Was ein Divisionspfarrer im Zweiten Weltkrieg erlebte

Pfarrer an der Ostfront
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Ein katholischer Pfarrer feiert im Sommer 1941 an der Ostfront einen Feldgottesdienst. Auch der evangelischen Pfarrer Manfred Wintzer, der von 1939 bis 1945 als Divisionspfarrer wirkte, war an der Ostfront stationiert.
Was ein Divisionspfarrer im Zweiten Weltkrieg erlebte
Überraschende Einblicke in den Alltag der Frontsoldaten des Zweiten Weltkriegs gewährt ein Tagebuch des evangelischen Pfarrers Manfred Wintzer (1902 bis 1982), der von 1939 bis 1945 als Divisionspfarrer wirkte.

Unter dem Titel "Dokumente von privater Hand" findet sich im Archiv des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Kassel das "Kriegstagebuch des Divisionspfarrers Manfred Wintzer, 1939 bis 1945". Der in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck beheimatete Geistliche, der auch der Bekennenden Kirche angehörte, wirkte demnach zunächst an der Westfront, wechselte dann 1941 an die Ostfront.

Der Blechkoffer gehörte zur Ausstattung der Kriegspfarrer. Auch ein Tagebuch fand sich in einem Koffer, den das Archiv des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfuersorge in Kassel 2006 von Wintzers Tochter übereignet bekam.

Das Tagebuch fand sich in einem Koffer, den das Archiv 2006 von Wintzers Tochter übereignet bekam, erklärt Diane Tempel-Bornett, Pressesprecherin der Kriegsgräberfürsorge. Zwar seien die mit Schreibmaschine und mit Bildern versehenen Aufzeichnungen inzwischen eingescannt, aber bisher nicht veröffentlicht worden, sagte sie. Der Blechkoffer gehörte zur Ausstattung der Kriegspfarrer. In ihm waren, wie Wintzer in seinem Tagebuch selbst beschreibt, unter anderem ein Kreuz, ein Altartuch und ein Kelch zu finden - "alles bestens ausgedacht und aus gutem Material".

Gottesdienste in entweihten Kirchen

Natürlich spielt auch der strenge russische Winter, auf den die Wehrmacht nur ungenügend vorbereitet war, im Tagebuch des Geistlichen eine Rolle, doch beschreibt Wintzer auch zahlreiche andere Ereignisse. So war es zu Beginn des Feldzuges offenbar Brauch, in den Kirchen vor Ort - sowohl in Frankreich, aber auch später in der Sowjetunion - Gottesdienste zu halten, vor allem, wenn es sich um evangelische Kirchen handelte. Gottesdienste waren, so erklärt Wintzer, sogar als Pflicht angesetzt. Wer nicht teilnahm, musste sich entschuldigen. Das Verhältnis der Soldaten zur Militärseelsorge sei aber zunächst "sehr unterschiedlich" gewesen, notiert er. In seinen Einträgen schildert Wintzer immer wieder das Auffinden von entweihten Kirchen, die von den Sowjets einer profanen Verwendung zugeführt wurden.

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Regelmäßig habe man solche Kirchen mit Hilfe der Soldaten und bisweilen auch der Einheimischen gesäubert. Altarwände wurden wieder aufgestellt und sogar Gottesdienste gefeiert. Selbst getauft hat Wintzer in den wieder instandgesetzten Kirchen mehrfach. Am 23. September 1941 allerdings vermerkt er in seinem Tagebuch, dass der Führer befohlen habe, keine Gottesdienste mehr in russischen Kirchen zu feiern, auch deren Instandsetzung sei zu unterlassen. "Sie müssen gottlose Museen oder Werkstätten oder Kinos bleiben", beklagt Wintzer diesen Befehl zum Umgang mit den Gotteshäusern. Und fügt hinzu: "Wir haben uns damit das große Vertrauen der Russen, das sie uns entgegenbrachten, verscherzt".

Begleitung bei Hinrichtungen

Immer wieder erzählt Wintzer auch schon fast skurril anmutende Geschichten. So etwa entdeckte seine Truppe in Pleskau in als Lager missbrauchten Gotteshäusern drei Millionen Eier. "Jeder Soldat bekommt am Abend vier gekochte Eier", hält er fest. Ansonsten muss der Ort einen trostlosen Eindruck hinterlassen haben. "In der Stadt sind fürchterliche Gestalten. Das Bürgertum ist bewusst ausgerottet", gibt Wintzer seinen Eindruck der sowjetischen Herrschaft wieder. Gleich darauf aber wieder ein erfreulicher Eintrag: "Hoffmann von der Registratur hat ein 700-Liter-Fass mit Rotwein erbeutet."

Ein katholischer Divisionspfarrer spricht im Herbst 1942 an der Ostfront vor Stalingrad zu einem Marschbataillon.

Schwer zu schaffen machten dem Pfarrer die Hinrichtungen wegen Fahnenflucht: "Mein schwerster Dienst war, bei der Erschießung von Kameraden teilzunehmen", räumt er ein. Die Angehörigen benachrichtigte er per Brief. Manchmal feierte er mit den zu Tode Verurteilten vorher noch das Abendmahl.

Wintzer zählt in seinem Tagebuch akribisch auf, welche gefallenen Soldaten er wo vor Ort beerdigte, was zu seinen fast täglichen Pflichten gehörte. Bisweilen ließ er ganze Friedhöfe anlegen. Auch russische Soldaten erhielten demnach ein Begräbnis.

Nach dem Krieg wirkte Wintzer als Pfarrer zunächst in Eschwege, später in Simmershausen bei Kassel, wo er von 1966 bis 1970 auch Dekan des damaligen Kirchenkreises Kassel-Land war. 1970 trat er in den Ruhestand, 1982 verstarb er.