Der ewige Mensch

In der Zukunftsvision lebt der Mensch ewig.
© Colin Anderson / Stocksy
Der ewige Mensch birgt zwei Gefahren: erstens den eugenetischen Exzess, zweitens den Verlust von Individualität.
Der ewige Mensch
Silicon Valley-Forscher züchten den ewigen Menschen: In ihrer Zukunftsvision lebt der Mensch ewig und hat unendliche Freizeit, weil Roboter ihm alle Arbeit abnehmen. Dabei betrügen diese Forscher sich in einer Grundfrage: der nach dem Sinn unserer Existenz als Geschöpf und Mensch.

"Der erste Mensch, der tausend Jahre leben wird, ist vielleicht schon geboren!" triumphiert der französische Genetik-Arzt Laurent Alexandre. Die Forscher des Silicon Valley wollen den Tod völlig überwinden und durch den ewigen Menschen ersetzen. In dieser Utopie hat der Mensch alle Arbeit an Roboter und Maschinen delegiert, Tod und Krankheit sind abgeschafft, der Mensch lebt zum ewigen Genuss.

Diese Vision hat sich schon teilweise wahrgemacht. Es gibt schon heute eine Reihe von Operationen und Methoden, die Lebensdauer des Menschen zu verlängern: Der Nanorobotik-Wissenschaftler Robert Freitas baut Nanomaschinen in den menschlichen Körper ein, die erkrankte Gene - die so genannten Pathogene - durch gesunde ersetzen sollen.

Auch der Genforscher Aubrey de Grey will den Menschen aufrüsten zur Unsterblichkeit. Seine sieben dazu gehörigen Strategien sind: Normale Zellen werden in unsterbliche Zellen umgewandelt, modifizierte Kopien der Mitochondrien-Gene werden in den Zellkern eingesetzt, man beseitigt intrazellulären und extrazellulären "Abfall", macht die Proteinvernetzung rückgängig, stimuliert die Zellteilung und entfernt gealterte Zellen.

Bei der Kryonik friert man den ganzen Menschen einfach ein: Bei minus 196 Grad Celsius kommt der Gewebeverfall zum Stillstand. Wer sich heute einfrieren lässt, hofft, dass man ihn etwa in hundert Jahren auftaut und dann mit alterungsresistenten Bauteilen zum ewigen Menschen ausbaut.

Auch der Cyborg ist so eine laborgestützte Aufrüstung. Nach der Technik des künstlichen Herzen ersetzt man auch andere biologische Organe durch technische Alternativen. Man integriert in das Gehirn Neuro-Implantate: Der Mensch wird eine Mischung aus Mensch und Computer. Schließlich versuchen Menschen schon jetzt, beim "Mind Uploading" ganze Hirnteile in digitale Einheiten zu kopieren, wo sie sich besser konservieren.

Was ist der Mensch? Mehr als Materie

Volker Jung warnt in seinem Buch Digital Mensch bleiben (München, Claudius Verlag 2018) vor den drei Utopien der Silicon-Valley-Forscher: der ewige Mensch, die Welt ohne Krieg, Flucht und Armut sowie die Verschmelzung von Mensch und Roboter. Volker Jung ist überzeugt, dass die Digitalisierung "Grundfragen menschlichen Lebens" berührt. Und dass die theologische Sicht auf diese Herausforderung hilfreich sein kann und orientierend. Viele seiner theologischen Antworten helfen auch, sich zu positionieren in der Frage des ewigen Menschen.

Die Digitalisierung wirft nach Jung eine existentielle Frage wieder auf: was ist der Mensch? Ist er nur Materie oder mehr? Jung schildert eine Begegnung mit einem Experten für Digitale Transformation. Der sieht keine Probleme in der Gegenwart, sei es der Krieg in Syrien, die Flüchtlinge im Mittelmeer oder etwa zu geringe Renten. Seine Antwort: Diese Probleme würden durch Technik gelöst. Jung zitiert den israelischen Historiker Yuval Noah Harari mit dessen Utopie eines künftigen "Dataismus". In dieser Datenreligion lasse sich alles auf der Welt, auch der Mensch in seiner ganzen Komplexität, als Datenstrom beschreiben. Man könne dann diese Daten manipulieren bis dahin, den Tod ganz zu überwinden.

