Bedford-Strohm: Vielen droht "seelischer Ruin" im Dauer-Lockdown

Psychischen Folgen des Corona-Lockdowns  für Teenage
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Die sozialen und psychischen Folgen des langen Corona-Lockdowns machen besonders 13- und 14 -jährigen Jugendlichen zu schaffen. "Den ersten Kuss kannst du nicht auf irgendeine iPad-Scheibe geben", sagt der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm.
Bedford-Strohm: Vielen droht "seelischer Ruin" im Dauer-Lockdown
Kurz vor Ostern fordert die evangelische Kirche mehr Berücksichtung der sozialen und psychischen Folgen des Lockdowns. Das Fest will sie nutzen, um Hoffnung und Zuversicht zu verbreiten. Gleichzeitig fordert sie eine klare Botschaft der Politik.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, fordert mehr Aufmerksamkeit für soziale und psychische Folgen des langen Corona-Lockdowns. Die "seelische Inzidenz" steige, sagte der bayerische Landesbischof in Anspielung auf den Sieben-Tage-Infektionswert bei einer Video-Pressekonferenz. Viele Beschäftigte im Einzelhandel, in der Gastronomie oder Kultur sähen sich der Gefahr des materiellen Ruins ausgesetzt. Vielen drohe aber auch der "seelische Ruin". Diese Probleme müssten in der Öffentlichkeit mehr Berücksichtigung finden, sagte Bedford-Strohm. Die evangelische Kirche wolle das bevorstehende Osterfest nutzen, um für Kraft, Hoffnung und Zuversicht zu werben.

Heinrich Bedford-Strohm empfahl ein baldiges neues Treffen der Regierungschefs und -chefinnen von Bund und Ländern.

Der Bischof verwies insbesondere auf junge Menschen. Im Alter von 13 und 14 Jahren mache man innerhalb eines Jahres so viele wichtige Erfahrungen wie später in zehn Jahren nicht mehr. Oft setzten diese aber persönliche, physische Kontakte voraus, die derzeit nicht möglich seien. "Den ersten Kuss kannst du nicht auf irgendeine iPad-Scheibe geben", sagte Bedford-Strohm.

Lockerungen und Regeln

Nach seinen Angaben sind die Anfragen bei kirchlichen Beratungsstellen - etwa der Chatseelsorge - in der Pandemie um 70 Prozent gestiegen. Die Pandemie vertiefe zudem die soziale Kluft, sagte Bedford-Strohm. Unter Berücksichtigung dieser Folgen sprach sich der Theologe für die Modellprojekte für Lockerungen mit Hilfe von Schnelltests aus, wie sie derzeit einzelne Länder und Landkreise planen. Die Möglichkeiten für Öffnungen müssten genutzt werden, sagte er - ergänzte aber auch, dass die Menschen weiterhin die Kraft aufbringen müssten, sich an Regeln wie Abstand und Maske zu halten.

Die Modellprojekte sorgen in der Politik derzeit für eine hitzige Diskussion. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte in der ARD-Sendung "Anne Will" zu Vorsicht. Angesichts der steigenden Zahlen und der ansteckenderen Virusvariante B.1.1.7 sei derzeit nicht die Zeit für Öffnungen, sagte sie und forderte die Ministerpräsidenten auf, die vereinbarte Notbremse bei einer Inzidenz von mehr als 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen einer Woche zu ziehen, Öffnungen also auch wieder zurückzunehmen.

Bedford-Strohm sagte, er wünsche sich "Hörbereitschaft und Verständnis" für die Situation vor Ort, aber "natürlich auch - da verstehe ich die Kanzlerin -, dass man die Verabredungen einhält". Nach dem Kassieren des Beschlusses der sogenannten Osterruhe, der in der vergangenen Woche viel Kritik auch seitens der Kirchen hervorgerufen hatte, empfahl Bedford-Strohm einen baldigen erneuten Austausch der Regierungschefs und -chefinnen von Bund und Ländern, "der dann ermöglicht, dass die Runde mit einer gemeinsamen Position an die Öffentlichkeit gehen kann". Das "Hü und Hott" der vergangenen Woche koste Vertrauen. Es werde eine klare politische Botschaft gebraucht, sagte er.

Dabei zeigte der bayerische Landesbischof, der zugleich Spitzenrepräsentant der evangelischen Kirche mit ihren 20 Landeskirchen ist, Verständnis für das Ringen der unterschiedlichen Interessen. Vor der Sitzung der Kirchenkonferenz in der vergangenen Woche, in der es um Präsenzgottesdienste zu Ostern ging, habe auch er nicht gewusst, wie sich die Landeskirchen jeweils in der sehr schwierigen, nervösen Situation positionieren. Die Antwort sei am Ende einmütig gewesen, sagte er und verteidigte den Beschluss der Landeskirchen, Gemeinden selbst entscheiden zu lassen, ob sie Präsenz- oder digitale Gottesdienste anbieten.