Wir machen alles

Beate Skrandis unterrichtet Geflüchtete im Sprachtreff der Matthäusgemeinde in Darmstadt.
Foto: Nina Flauaus
Beate Skrandis unterrichtet Geflüchtete im Sprachtreff der Matthäusgemeinde in Darmstadt.
Wir machen alles
Eine Kirchengemeinde hilft Geflüchteten
Mit einem Kirchenasyl fing es an, der Sprachtreff kam hinzu, die Fahrradwerkstatt, gemeinsames Kochen, Arbeit mit jugendlichen Geflüchteten. Die Matthäusgemeinde in Darmstadt macht beinahe alles, was eine Kirchengemeinde für Geflüchtete tun kann. Wie schafft sie das?

Die Geschichte der Matthäusgemeinde beginnt nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Flucht von Millionen Menschen. Die Vertriebenen und Geflüchteten, die der Heimstättensiedlung in Darmstadt nach 1945 zugewiesen worden waren, bauten ihre Kirche mit ihren eigenen Händen auf, nach den Plänen des Architekten Otto Bartning. Im Jahr 2014 bricht ein Teil dieser Geschichte wieder auf: So viele Menschen sind auf der Flucht, wie seit dem  Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Im Jahr 2015 erreicht eine Million davon Deutschland, einige Tausend Darmstadt, mehrere Hundert die Heimstättensiedlung. So verändert sich das Gesicht dieser Gegend wieder. Sie wohnen in Notunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete. Und sie finden in der evangelischen Matthäusgemeinde in Darmstadt Menschen, die sich bemühen, sie willkommen zu heißen.

Andreas Schwöbel ist seit vier Jahren Pfarrer dieser Gemeinde. Das Thema Flucht beschäftigte ihn und ein Vorbereitungsteam zum ersten Mal konkret für die Nacht der Kirchen im Jahr 2014. Die Nachrichten von gekenterten Booten auf dem Mittelmeer erreichten Deutschland damals im Wochentakt; Andreas Schwöbel lud eine Referentin zum Thema Kirchenasyl ein. Eine Woche später vermittelte die Referentin der Gemeinde einen Eritreer, der den Schutz der Kirche vor seiner Abschiebung brauchte. Wenig später zog ein zweiter Eritreer ein.

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"Das Leben ist uns vor die Füße gefallen und wir haben es aufgehoben", sagt Andreas Schwöbel. Inzwischen führt die Gemeinde ihr drittes Kirchenasyl durch. Hinzugekommen sind ein Sprachtreff für die Geflüchteten, die in der Umgebung der Gemeinde wohnen. Dreimal die Wochen bieten Ehrenamtliche dieses Treffen an, um den Wartenden in den Unterkünften Kontakt zur Sprache und zu Menschen der Gemeinde zu ermöglichen; das angrenzende Jugendhaus wurde einbezogen, eine Mitarbeiterin betreut die Kinder während der Sprachkurse. Zum Sprachtreff kamen Kochnachmittage im Gemeindehaus hinzu.

"Wir sind in die Einrichtungen gegangen, haben uns vorgestellt und gefragt, was gebraucht wird", sagt Andreas Schwöbel. So ergab es sich, dass die Gemeinde Fahrräder sammelte und verteilte, dass sie mit dem Fahrradladen in der Siedlung kooperierte und eine eigene Fahrradwerkstatt aufmachte, in der einmal pro Woche ein Ehrenamtlicher gemeinsam mit Geflüchteten Fahrräder repariert. Das Werkzeug dafür bekamen sie über einen Aufruf im Gemeindebrief.

Pfarrer Andreas Schwöbel begründet, warum er 20 Iraner ohne den Taufunterricht abzuschließen getauft hat.

Ein Kirchenvorsteher vermietete seine Wohnung an eine Syrerin und ihre zwei Kinder. Für die Schwester dieser Frau unterschrieb Pfarrer Schwöbel eine Verpflichtungserklärung. Wie eine Krake fährt die Matthäusgemeinde stetig Tentakel der Hilfe aus. Und es helfen viele Menschen, die vorher nicht in der Gemeinde aktiv waren.

