Freikirchen: Die Herrnhuter Brüdergemeine

Unitäts-Logo der Herrnhuter Brüdergemeine mit der lateinischen Umschrift "Vicit Agnus Noster - Eum Sequamur", zu Deutsch "Unser Lamm hat gesiegt - lasst uns ihm folgen".
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Unitäts-Logo der Herrnhuter Brüdergemeine mit der lateinischen Umschrift "Vicit Agnus Noster - Eum Sequamur", zu Deutsch "Unser Lamm hat gesiegt - lasst uns ihm folgen".
Freikirchen: Die Herrnhuter Brüdergemeine
Die Herrnhuter Brüdergemeine ist vor allem durch ihre Losungen und leuchtenden Weihnachtssterne bekannt. Noch viel spannender ist allerdings ihre Idee von Gemeinde als Lebensgemeinschaft und vom Gottesdienst im Alltag. Infos zu Entstehung und Gemeindeleben im Rahmen der Serie "Was glaubt ihr? evangelisch.de besucht Freikirchen".

Die Geschichte der Herrnhuter Brüdergemeine – die alte Schreibweise ohne "d" blieb erhalten – ist fest mit ihrem Gründer Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760) verbunden. Geprägt von einer tiefen lutherisch-pietistischen Frömmigkeit, wollte der Graf eine christliche Lebensgemeinschaft. Sein Wunsch wurde wahr, als 1722 evangelische Glaubensflüchtlinge aus Böhmen und Mähren, deren Überzeugungen auf den tschechischen Reformator Jan Hus (um 1369 -1415) zurückgingen, in die Oberlausitz kamen.

Zinzendorfbüste in Herrnhut.
Dort wies Zinzendorf der "Gemeinschaft von Brüdern" ("Unitas Fratrum") ein Stück seines Landgutes zwischen Zittau und Löbau in Sachsen zu. Weil die neuen Bewohner "unter des Herrn Hut" stehen sollten, nannte man den Ort "Herrnhut". Die Siedlung wurde eine "pietistische Kolonie, die schnell zum Sammelbecken frommer Seelen unterschiedlicher konfessioneller Prägung wurde", schreibt der Herrnhuter Pfarrer Peter Vogt*.

Anfangs gehörte die Siedlung zur Parochialgemeinde Berthelsdorf. Zinzendorf wollte keine Freikirche gründen, sondern in den bestehenden Kirchen wirken, doch die Gemeinschaft entwickelte ein Eigenleben mit speziellen Versammlungsformen. Zur Gemeindegründung kam es bei einer Abendmahlsfeier am 13. August 1727. Durch eine ausgeprägte Missionstätigkeit ab 1732 unter anderem in der Karibik, Mittel- und Nordamerika und Afrika umfasst die weltweite Evangelische Brüder-Unität (auch "Unitas Fratrum" oder "Moravian Church") heute 1.066.000 Menschen auf fünf Kontinenten. Sie ist in 28 selbstständige Provinzen gegliedert, für die ein gemeinsamer "Grund der Unität" gilt. Rund 16.150 Schwestern und Brüder gehören zur Europäisch-Festländischen Provinz, rund 5600 leben in Deutschland und 547 in Herrnhut.

Im Mittelpunkt des Glaubens steht Jesus Christus als Erlöser und "Hauptpunkt" (Zinzendorf) der christlichen Lehre. Persönliche Glaubenserfahrungen der Einzelnen werden sehr wertgeschätzt. Abgesehen von der ursprünglichen pietistischen Prägung lässt sich die Brüdergemeine keiner besonderen theologischen Richtung zuordnen. "Wir sind von der Theologie her mehr oder weniger evangelisch", fasst Pfarrer Peter Vogt zusammen. Die Brüdergemeine bekannte sich 1749 zur Augsburger Konfession.

