TV-Tipp: "Tatort: Die dritte Haut"

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TV-Tipp: "Tatort: Die dritte Haut"
Sonntag, 6. Juni, ARD, 20.15 Uhr
Im "Tatort: Die dritte Haut" aus Berlin geht es um das Thema "Entmietung". Und: Das Ermittler-Duo agiert - ausnahmsweise für derzeitige TV-Produktionen - mal corona-gerecht mit Maske etc.

Das Thema liegt in der Luft, nicht nur in der Hauptstadt, aber dort natürlich besonders. Deshalb war es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch Nina Rubin und Robert Karow mit der Gentrifizierung beschäftigen: Eine Immobilienfirma erwirbt ein heruntergekommenes Mietshaus, schikaniert die oftmals alteingesessenen Bewohner so lange, bis sie mehr oder weniger freiwillig ausziehen, verpasst dem Gebäude eines gründliche Sanierung und kann anschließend Mieten verlangen, die die meisten Menschen gar nicht bezahlen können.

Ein Blick ins Archiv zeigt im Übrigen, dass das Problem nicht neu ist: In "Berlin - beste Lage", einem "Tatort" aus dem Jahr 1993, tauchte Karow- und Rubin-Vorgänger Franz Markowitz (Günter Lamprecht) tief in eins dieser typischen Berliner Hinterhofmilieus ein, um den Mord an einem Tischler aufzuklären, dem ebenfalls die "Entmietung" drohte.

Um eine vergleichbare Authentizität bemüht sich auch "Die dritte Haut". Deshalb werden in kurzen Exkursen immer wieder Wohnungsgesuche und Bilder von Menschen eingeblendet, die in viel zu beengten Verhältnissen hausen oder gar auf der Straße leben, weil sie kein neues Obdach gefunden haben; diese Mitwirkenden sind keine Schauspieler, sondern ebenso echt wie ihre kurz angerissenen Schicksale.

Das Drehbuch der mehrfach ausgezeichneten Autorin Katrin Bühlig verfolgt ohnehin einen differenzierten erzählerischen Ansatz. Während die Hausbesitzer in anderen Filmen zu dieser Thematik stets skrupellose Kapitalisten sind, will Gülay Celin (Özay Fecht), deren Immobilienverwaltung auf keinen grünen Zweig kommt, einfach auch nur ein Stück vom großen Kuchen. Ihre Tochter Yeliz (Sesede Terziyan) ist sich ohnehin keiner Schuld bewusst und kann dem Kripo-Duo daher voller Überzeugung versichern, sie und ihre Mutter gehörten zu den Guten.

Für ihren Bruder Cem gilt das allerdings nur bedingt: Der junge Mann hat sich offenbar einiger mieser Methoden bedient und außerdem mit einem vielfach vorbestraften Kriminellen eingelassen. Nun liegt Cem auf dem Bürgersteig, vom Balkon just jenes Hauses gestürzt, dessen Mieter er loswerden will; selbstredend stehen die Bewohner auf der Liste der Verdächtigen ganz oben.

Schon der Auftakt lässt keinen Zweifel daran, wo die Sympathien des Drehbuchs liegen: Wenn es in Filmen im Morgengrauen klingelt, ist das immer ein schlechtes Zeichen. Vor der Tür stehen je nach Handlung und Sujet Gestapo, Stasi, die Polizei – oder, wie in diesem Fall, ein Räumkommando: Eine Familie wird unsanft auf die Straße gesetzt. Otto Wagner (Peter René Lüdicke) hatte eine Abmachung mit seinem Vermieter: Er hat die Wohnung auf eigene Kosten renoviert und blieb deshalb von Mieterhöhungen verschont; doch dann ist das Haus an die Ceylans verkauft worden. Als Busfahrer ist Wagner zwar systemrelevant, aber eine Wohnung kann er sich nun nicht mehr leisten, weshalb er samt Familie in eine Notunterkunft muss.

 

Bühlig und der niederländischen Regisseur Norbert ter Hall – "Die dritte Haut" ist seine erste Arbeit fürs deutsche Fernsehen – erzählen noch weitere Geschichten dieser Art, darunter auch die des trockenen Alkoholikers Kowalski (Timo Jacobs), der nach vier Jahren auf der Straße zu Frau und Kindern zurückkehren möchte; kein Wunder, dass der Film über weite Strecken in erster Linie ein Drama ist.

Damit die Krimiebene nicht zu kurz kommt, setzen Buch und Regie Akzente, die mitunter unnötig übertrieben wirken. Mark Waschke muss den sozial ohnehin nur bedingt kompetenten Karow wieder mal des Öfteren am Rand der Erträglichkeit verkörpern. Seine schroffe Art dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die Kommissarsanwärterin Anna Feil das Weite gesucht hat und in Ostwestfalen gelandet ist, was derart oft erwähnt wird, dass sich der Eindruck aufdrängt, Bühlig habe der ZDF-Reihe "Wilsberg" das Wort "Bielefeld" streitig machen wollen (die Stadt wird in den Krimis aus Münster traditionell in jeder Episode erwähnt). Andererseits ist es eine nette Geste, die junge Kollegin nicht einfach sang- und klanglos verschwinden zu lassen.

Eher befremdlich wirkt dagegen der neue Beziehungsstatus zwischen Karow und Rubin (Meret Becker): Die beiden sind zwar nach wie vor per Sie, lassen sich aber auch mal zu leidenschaftlichen Sex im Flur hinreißen, was Karow jedoch nicht veranlasst, auch nur ein kleines bisschen handzahmer zu werden. Selbst wenn der Reiz der Figur in den Extremen liegt: Dass er die Partnerin bei der Rekonstruktion des Mordes kurzerhand übers Geländer hievt und überm Abgrund baumeln lässt, ist dann doch recht weit hergeholt.

Zu den Mietern ist Karow dagegen meistens freundlich: Einer alten Frau wechselt er die Glühbirne, und zur Befragung Wagners in dessen Bus bringt er sogar Bier mit. Seine Dialoge, bei denen der Übergang zwischen Sarkasmus und Zynismus fließend ist, sind allerdings ähnlich knackig wie Waschkes trainierter Oberkörper.

Geradezu wohltuend ist auch die Berücksichtigung der Realität. "Die dritte Haut" ist endlich mal ein Sonntagskrimi, der die Wirklichkeit der Pandemie nicht leugnet: Die Menschen begrüßen sich mit dem Ellenbogen und tragen Mund/Nasenschutz, was zur Folge hat, dass der stets dunkel gekleidete Karow mit schwarzer Maske noch düsterer wirkt als sonst.