Tausend Liter Kaffee für Bremens Obdachlose

Foto: Bremer Kirchenzeitung/Matthias Dembski
Tausend Liter Kaffee für Bremens Obdachlose
Rucksack-Café: Streetworker Harald Schröder sucht Obdachlose auf
Ein Streetworker der Bremischen Evangelischen Kirche kümmert sich seit zwei Jahren um Bremens Obdachlose in der Innenstadt. Er trinkt mit ihnen Kaffee, hört zu und hilft, wenn sie das wollen, bei einem Start in ein neues Leben.

Harald Schröder stellt Maik die Frage eher nebenbei. "Möchtest Du einen Kaffee?" Maik nickt, während er von seinen Entgiftungsplänen erzählt. Harald Schröder greift in seinen Rucksack, schenkt ein und hört Maik weiter zu. Er kennt die Biografien fast jedes einzelnen Obdachlosen in Bremens Innenstadt. Harald Schröder ist Diakon und Streetworker.

Das Projekt der Bremischen Evangelischen Kirche heißt "Aufsuchende Seelsorge mit Menschen, die in Armut leben". Als Türöffner des Projekts dient das Rucksack-Café. Rund 1.000 Liter auf 150 Touren hat Harald Schröder bislang ausgeschenkt. "Wenn ich mir Zeit lasse, komme ich an einem Tag mit ungefähr 30 Personen ins Gespräch", sagt Harald Schröder.

Seit zwei Jahren läuft das Projekt, seinen Ursprung hat es in der Winterkirche 'Unser Lieben Frauen'. Von Januar bis März 2012 konnten sich Menschen im Gemeindehaus jeden Montag wärmen. Dabei wurde klar: Das Angebot reicht nicht aus. Die meisten Besucher der Winterkirche lebten in akuter Wohnungsnot oder in Verhältnissen, die kaum zumutbar und zugleich unzumutbar teuer seien, sagten die Organisatoren.

Maik ist einer von ihnen. Er sitzt an diesem Vormittag auf seinem Stammplatz zwischen dem größten Kaufhaus der Bremer Innenstadt und dem Kirchhof Unser Lieben Frauen. Sein Hund kaut auf einem Knochen, Maik scheint es gut zu gehen – zumindest den Umständen entsprechend. "Ich bin polytoxisch", sagt er verschmitzt lächelnd, "sozusagen im Genussbereich beheimatet." Maik möchte eine Entgiftung machen und hofft danach auf einen Neustart in seinem Leben.

Immerhin hat er eine Krankenkassenkarte und kann bei Bedarf zum Arzt gehen. Zumindest theoretisch. Später berichtet Harald Schröder, dass Maik eigentlich neue Zähne bekommen sollte, doch die Finanzierung sei nicht geklärt. Überhaupt die Zähne. "An ihrem Zustand lässt sich erkennen, wie arm ein Mensch ist", sagt der Streetworker.

Harald Schröder packt im Suppenengel Café seinen Kaffee für die nächste Tour ein.

Inzwischen ist er bei Gunnar angekommen. Er, vielleicht Mitte 50, sitzt im Rollstuhl. Gunnar hatte einen lebensgefährlichen Unfall, ihm wurden dann beide Beine abgenommen. Heute macht er einen gutgelaunten Eindruck: "Kaffee? Klar, schwarz." Die Atmosphäre ist locker. Harald Schröder fragt nach einigen der Innenstadt-Obdachlosen. Gunnar weiß immer, wer sich gerade an welchem Platz aufhält – wie alle, die der Diakon antrifft. Es ist eine Welt für sich – gleichwohl sei jeder auf sich gestellt, sagt Harald Schröder. Er fragt nach Harald. "Der sitzt an seinem Stammplatz vor der Sparkasse", sagt Gunnar.

Auf dem Weg dorthin bleibt Harald Schröder bei Kurt stehen. Er sitzt auf der Brücke über die Bremer Wallanlagen, eine Frau stößt später dazu. Sie war gerade bei den "Suppenengeln" um zu essen und ist guter Dinge. Die Frau hat mit Hilfe des Diakons und der Behörden den Sprung aus der Obdachlosigkeit geschafft. "Ich habe jetzt eine eigene Wohnung", berichtet sie stolz, während sie mit Kurt ihren Kaffee mit Milchpulver und Zucker trinkt.

Ein Großteil der Menschen, mit denen es Harald Schröder zu tun hat, entsprechen ganz und gar nicht dem Klischee des verwahrlosten Obdachlosen. Das sei nur ein kleiner Teil, sagt der Streetworker. Diese Erfahrung hat auch Kamile Kantarci gemacht. Die Krankenschwester ist Initiatorin des Hamburger Projekts "Ein Rucksack voll Hoffnung", das es seit Oktober 2014 gibt. "Die meisten sind gepflegt und man würde ihnen auf den ersten Blick nicht ansehen, dass sie obdachlos sind", sagt Kamile Kantarci.

Sie und ihre Mitstreiter suchen die Menschen dort auf, wo sie leben – auf der Straße, an öffentlichen Plätzen. Für die Betroffenen gibt es einen Rucksack. Darin befinden sich Dinge des täglichen Bedarfs. "Zahnbürsten und Zahnpasta, Einwegrasierer, Feuchttücher, Deo, Unterwäsche, Socken, etwas zu Trinken, Kekse, Stift und Schreibblock" listet Kamile Kantarci auf ihrer Internetseite auf. Und: "Eventuell kann man dies um Mützen- und Schalspenden erweitern, denn der Winter kommt gewiss."

Harald Schröder packt einen Rucksack voller Hoffnung und Kaffee.

Und es gibt noch einen weiteren Ableger: "Ein Rucksack voll Hoffnung – für Münster". Das Projekt ist aus einer Schülerinitiative heraus entstanden. Die jungen Leute machen auf Facebook auf sich aufmerksam. Und das sogar mit dem Hashtag @rucksackmunster. "Die Aktion wird in Zusammenarbeit mit der Aids-Hilfe-Münster und dem Straßenmagazin 'draußen!' durchgeführt, die als gemeinnützige Vereine auch Geldspenden für die Aktion entgegennehmen", ist dort zu lesen. Dazu gehöre, sich mit den Ursachen im Unterricht zu beschäftigen.

Was allen in Hamburg, Bremen und Münster am Herzen liegt: Sie möchten den Menschen auf Augenhöhe begegnen. Harald Schröder ist mit Utensilien inzwischen an der Sparkasse angekommen. Auf der Decke liegt das Buch "Er ist wieder da!". Der obdachlose Harald ist ein belesener Mensch, er habe sich vor vielen Jahren dazu entschlossen, frei zu leben, sagt er.

Staatliche Leistungen nimmt er nicht in Anspruch, im Gegenteil. Beim Kaffee mit Milchpulver und ordentlich Zucker ist zu erfahren, dass er sich ein kleines Geschäft aufbaut: einen Schuhputzdienst als fliegendes Gewerbe für Kleinstunternehmer. Bei der Realisierung hilft Streetworker Harald Schröder.

Bis Ostern kommendes Jahr wird Harald Schröder noch viele Liter Kaffee kochen und mit den Obdachlosen ins Gespräch kommen. Dann läuft seine Stelle aus. Ob sie verlängert wird, ist noch nicht entschieden.