Andreas Schwöbel und sein Kollege bieten seit dem Sommer 2016 einen Taufkurs an. 14 geflüchtete Iraner kommen seit ein paar Monaten regelmäßig, eine Dolmetscherin hilft ihnen, sich zu verständigen. Um sie für ihre Interviews bei der Ausländerbehörde vorzubereiten, hat Anderas Schwöbel die Frauen und Männer bereits vor dem Ende des Kurses getauft. "Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse?", so heißt es in der Apostelgeschichte 8,37-38. Diese Bibelstelle habe ihn zur spontanen Taufe von 20 Menschen motiviert, sagt Andreas Schwöbel.

Monika Vogel, Ehrenamtliche und Kirchenvorsteherin, erzählt Alis Geschichte.

Monika Vogel ist in der Heimstättensiedlung aufgewachsen. Sie hat ihre zwei Kinder hier groß gezogen. Ihre Großeltern und Eltern kamen als Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg in die Heimstättensiedlung in Darmstadt. "Sie hatten es nicht leicht hier anzukommen", das weiß Monika Vogel aus vielen Gesprächen. Die Alteingesessenen waren nicht sonderlich erfreut über die Zugewiesenen. Aber heute, nach knapp 70 Jahren, gehörten auch die ehemaligen Flüchtlinge dazu, nun seien sie hier eben alle Heimstättensiedler.

Als Übungsleiterin für Seniorensport hat Monika Vogel mit vielen Älteren zu tun. "Da gibt es Ängste, auch hochgespielt von Medien und populistischen Politikern", sagt Vogel. "Wie sollen wir das schaffen mit so vielen Menschen?", werde sie häufig gefragt. Als sie mitbekam, dass ihre evangelische Gemeinde ein Kirchenasyl durchführte, wollte sie dabei sein. Heute kümmert sie sich auch um den Sprachtreff und hat sich in den Kirchenvorstand wählen lassen. "Ich bin stolz darauf, was meine Gemeinde alles tut", sagt sie. Doch vor allem: "Ich kann den Menschen, die Angst haben, heute entgegentreten und sagen: Ihr müsst die Menschen kennenlernen. Und erinnert Euch daran: Auch Euch ist es einmal so gegangen wie den Flüchtlingen heute. Ihr habt auch gesagt, ihr seid doch nur Menschen." Und dann verschwinde die Angst, sagt Monika Vogel; und sie findet, dass ihr Leben bunter geworden ist, mit all den Erfahrungen, die sie in nur zwei Jahren gesammelt hat.

Amélie Zugwurst über Ballsport mit Geflüchteten.

Amélie Zugwurst ist Sozialpädagogin und arbeitet im offenen Kinder- und Jugendhaus, das an die Matthäusgemeinde grenzt. Seit September 2016 kümmert sie sich um die Kinder, die betreut werden müssen, während ihre Eltern im Sprachtreff der Matthäusgemeinde ein wenig deutsch lernen. Zudem spielt sie Fußball und Volleyball mit deutschen Jugendlichen und unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten aus den Einrichtungen der Umgebung. Einmal im Monat kocht sie mit einer Gruppe dieser jungen Menschen. Andreas Schwöbel hat für einen Teil von Amélie Zugwursts Stelle eine Spende der Stadt erhalten und Geld aus dem Flüchtlingsfond der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) bekommen. Die Sozialpädagogin ist vor allem von den gemischten Angeboten für deutsche und geflüchtete Jugendliche überzeugt: nur so könne Integration gelingen, sagt sie. Die Jugendlichen träfen sich im Jugendhaus, um zu kochen und zu spielen und dann sähen sie sich im Bus und auf dem Schulhof: "Nur durch die Dinge, die sie gemeinsam tun, können sie Verständnis füreinander bekommen."

Beate Skrandis und Angelika Malinski sind zwei von cirka drei Dutzend Ehrenamtlichen, die in der Matthäusgemeinde mittlerweile Aufgaben in der Flüchtlingshilfe übernommen haben. Beate Skrandis gehört keiner Kirche an, findet es aber toll, was die Kirche für Flüchtlinge tut und geht nun auch häufiger in den Gottesdienst. Angelika Malinski ist pensionierte Lehrerin und freut sich, ihre Fähigkeiten auch im Ruhestand für Menschen nutzen zu können, die in Not sind und Hilfe brauchen. Im Video erzählen sie, warum sie sich engagieren:

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