Agenda Setting: Wie Journalisten beeinflusst werden

Agenda Setting: Wie Journalisten beeinflusst werden
Wie recherchieren Journalisten heute? Wie versuchen Lobbyisten, Einfluss zu nehmen? Wen sollten Journalisten als Experten ansprechen, und wen nicht? Darüber wurde auf dem 25. Journalistentag in Berlin diskutiert.
28.11.2011
Von Thomas Klatt

Man muss gar nicht lange suchen, um auf die Beeinflussung von Autoren und Reportern in Zeitungen und Magazinen zu stoßen. So gab es zum Beispiel Anzeigen der Geflügelwirtschaft im Deutschen Journalisten-Verbandsblatt "Journalist", die die Behauptung widerlegen sollten, dass Masthühner permanent mit Antibiotika behandelt werden. Weitere Infos sollten sich die Journalisten unter Geflügel.tv ansehen. Solche plumpen Einflussnahmen auf journalistische Arbeit sind dabei noch relativ leicht zu durchschauen. Viel diffiziler ist dagegen das Agenda-Setting von Lobbyisten und Verbandsvertretern, erst recht aber von Wissenschaftlern und selbst oder durch Redaktionen ernannten Experten.

So versucht die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" weiterhin auf allen möglichen Kanälen ihre neoliberalen Botschaften zu verbreiten. "Erschreckend ist, dass INSM von Lokalblättern bis hin zur Tagesschau immer wieder zitiert wird, ohne nach den Hintermännern, nämlich den Arbeitgebern zu fragen", wundert sich der Journalist Günther Bartsch, ehemals Geschäftsführer beim Netzwerk Recherche. So steckt hinter der Webseite "Wirtschaft und Schule" die INSM. Junge Menschen sollen hier auf pseudowissenschaftlicher Ebene für den Turbokapitalismus eingepegelt werden. Botschaft: Zeitarbeit boomt, Mindestlöhne und verlässliche Tarifverträge behindern den Aufschwung! Welcher Lehrer fragt schon genauer nach, woher er das tolle weil kostenlose Unterrichtsmaterial herunterlädt. Aber es ist auch nicht unbedingt damit zu rechnen, dass Wirtschaftsjournalisten mit solchen Seiten kritisch umgehen werden.

"Wenn die Arbeitsgeberverbände BDA und BDI diesen ThinkTank für junge Leute finanzieren, kann man kein unabhängiges wissenschaftliches Material erwarten", warnt Bartsch. Das Problem ist eben, dass viele Journalisten sich nur allzu schnell auf Expertisen und Experten verlassen, ohne sie zu hinterfragen.

Nicht wenige Redakteure lassen sich gerne einlullen

"Manche 'Experten' werden in Medien permanent herumgereicht. Da ist zum Beispiel Prof. Dr. Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft, als wenn es in ganz Deutschland keinen anderen Wirtschaftsexperten geben würde", moniert Bartsch. Auch die so genannte "Dialog-Expertin" Kerstin Plehwe taucht immer wieder in Talk Shows auf. Aber anstatt nachzufragen, was denn nun bitte schön eine Expertin für Dialog sein soll, darf die Vorsitzende der so genannten "Initiative ProDialog" ihre Monologe anbringen, ohne dass Journalisten nach der Motivation ihres Engagements fragen.

"Dabei kann eine Recherche relativ schnell aufdecken, dass der Hauptfinanzier von Frau Plehwe die Deutsche Post ist. Ziel ist die Vermittlung der Kommunikationsmittel des Dialog Marketing dieses Unternehmens", hat Bartsch herausgefunden. Auch dass der Wikipedia-Artikel zu Frau Plehwe geschönt wurde, lässt sich wohl herausfinden, wenn man die Versionsgeschichte der Wikipedia-Einträge verfolgt. Journalisten sind eben auch nur Menschen. Nicht wenige Redakteure lassen sich gerne einlullen und sind mit einfach zu verstehenden Antworten und Geschichten schnell zufrieden zu stellen.

Aber es gibt auch mutmachende Beispiele journalistischer Sorgfalt. FAZ und FAS wurden eben jetzt vom Netzwerk Recherche ausgezeichnet, weil sie im Fall Guttenberg standhaft blieben, zu einer Zeit, als Kollegen reihenweise umfielen und den smarten Jungpolitiker einfach unwiderstehlich fanden.

Twitter als wertvolles Recherchewerkzeug

An der Uni Dortmund betreiben Studenten das kritische Portal medien-doktor.de. Hier wird die Qualität medizin-journalistischer Beiträge in Publikums-Medien kritisch geprüft. So werden zum Beispiele Artikel und Meldungen über mögliche neue Alzheimer-Früherkennungstests hinterfragt. Oder es wird aufgezeigt, wenn ganz normale Alterserscheinungen wie Haarausfall oder Faltenbildung plötzlich zum medizinischen Feld erklärt werden, das therapeutische Maßnahmen und teure Präparate benötigt.

Der Berliner Journalist Thomas Wiegold arbeitete einst beim Focus. Nach Dissens mit der Redaktion betreibt der Fachautor für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik heute sein eigenes Blog augengeradeaus.de. Er will die Bundeswehr nicht auflösen, aber kritisch über sie berichten. Zu hören sind etwa Audiodokumente von Bundeswehr-Pressekonferenzen, die man sonst nirgendwo im Radio zu hören bekommt. Twitter ist für ihn ein wichtiges Werkzeug der Recherche, erhält er doch darüber oft wichtige Detailinformationen. "Da war im Netz ein Bild vom Angriff einer schwedischen Gripen auf Libyen mit geschwärzten Einsatzdaten. Fünf Minuten später bekam ich die genauen Daten des Angriffs schon über twitter", schwärmt Wiegold über die berauschend schnellen Möglichkeiten investigativer Recherche via neuer Medien und sozialer Netzwerke.

Natürlich twittern auch ISAF und die Taliban aus Afghanistan. "Die Informationen müssen nicht stimmen, aber sie sind für mich Hinweise, dass an bestimmten Einsatzorten etwas los sein könnte und weiterer Recherche bedarf", erläutert der Militärjournalist seine Herangehensweise. Sein Blog hat mittlerweile 10-20.000 Besucher pro Tag, es wird also gelesen. Leben kann er davon allerdings noch nicht. Allerdings hat er sich über seine Blog-Tätigkeit ein Fachwissen erarbeitet, das ihn zum Fachautoren für klassische Medien empfiehlt, wenn denn die Redaktionsleiter an kritischen Berichten auch interessiert sind und diese auch entsprechend honorieren wollen.


Thomas Klatt ist freier Autor in Berlin.