Die Brüder-Unität ist presbyterial-synodal verfasst und wird kollegial geleitet. Aus der Einsicht, dass nur Christus selbst Oberhaupt der Gemeinde sein könne, wurde er per Synodenbeschluss am 16. September 1741 zum Ältesten bestimmt. Bischöfe haben vor allem seelsorgliche Funktion und ordinieren die Pfarrer, die "Gemeindiener" heißen. Das gemeinschaftliche Leben ist traditionell in Seelsorgegruppen strukturiert, die "Chöre" genannt werden (wohl von frz. "corps"). Witwen, ledige Frauen und ledige Männer wohnten anfangs zusammen, heute sind aus einigen Chören Gemeindegruppen geworden (Kinder, Jugendliche, Frauen), für die zum Teil Feste gefeiert werden (Eheleute).

Saal der Herrnhuter Brüdergemeine in Herrnhut.

Von Beginn an gehörten Geistliches und Profanes in Herrnhut zusammen. "Alles, was ein Christ tut, soll zur Ehre Gottes geschehen, Beten und Bibellesen genauso wie Kochen, Schneidern oder Holzfällen", schreibt dazu Peter Vogt, das ganze Leben ist "Gottesdienst". Deswegen gibt es sonntags keinen Gottesdienst, sondern die Predigtversammlung, dazu samstags die Singstunde. Beides findet im Saal statt, einem schlichten, meist in Weiß gehaltenen Raum. Darin befinden sich weder Altar noch Kanzel, sondern nur einen Tisch. Die Bänke sind quer ausgerichtet, um den Abstand zwischen Gemeinde und Liturg gering zu halten. Liturgen oder Gemeindiener haben keine besondere Stellung, "alles liturgische Handeln (wird) vom Glauben der versammelten Gemeinde getragen", erklärt Peter Vogt.

Nur zu den Sakramenten – Taufe und Abendmahl – tragen Liturgen weiße Talare. Getauft werden in der Regel Säuglinge, und zwar in der Singstunde. Trotz Taufe und Konfirmation können erst Volljährige Mitglied werden; von ihnen wird Verbindlichkeit in Glauben und Gemeinschaft erwartet. Das Abendmahl wird im Schnitt einmal pro Monat separat gefeiert, indem die singende Gemeinde in den Bankreihen Brot und Traubensaft empfängt. Die Art der Gegenwart Christi in den Elementen bleibt offen, im Vordergrund steht der Gemeinschaftsaspekt.

Ausschnitt aus der Singstunde in Herrnhut am 12. September 2015 zu 1. Petrus 5,7: "Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch."

Ein wesentliches Merkmal brüderischer Gemeinden ist der Gesang. In der wöchentlichen Singstunde wird ein Bibelvers singend ausgelegt, indem man einzelne thematisch passende Strophen verschiedener Lieder aneinanderreiht. 1727 erschien in Herrnhut das erste Gemeindegesangbuch mit 972 meist eigenen Liedern. Zinzendorf selbst dichtete an die 2000 Lieder, von denen heute im Evangelischen Gesangbuch unter anderem "Herz und Herz vereint zusammen" (251) und "Jesu, geh voran" (391) stehen. Auch die Losungen sind eine Erfindung von Zinzendorf; seit 1731 erscheinen sie gedruckt (heute mehr als 50 Sprachen).

Der Gottesacker in Herrnhut steht unter Denkmalschutz.

Die Brüder-Unität ist stark ökumenisch ausgerichtet. Sie ist Mitbegründerin des Weltkirchenrates (1948) und der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland (1948). Der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist sie vertraglich angegliedert (mit Sitz ohne Stimmrecht in Kirchenkonferenz und Synode), Doppelmitgliedschaften in einer evangelischen Landeskirche und der Brüdergemeine sind möglich. Außerdem ist die Brüder-Unität Gastmitglied in der Vereinigung evangelischer Freikirchen in Deutschland (VEF). Sie engagiert sich diakonisch und unterhält weltweit Schulen, Krankenhäuser, Pflegeschulen, Pflegeheime, Gästehäuser und Einrichtungen für Kinder.

Stirbt ein Gemeindeglied, wird bei der Beerdigung dessen selbstverfasster Lebenslauf vorgelesen und anschließend archiviert. Bestattet wird der Leichnam auf dem "Gottesacker" unter einem Grabstein, der allen anderen gleicht – als Zeichen dafür, dass es vor Gott keine Unterschiede gibt.

Blick vom Hutberg auf Herrnhut.