Exerzitien statt Sonnenbrand?

Pilgerdenkmal aus Bronze hoch über der Berglandschaft auf dem Jakobsweg in Spanien.
Foto: epd-bild/White Star/Jörg Steinert
Pilgerdenkmal auf dem Jakobsweg
Exerzitien statt Sonnenbrand?
Religion als Tourismus-Trend
Spiritueller Tourismus boomt: Viele Menschen suchen im Urlaub nach Sinn und Seelenruhe. Touristiker und Kirchenvertreter sehen darin Chancen auf eine neue Begeisterung für den Glauben.

Pilgerreise auf dem Jakobsweg oder Urlaub im Kloster - vor Überlastung, Alltagsstress und persönlichen Problemen fliehen Urlauber nicht mehr nur in Wellness-Zentren oder an den Strand. Seit den 90er Jahren steigt die Nachfrage nach spirituellen Freizeitangeboten kontinuierlich an. Egal ob Yoga im indischen Ashram oder christliche Tradition: Im Alltag steigen die Kirchenaustrittszahlen, im Urlaub boomt die Spiritualität.

Während sich 1990 knapp 5.000 Pilger auf dem Jakobsweg registrieren ließen, wurden im Jahr 2014 rund 237.000 Menschen gezählt. Auch Klöster verzeichnen nach Angaben der Deutschen Ordensobernkonferenz steigende Besucherzahlen. Unter den Gästen sind viele Berufstätige, die im Alltag unter großem Druck stehen. Am Klosterleben schätzen sie vor allem die Ruhe und Abgeschiedenheit.

"Zum ersten Mal seit Jahren ein Ort, an dem ich nicht reden musste"

"Zum ersten Mal seit Jahren ein Ort, an dem ich nicht reden musste, wo mich keiner ansprach", sagt Managerin Monika Petereit. Vor zwei Jahren verbrachte sie eine Woche im Auszeithaus des Klosters Reute in Oberschwaben.

Nun plant sie eine weitere Auszeit. "Ich war total überlastet und hatte Probleme abzuschalten", sagt Petereit. Im Kloster habe es kein Programm gegeben. "Du bist allein mit dir", erzählt die Managerin. Durch Spaziergänge im Klostergarten, die Gottesdienste und Gespräche mit den Schwestern habe sie gelernt, wieder ruhiger zu werden und auf ihr Bauchgefühl zu hören.

Trotz der Beliebtheit solcher Urlaubsangebote sinken die Mitgliederzahlen der Kirchen. Für viele seien die Kirchen als Institutionen zu altmodisch, vermutet Betriebswirtin Aline Sommer. Aber es gebe ein Bedürfnis nach spiritueller Einkehr und Besinnung.

Seit 2006 informiert Sommer auf ihrem Internetportal über Klosteraufenthalte, Yogakurse und Pilgerreisen. Mit ihren teilweise sehr festgelegten Glaubensentwürfen und Vorschriften verfehlten die Kirchen oft die Lebenswirklichkeit der Menschen, glaubt Sommer: "Der Tourismus ist eine riesengroße Chance, um wieder mehr Menschen für die Kirchen zu begeistern."

Im Alltag kaum Zeit für religiöse Bedürfnisse

In der Freizeit hätten viele Menschen eine höhere Bereitschaft, sich spirituell ansprechen zu lassen, sagt auch die evangelische Oberkirchenrätin und Referentin für Citykirchenarbeit, Inken Richter-Rethwisch: "Die Menschen müssen gucken, wo sie in ihrem Alltag überhaupt noch Zeit für ihre religiösen Bedürfnisse haben."

Nur etwas mehr als die Hälfte der Klosterbesucher sind nach einer Umfrage des Zusammenschlusses deutscher Orden Katholiken. Beim Klosterurlaub scheint es nicht um eine konfessionelle Religiosität, sondern eher um eine Auszeit vom Alltagstrubel zu gehen. 42 Prozent der Klosterurlauber suchen nach Erholung, 27 Prozent nach geistlichen Erfahrungen.

Dass die Kirchen immer weniger Bedeutung im Alltag vieler Menschen haben und dafür mehr Platz im Freizeit- und Tourismusbereich einnehmen, sieht Richter-Rethwisch nicht als negative Entwicklung. Sie prognostiziert, dass das Verständnis von Gemeinden sich in Zukunft verändern wird. Das Modell "Gemeinde auf Zeit" werde mehr Platz einnehmen.

Auch die über 200 Radwegekirchen, die die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) seit einigen Jahren aufbaut, spiegeln diese Entwicklung. Die Gemeinden bieten Reisesegen, Gebete und Lieder für unterwegs an. Dafür müsse die Mentalität der Gemeinden von Offenheit geprägt sein und Einflüsse von Besuchern zulassen, sagt Richter-Rethwisch: "Der Tourismus könnte eine erfrischende Wiederbelebung der Gemeinden bedeuten."

Rettung durch Tourismus

Viele Klöster haben ihre oft weitläufigen Gebäude durch touristische Angebote retten können. Da die Zahl der Mönche und vor allem der Ordensschwestern extrem zurückgeht, wird es immer schwieriger, die Klöster zu finanzieren. "Die Kosten sind explodiert, und wir haben im Prinzip nur noch den Untergang verwaltet", erzählt Bernhard Grunau, Geschäftsführer von Kloster Arenberg. Seit 2003 bietet das Koblenzer Ordenshaus Wellness und spirituelle Kurse an. Durch Wandertage, Trauerseminare, Meditationskurse oder Massagen wolle das Kloster Auszeiten ermöglichen und Hilfe für schwierige Lebenssituationen anbieten.

Zum 500. Reformationsjubiläum 2017 plant auch die EKD viele touristische Angebote. Pilgerwege, ein Europäischer Stationenweg, Luther-Führungen sollen Besuchern aus aller Welt den deutschen Reformator näherbringen. Der Theologische Direktor der Wittenbergstiftung, Jan von Campenhausen, geht nach groben Schätzungen von Besucherzahlen im zweistelligen Millionen-Bereich aus. Die meisten Touristen werden aus Nordamerika, Nordeuropa und Südkorea erwartet.