebs, und weil Tanja nur noch mit sich selbst beschäftigt ist, bekommt sie nicht mit, dass es ihrer besten Freundin Imke (Corinna Harfouch), dank ihrer Daseinsdevise "Das Leben muss lebendig sein!" bislang stets ein Vorbild an Gelassenheit, zunehmend schlechter geht.

Hätte Kerstin Polte (Buch und Regie) diese Geschichte tatsächlich als Drama erzählt, wäre daraus ein über weite Strecken freudloser Film geworden. Ihr Ansatz ist zum Glück ein anderer: Sie nimmt die Nöte ihrer Hauptfigur zwar durchaus ernst, gibt ihnen aber eine amüsante Note, ohne dabei Tanjas Probleme zu bagatellisieren. Das funktioniert, weil sich eine der Herausforderungen als Missverständnis herausstellt und andere doch nicht so ausweglos sind, wie sie zunächst erscheinen. Dieser Tonfall hat bereits bei Poltes vielversprechendem Debüt ausgezeichnet funktioniert: "Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?" (2018) erzählte auf ähnlich heitere Weise von einer Frau (Harfouch), die ihr Leben in Frage stellt. Schon dieses Erstlingswerk war beeindruckend stilsicher inszeniert und imponierte zudem durch eine Fülle von Einfällen. Das gilt für "Immer der Nase nach" womöglich noch mehr: Jede einzelne Einstellung ist mit großer Hingabe komponiert (Bildgestaltung: Katharina Bühler). Die Liebe zum Detail zeigt sich nicht zuletzt in den Kapiteltrennern: Die eingeblendeten Wochentage werden mit allerlei Krabbeltier verknüpft. Als Tanja nach einer Woche, in der alles schiefgegangen ist, kaum noch Hoffnung hat, lässt selbst der Montag sein "g" hängen. Ähnlich bemerkenswert ist Poltes Arbeit mit dem Ensemble, auch dies eine Parallele zu ihrem Debütfilm, zumal sie den Mitwirkenden viel Spielmaterial beschert hat.

Endgültig zu einem sehenswerten Werk wird "Immer der Nase nach" jedoch durch die Zuversicht, die die Komödie verbreitet, ohne ihren Realitätsanspruch aufzugeben: Tanja muss keinen heroischen Trotz entwickeln, um sich den Herausforderungen zu stellen; es genügt, dass sie sich nicht unterkriegen lässt, und das gelingt ihr nicht zuletzt mit Hilfe ihrer Mitmenschen. Interessanteste Nebenfigur ist Nick (Helgi Schmid). Der Schreiner ist zwar deutlich jünger als Tanja, verändert jedoch ihr Leben: Von ihm lernt sie, zur Ruhe zu kommen und die Stille zu schätzen. Allein der Einfall, den Mann als Schrottangler ans Ufer zu setzen und ihn mit einem Magneten alles Mögliche aus der Spree fischen zu lassen, ist originell. Ebenfalls eine zunehmend wichtige Rolle in Tanjas Leben spielt die alleinerziehende Alev (Banafshe Hourmazdi, Hauptdarstellerin der Neo-Serie "Loving Her"), die ihr den Weg in die digitale Welt weist. Dabei sind die beiden eigentlich Konkurrentinnen: Sie lernen sich kennen, als die junge Chefin (Larissa Sirah Herden) einer Modefirma nach einem neuen Imagekonzept für ihre Läden sucht; dank der Inspiration durch Nick und einer Portion halluzinogener Pilze schreiten Tanja und Alev schließlich gemeinsam durch die Pforten der Wahrnehmung.

Neben den flotten Dialogen und den immer wieder überraschenden Wendungen liegt die größte Stärke des Films im Ideenreichtum. Immer wieder sorgen mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit inszenierte kleine Alltagsirritationen für witzige Effekte, die stimmig in die Handlung integriert sind. Einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der positiven Wirkung des Films hat zudem die sehr besondere Musik (Marco Meister, Robert Meister, Hannes Gwisdek), die enorm gute Laune verbreitet. Redaktion und Regie betonen in ihren Anmerkungen die gesellschaftliche Relevanz der Geschichte: Tanjas Problem sei keineswegs typisch weiblich, schreibt Redakteurin Beate Bramstedt, und Polte betont, sie habe die Geschichte "bewusst feministisch und divers" erzählt. Dass der Film dies nicht vor sich herträgt, zeichnet ihn ebenfalls aus. Die eigentliche Botschaft ist ohnehin eine ganz andere: Ballast abwerfen, zur Ruhe kommen, sich auch mal treiben lassen.