"Der Aufschrei der Armen ist ökumenisch"

Central Church Of Christ Disciples
Foto: Michael Lenz
Blick in die "Central Church Of Christ Disciples" in Sampaloc mit Pastorin Juliet Solis Aguilar.
"Der Aufschrei der Armen ist ökumenisch"
Papst Franziskus ist ab heute zu Besuch auf den Philippinen. Dort erhoffen sich Katholiken wie Protestanten klare Worte zu den sozialen und politischen Problemen im Land. Michael Lenz hat sich vor Ort für evangelich.de bei den Christen umgesehen.

In den schmalen Gassen von Sampaloc ist an diesem Sonntag schwer was los. Die katholischen Bewohner eines Armenviertels in Manila feiern das Fest ihres Schutzpatrons. Vor den Häusern sitzen Männer und trinken Bier. Frauen stehen schwatzend in kleinen Gruppen zusammen. Auf einer Bühne spielt eine Musikgruppe, während auf der Straße einige Transsexuelle sich als Feuerschlucker ein paar Pesos verdienen.

Der Lärm des munteren Treibens dringt in eine kleine, bescheidene protestantische Kirche. Viele Gläubige sind es nicht, die an diesem Sonntagmorgen den Weg zur Central Church Of Christ Disciples gefunden haben. Zudem beginnt der Gottesdienst mit Verspätung, weil die Organistin nur auf Umwegen zur Kirche kommen konnte. Die meisten Gassen des Viertels sind wegen des Straßenfestes gesperrt. Die Kirche ist ärmlich. Gerade wird eine Zwischendecke eingezogen. Die Gottesdienste sollen zukünftig in dem neuen Stockwerk stattfinden. "Bei den vielen Taifunen, die wir hier jedes Jahr haben, steht die Kirche regelmäßig so hoch unter Wasser", sagt Solis Aguilar und zeigt auf die Fensterbänke.

Vereint im Glauben: Christen auf den Philippinen

###mehr-artikel###"Wir sind eine sehr kleine Gemeinde", sagt Pastorin Juliet Solis Aguilar. So klein, dass sie sich schon Sorgen um den Fortbestand macht. "Wer anderswo ein bessere Arbeit findet, zieht hier weg", erzählt Solis Aguilar. Ein anderer Teil der Gemeindemitglieder ist auch sehr fluktuierend: Studenten. "Wir liegen mitten im Universitätsviertel", sagt die 38-jährige Mutter von drei Kindern. Darin könne aber auch eine Chance für das Überleben der Gemeinde liegen. "Wir überlegen, uns als eine Art Studentenzentrum zu etablieren", sinniert die Theologin der United Church of Christ in the Philippines (UCCP), der größten protestantischen Kirche des Inselstaats. Zudem wurden im vergangenen Jahrhundert mit den Iglesia Filipina Independente (IFI) und Iglesia ni Christo zwei eigenständige Kirchen gegründet.

Mehr als 92 Prozent der Bevölkerung der Philippinen gehört dem christlichen Glauben an, davon ist mit 80 Prozent der Mehrheit katholisch. Der Katholizismus wurde durch die spanischen Kolonisatoren auf den Philippinen verbreitet. Als die Amerikaner 1898
die Spanier als Kolonialherren ablösten, etablierten Missionare aus USA verschiedene protestantische Kirchen. Die UCCP entstand 1929 aus dem Zusammenschluss der Evangelical Church of the Philippines, der Methodisten, Diciples of Christ und der United Evangelical Church.

Die Kirche ist eine politische Macht

In den 1970er Jahren kamen charismatische Strömungen auf den Philippinen auf, die sich nicht nur auf evangelikale und Pfingstkirchen konzentrierten, sondern auch starken Zuspruch unter Katholiken fanden, die sich in eigenen Gruppierungen wie El Shaddai oder Couples of Christ formierten. Die römisch-katholische Kirche ist eine politische Macht auf den Philippinen. "Wenn die Bischöfe was sagen, denken die Politiker zweimal nach", sagt Solis Aguilar ohne Neid und mit dem Selbstbewusstsein eines David, der vielleicht klein, aber nicht zu unterschätzen ist. "Wir haben unseren Platz in der Gesellschaft und eine prophetische Stimme. Wir können soziale Missstände wie Korruption, Menschenrechtsverletzungen oder Landraub anprangern." Das tun die Katholiken zwar auch. Aber was Solis Aguilar mit der prophetischen Stimme meint ist der Umstand, dass die Protestanten als Minderheit weniger Rücksicht auf die komplexen Machtgeflechte nehmen müssen.

