TV-Tipp: "Babylon Berlin"

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TV-Tipp: "Babylon Berlin"
11. Oktober, ARD, 20.15 Uhr
"Babylon Berlin" ist längst mehr als bloß eine Serie. Die vermutlich herausragendste deutsche TV-Produktion der letzten zwanzig Jahre markiert in vielerlei Hinsicht den Beginn eines neuen Zeitalters in der hiesigen Medienlandschaft, und das nicht nur, weil mit Sky und der ARD erstmals zwei gänzlich konkurrierende Lager miteinander kooperiert haben. Der Verkauf der ersten beiden Staffeln in hundert Länder ist der Beleg dafür, dass das deutsche Fernsehen die Netflix-Botschaft verstanden hat; unter den Käufern ist übrigens auch Netflix USA.

Nun zeigt auch das Erste die bei Sky bereits zu Beginn des Jahres ausgestrahlte dritte Staffel. Die Erwartungen sind naturgemäß hoch, schließlich hat das Autoren- und Regietrio Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten dem Bezahlsender Sky herausragende Zuschauerzahlen beschert. Außerdem hat die Serie mit Grimme-Preis und Deutschem Fernsehpreis die wichtigsten deutschen TV-Trophäen gewonnen, dazu noch den Europäischen Filmpreis. Dass die Resonanz bei der Free-TV-Premiere in der ARD nach anfänglichem Triumph gerade auch beim Publikum unter 50 sukzessive zurückging (von 7,8 Millionen auf schließlich 4,3 Millionen) war angesichts des künstlerisch hohen Anspruchs nicht weiter verwunderlich und hat die Begeisterung der ARD-Verantwortlichen zum Glück nicht getrübt, zumal die Serie 10 Millionen Mal in der Mediathek abgerufen worden ist.

Übertreffen kann sich das Autoren- und Regietrio mit den zwölf neuen Folgen im Grunde gar nicht, aber das ist auch nicht nötig. Es genügt völlig, wenn sie dem selbstgesetzten Standard genügen; und das tun sie voll und ganz. Der ganz spezielle Zauber, den die Bilder (Kamera: Bernd Fischer, Philipp Haberlandt, Christian Almesberger) verbreiten, stellt sich bereits mit dem alptraumartigen Auftakt umgehend wieder ein: Der Held, Gereon Rath (Volker Bruch), stolpert am Tag des großen Börsenkollapses im Oktober 1929 wie in Trance durch ein Bankgebäude, bergeweise flattern Papierbögen in die Eingangshalle. Als er die Tür öffnet, wird er überrannt; die Vorgeschichte wird in langer Rückblende erzählt. Das Drehbuch basiert auf dem zweiten Roman von Volker Kutschers Gereon-Rath-Zyklus, "Der stumme Tod" (Kiepenheuer & Witsch). Die Konsequenzen der Ermordung von Regierungsrat Benda (in den ersten Staffeln von Matthias Brandt verkörpert) durch Nationalsozialisten ziehen sich auch durch die dritte Staffel: Bendas Nazi-Nachfolger (Benno Fürmann) sorgt dafür, dass das Attentat den Kommunisten in die Schuhe geschoben wird.

Kriminalkommissar Rath ist zwar empört, muss sich aber auf einen anderen Fall konzentrieren, und dieser Ebene der Handlung verdanken die neuen Folgen ihre Schauwerte: Bei den Dreharbeiten zu einem der ersten Tonfilme in Babelsberg, "Dämonen der Leidenschaft", ist der kommende Star am deutschen Filmhimmel von einem herabstürzenden Scheinwerfer erschlagen worden. Was zunächst wie ein tragischer Unfall wirkt, entpuppt sich als Mord. Die Tat ist der tödliche Höhepunkt diverser Vorfälle, die sich als Sabotageakte herausstellen. Ziel der Anschläge ist die Filmproduktion, aber getroffen wird die Unterwelt: Nach der Verwüstung seines Lokals "Moka Efti" hat der "Armenier" (Mišel Matičević) das Filmgeschäft entdeckt und eine Million Reichsmark investiert. Es handelt sich jedoch nicht etwa um Schwarzgeld, sondern um einen Bankkredit, und nun haben der Armenier und sein Kompagnon Walter Weintraub (Ronald Zehrfeld) ein Problem: Bei Mord zahlt die Versicherung nicht. Natürlich ist auch Raths Kriminalassistentin Lotte Ritter wieder mit von der Partie, schließlich ist Liv Lisa Fries durch die Serie zum Star geworden. Raths wichtigster Zeuge wird vor seinen Augen erschossen. Als der Mörder auch die Zweitbesetzung der Hauptrolle umbringt, ist Lotte ebenfalls quasi Augenzeugin, aber das nützt ihr nicht viel: Der Täter trägt ein Kostüm aus "Dämonen der Leidenschaft"; die Verkleidung erinnert auf reizvolle Weise an die Maskerade aus dem französischen TV-Klassiker "Belphégor oder das Geheimnis des Louvre", 1965.

Mit vierzig namhaften Darstellern ist die dritte Staffel erneut verschwenderisch besetzt. Die Serie hat zwar mit Matthias Brand und Peter Kurth zwei der interessantesten Mitwirkenden verloren, aber dafür spielen nun unter anderem Meret Becker und Martin Wuttke mit. Immer noch dabei ist Jens Harzer in seiner Gastrolle als Gereons Therapeut und todgeglaubter Bruder. Seine Auftritte gehören zu den mysteriösesten Momenten der Serie, weil sie Gereon in die Unterwelt seiner eigenen Psyche führen: In einer traumartigen Szene geht er auf eine Litfasssäule zu, öffnet eine Tür und steigt in die Tiefe. Allein das Licht dieser Aufnahmen ist derart kunstvoll, dass zumindest die Bildgestaltung garantiert wieder für den Deutschen Fernsehpreis nominiert wird; für die ungeheuer aufwändige Ausstattung (Uli Hanisch) und das Kostümbild (Pierre-Yves Gayraud) gilt das jedoch nicht minder.

Darüber hinaus haben es sich Tykwer, Borries und Handloegten nicht nehmen lassen, die Zeitläufte mit einigen authentischen Wiedererkennungseffekten zu versehen; die Parallelen etwa im Sprachgebrauch zwischen den zur Macht strebenden Nationalsozialisten und modernen Rechtspopulisten sind offenkundig. Wie ein Kommentar zur Bankenkrise wirken dagegen die Auftritte von Unternehmerspross Nyssen (Lars Eidinger), der angesichts des Aktien-Booms, in dessen Verlauf sich viele Kleinanleger weit über ihre Verhältnisse verschulden, düster prophezeit: "Das wird alles implodieren."