Flüchtlingsansturm: Rom will mehr Soldaten und Geld

Flüchtlingsansturm: Rom will mehr Soldaten und Geld
Italien will mehr Militär einsetzen und verlangt Geld aus Brüssel, um den Flüchtlingsansturm aus Tunesien bewältigen zu können. In den vergangenen Wochen sind mehr als 5.000 tunesische Flüchtlinge auf der Insel Lampedusa angekommen.
15.02.2011
Von Katie Kahle

Angesichts tausender tunesischer Flüchtlinge in Italien fordert die Regierung in Rom von der EU finanzielle Unterstützung. In einem formellen Brief habe man von der EU-Kommission 100 Millionen Euro verlangt, um dem Notstand begegnen zu können, sagte Innenminister Roberto Maroni am Montagabend in Rom. Zugleich kündigte er den Einsatz von 200 zusätzlichen Soldaten zur Kontrolle der Auffanglager an. Seit Mitte Januar sind knapp 5.300 tunesische Flüchtlinge auf der Insel Lampedusa angekommen. Etwa die Hälfte von ihnen wurden inzwischen auf andere Lager in Italien verteilt.

Inzwischen ist der Flüchtlingszustrom praktisch versiegt - möglicherweise eine Folge der stärkeren Kontrolle der Küsten Tunesiens. Die Übergangsregierung in Tunis hatte am Montag damit begonnen, Küstenstreifen abzuriegeln.

Vernachlässigter Grenzschutz in Tunesien

Hintergrund des Flüchtlingsstroms ist der nach dem Sturz von Präsident Zine el Abidine Ben Ali vernachlässigte Grenzschutz in dem nordafrikanischen Mittelmeerland. Zahlreiche Menschen, vor allem Arbeitslose, sehen nun die Chance, ihr Glück in Ländern wie Italien, Frankreich oder Deutschland zu versuchen. Dabei ist die etwa 130 Kilometer von der Ostküste Tunesiens entfernte Insel Lampedusa auch noch mit kleinen Booten vergleichsweise leicht zu erreichen.

Unter den tunesischen Flüchtlingen in Italien sind nach Angaben von Innenminister Maroni auch einige geflohene Gefangene, die während der Unruhen in Tunesien entkommen seien. Er äußerte die Befürchtung, dass noch Zehntausende Menschen aus Tunesien fliehen wollten, so dass es in einem Jahr hochgerechnet 80.000 Ankömmlinge geben könne.

Die Weiterleitung der Flüchtlinge in andere EU-Staaten ist derzeit nicht möglich: Asylbewerber müssen nach Europarecht bis zur Prüfung ihrer Anträge in dem Land bleiben, in dem sie europäischen Boden betreten haben ("Dublin-II-Abkommen").

EU-Außenbeauftragte weicht den Fragen aus

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton wich bei ihrem ersten Besuch in Tunis seit dem Sturz Ben Alis vor einem Monat Fragen nach dem Migrationsproblem aus. Darüber werde in Brüssel beraten, sagte sie. Ashton sagte den Tunesiern auf ihrem Weg zur Demokratie Hilfen in Höhe von 17 Millionen Euro zu. Zudem solle das Assoziierungsabkommen bald unterzeichnet werden. "Die Zukunft Tunesiens ist in der Hand des tunesischen Volkes. Die Europäische Union ist bereit, nach Kräften dabei zu helfen", sagte Ashton, die für ihre Zurückhaltung angesichts der umwälzenden Ereignisse in der arabischen Welt mehrfach kritisiert worden war.

Politiker von SPD und Grünen fordern angesichts der Flüchtlingswelle aus Tunesien die Aufnahme afrikanischer Migranten auch in Deutschland. SPD-Innenexperte Sebastian Edathy wies in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Dienstag) darauf hin, dass die Asylbewerberzahlen dramatisch gesunden seien und die Aufnahme eines bestimmten Kontingents somit verkraftbar sei. Der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl verlangt hingegen einen besseren Schutz der EU-Grenzen, Staatssekretär Ole Schröder (CDU) vom Bundesinnenministerium plädiert für eine Stabilisierung der Lage in Tunesien.

Notstand auf Lampedusa

Tausende Tunesier sind in den vergangenen Tagen auf die kleine italienische Insel Lampedusa geflüchtet. Die dortigen Flüchtlingslager sind so überfüllt, dass der humanitäre Notstand ausgerufen wurde. Vor diesem Hintergrund diskutieren Sicherheitsexperten aus ganz Europa heute in Berlin über das Thema Migration. Zu dem Europäischen Polizeikongreß wird neben Innenstaatssekretär Schröder auch der Direktor der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex, Ilkka Laitinen, erwartet.

Uhl verlangte, Frontex mit einer effektiven Küstenwache, größeren Zuständigkeiten und mehr Personal auszustatten. Nötig sei ein konsequentes Vorgehen gegen solche EU-Staaten, die Flüchtlinge massenweise weiterreisen ließen, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag der "Passauer Neuen Presse" (Dienstag). In diesem Fall müssten Sanktionen bis hin zum Ausschluss aus dem Schengen-Verbund möglich sein. Uhl warnte davor, dass der "Migrationsdruck" nach Europa künftig noch deutlich größer werde.

Auch Schröder kritisierte den Zustrom von Wirtschaftsflüchtlingen aus Tunesien. "Die Menschen sollten vor Ort den Übergangsprozess gestalten und am Aufbau in Tunesien mitwirken anstatt das Land zu verlassen", sagte der CDU-Politiker der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Dienstag). Auch wenn es im Einzelfall nachvollziehbar sei, dass Menschen aus wirtschaftlichen Gründen in die EU kommen wollten, so sei es "nicht Aufgabe des Asylrechts, Wirtschaftsmigranten in die EU zu lassen".

Özdemir: "Den Süden nicht alleine lassen"

Grünen-Chef Cem Özdemir mahnte dagegen in derselben Zeitung: "Der Norden darf den Süden dabei nicht alleine lassen." Die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström und die EU-Innenminister müssten sich umgehend zusammensetzen und zu einer "fairen Lastenverteilung" kommen. Edathy appellierte an die Bundesregierung, beim Treffen der EU-Innenminister in der nächsten Woche konkrete Hilfszusagen zu machen. "Wir brauchen dringend eine europäische Quotenregelung, die anerkannte Flüchtlinge am Maßstab der Bevölkerungszahl und der bisherigen Flüchtlingsaufnahme auf die 27 EU-Länder verteilt", sagte der SPD-Politiker.

Die Generalsekretärin von Amnesty Deutschland, Monika Lüke, verlangte in dem Blatt, Deutschland müsse seine Blockadehaltung gegenüber einer solidarischen Regelung innerhalb der EU endlich aufgeben. Zudem müsse die Bundesregierung darauf hinwirken, dass Italien seine Verpflichtungen nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention einhalte, forderte sie. Das bedeute, dass Italien den Asylsuchenden Zugang zu einem fairen Asylverfahren gewähre.

dpa