Im Shalom Zentrum hat sich Bischof Reuel Norman O. Marigza Zeit für evangelisch.de genommen. Das Zentrum ist ein Tagungshaus und zugleich ein Hotel mit dem Wahlspruch "Your Christian Home in Manila". Gegenüber ist die katholische St. Paul Universität und zudem liegt das Zentrum Mitten in Manilas Vergnügungsviertel Malate. An einer Nachfrage nach Zimmern mangelt es nicht. "Wir müssen die Mittel für die Kirche und unsere Projekte selbst erwirtschaften", erzählt der Generalsekretär der UCCP.

"Viele Morde bleiben ungesühnt"

Der Bischof kommt direkt von einer gerichtlichen Anhörung in einem Verfahren wegen Entführungen, Folter und Morde an Bürgerrechtlern und Umweltaktivisten. Beklagte ist die ehemalige Staatspräsidentin Gloria Arroyo. "Das Verfahren haben wir in Gang gesetzt", erzählt der Generalsekretär der UCCP stolz, obwohl er weiß, dass es wohl nie zu einer Hauptverhandlung kommen wird. Aber die UCCP ist seit vielen Jahrzehnten eine laute Stimme gegen Menschenrechtsverletzungen. Als Hauptverdächtige bei den zahlreichen politisch motivierten Gewalttaten gelten die Armee und von ihr geförderte paramilitärische Einheiten. Sehr viele Bürgerrechtler, Umweltaktivisten und kritische Journalisten sind während der Regierungszeit von Arroyo gefoltert und umgebracht worden. In allen Fällen ging es um Konflikte zwischen den wirtschaftlichen Interessen großer Konzerne und den armen Bauern. "Die Morde bleiben ungesühnt. Es herrscht eine Kultur der Straflosigkeit", klagte der Bischof.

Das hat sich auch unter Arroyos Nachfolger Benigno Aquino nicht geändert. "Im Wahlkampf hat Aquino nichts als leere Versprechungen gemacht. Er tut nicht genug gegen die außergerichtlichen Tötungen", sagt Marigza. Der streitbare Bischof glaubt auch den Grund zu kennen. "Als Präsident ist auch Oberbefehlshaber der Armee. Wer geglaubt hat, das Militär werde nach dem Sturz von Marcos auf seine politische Macht verzichten und in die Kasernen zurückkehren, der wurde enttäuscht." Solis Aguilar befürchtet, dass auch das Massaker auch das Ampatuan-Massaker ungesühnt bleibt. Am 26. November 2009 waren 32 Journalisten sowie 26 Familienangehörige eines Kandidaten für den Posten des Gouverneurs der Provinz Maguindanao auf Mindanao brutal massakriert und in einem Massengrab verscharrt worden.

Papst Franziskus soll Gläubigen Mut machen

Als Drahtzieher der Morde gilt Andal Ampatuan, ein Angehöriger des einflussreichen Politclans der Ampatuans. Nach dem Massaker war Solis Aguilar für die UCCP Mitglied einer unabhängigen Untersuchungskommission aus Menschenrechtsorganisationen, Journalistenverbänden und Angehörigen der Mordopfer. Der Prozess gegen Andal Ampatuan geht nur schleppend voran. Erst Mitte November wurde ein Schlüsselzeuge auf dem Weg zu seiner Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft von Unbekannten erschossen, ein weiterer Zeuge verwundet. Der Anschlag ist für Solis Aguilar ein Beweis "für die Unfähigkeit oder den Unwillen" der Regierung Aquino Zeugen zu schützen.

In dieser Woche kommt Papst Franziskus zu Besuch auf die Philippinen, auf den sich auch die Protestanten freuen. Wie Muslime, Atheisten, Freidenker, Schwule und Lesben und selbst die Kommunisten von der Untergrundmiliz Neue Volksarmee erhoffen auch sie sich von dem argentinischen Pontifex klare Worte zu den zahlreichen sozialen und politischen Probleme der Philippinen. Margiza wünscht sich, dass Papst Franziskus der katholischen Kirche der Philippinen ihren politischen Mut zurückgibt, den sie als Gegnerin des Regimes von Diktator Ferdinand Marcos bewiesen hatte. "Nach Papst Johannes Paul II. wurde sie unpolitisch. Es wäre gut, wenn sie wieder aktiver würde."

Eine Begegnung mit den Vertretern anderer Religionen steht auf dem Besuchsprogramm des Reformers aus Rom. Das Volk kann das charismatische Oberhaupt der Katholiken bei Großveranstaltungen erleben. Auch Solis Aguilar will den Papst live erleben und mit eigenen Ohren hören, was der Pontifex zu Armut und Ausbeutung auf den Philippinen sagen wird. Dass sie als Protestantin Papst Franziskus toll findet ist für Solis Aguilar kein Widerspruch: "Der Aufschrei der Armen ist ökumenisch."