Jung spitzt zu: Aufrüsten könne man den Menschen nur dann, wenn der Mensch reine Materie sei. Jung aber beruft sich auf die Bibel: der Mensch ist mehr als nur Stoff: Er zitiert Psalm 8, Verse 5-6: "Was ist der Mensch, dass Du seiner gedenkst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast Du ihn gekrönt." Darin liege zugleich eine Verantwortung und eine Freiheit: der Mensch sei auch frei, sich selbst zu überschätzen. Als Beispiel führt Jung den Turmbau zu Babel an.

Die Würde und der Wert des Lebens, schreibt Jung, lägen gerade in seinen Grenzen. Darin liegt die Stärke des Buches: Er verteufelt die Silicon-Valley-Utopien nicht, sondern beschreibt sie viel nüchterner als eine Art überflüssigen Selbstbetrug. Das wird deutlich an Jungs Beispielen zum Verhalten von Robotern, die immer an einprogrammierte und vorgegebene Kriterien gebunden sind.

Der Mensch wendet dagegen im Alltag seine emotionale und soziale Intelligenz an. Und die sei mehr als die Summe zusammengerechneter Daten, führt Jung aus. Der Mensch habe Gefühle und entscheide aus der Situation heraus. Das mache sein Bewusstsein aus. In der Theologie nenne man dies: den Geist und die Seele. Durch diesen "Odem des Lebens" hat Gott im Menschen ein Gegenüber. Der Mensch könne sich damit zu sich selbst, zu anderen Menschen und zu Gott eigenständig in eine Beziehung setzen. In Jungs Buch wird deutlich: Die Einsatzgrenze der Roboter liegt dort, wo die emotionale und soziale Intelligenz des Menschen anfängt.

Jede Technik kann missbraucht werden

Man kann das, was Jung über die Digitalisierung sagt, auf den ewigen Menschen anwenden. Der ewige Mensch birgt zwei Gefahren: erstens den eugenetischen Exzess, zweitens den Verlust von Individualität.

Das bedeutet erstens folgendes: Zum Wesen des Menschen gehört, dass er zuerst eine Erfahrung macht und dann auf dieser Grundlage einen Wert schafft. Solange der Mensch hundert Jahre alt werden kann, sind hundert Jahre eine Lebensdauer, die wir anstreben. Wenn der Mensch aber in Zukunft zweihundert Jahre alt werden kann, werden dadurch die früheren hundert Jahre entwertet. So kann sich die Sehnsucht nach dem langen Leben ins Unendliche steigern, ohne jede Genugtuung. Die Erfüllung wird durch die Unendlichkeit verhindert.

Zweitens: Jede Technik kann missbraucht werden. Berühmt geworden ist 2013 der Fall der Schauspielerin Angelina Jolie, die sich wegen eines erhöhten Brustkrebsrisikos auf eine doppelte Brustamputation einließ, ohne an Krebs erkrankt zu sein. Kann man auf diese Weise die Krankheit aus der Welt schaffen? Sie konnte das - und das Beispiel zeigt, dass vor allem eines wichtig ist: Die einzelne Nutzerin muss selbstbewusst entscheiden können. Die Frage stellt sich im Grunde vor jeder Schönheitsoperation, die nicht medizinisch notwendig ist, aber gefühlt eine Verbesserung bedeutet. Wer die Operation ablehnt, sagt sich: "Das gehört so zu mir, wie es ist." Wenn er fromm ist, sagt er: "Gott hat mich geschaffen, wie ich bin." Die Würde des Menschen hängt mit diesem Selbstbewusstsein zusammen.

Wir können heute den Menschen genetisch und digital zum Helden aufrüsten. Aber wollen wir das? Noch müssen sich nur die Menschen dieser ethischen Herausforderung stellen, die es sich leisten können. Aber irgendwann wird es soweit sein, dass jeder Mensch für sich selbst entscheiden muss: Will ich zweihundert Jahre alt werden? Dann braucht jeder Mensch die Freiheit, darüber selbst entscheiden zu können. Welche genetischen Operationen, welche digitalen Implantate lässt man mit sich machen? Die Freiheit dafür muss uns erhalten bleiben - politisch, ethisch, menschlich.