Fangesänge in der Kirche

Fangesänge in der Kirche

Fußball allüberall. Heute abend das große Spiel Deutschland gegen Niederlande. Fähnchen an den Autos. Tomatenpackungen mit schwarz-rot-goldener Bemalung. Akustische Untermalung durch die unsäglichen Vuvuzelas, die die Kinder wie durch ein Wunder nach zwei Jahren Pause völlig unbeschädigt und ohne langes Suchen wieder hervorkramen können (Ja, sie können Ordnung, wenn sie nur wollen!)

Den Vogel abgeschossen hat, finde ich, unsere Lebensmittelmarktkette. Dort kann man tatsächlich Toilettenpapier mit Rasen-Duft und eingeprägten Fußballmotiven erwerben. Vermutlich ist das für die Fälle gedacht, in denen das Spiel für die eigene Nation eher besch... verläuft, also heute Abend für die Holländer.

Aber was der Supermarkt kann, können wir doch schon lange. Ich finde, es ist an der Zeit, auch die Kirche ein wenig in Feierlaune zu bringen. Schließlich haben Gottesdienst und Fußballspiel ja auch vieles gemeinsam.

Das ist doch alles so einfach: Am Altar hängt statt des Antependiums eine schwarz-rot-goldene Fahne aus dem Ein-Euro-Shop. Auch das Beffchen des Pfarrers könnte man in den Nationalfarben gestalten. Wobei es da Länder mit nur zwei Farben deutlich leichter haben – eine Seite rot, eine weiß, oder gelb und blau. Vielleicht kann man ja den Talar als „schwarz“ zählen und dann rot und gelb fürs Beffchen nehmen.

Natürlich spielt die Orgel zu Beginn des Gottesdienstes die Nationalhymne. Alle stehen auf und tun so, als wüssten sie den Text und würden mitsingen (das ist ja bei vielen Kirchenliedern auch nicht viel anders.) Die Einlegebändchen in den Gesangbüchern werden neu eingefärbt, klar: Schwarz-rot-gold. Der Predigttext ist – was wohl? Natürlich die Heilung des Philipplahmen. Oder eventuell noch die Geschichte von den Männern in der Jogi-Löwengrube. Oder auch das Gleichnis von den klugen Jungfrauen mit ihren Özillampen. Nach der Predigt singen alle „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!“ - wobei selbstverständlich nur das gegnerische Tor gemeint ist. Und als Zeichen des Segens bekommen alle zum Schluss eine von diesen komischen schwarz-rot-goldenen Flatterketten umgehängt.

Ob's hilft? Mal sehen. Dummerweise gibt es ja auch bei der gegnerischen Mannschaft Leute, die sich einen Sieg erhoffen. Vielleicht geht es ja doch eher darum: Dass wir miteinander so schöne, auch spannende Spiele erleben können. Dass wir miteinander, über Nationengrenzen hinweg, fiebern können für die eine oder andere Mannschaft. Dass wir, bei allen Unterschieden, spüren: Wir gehören zusammen. Das haben die Christen schon lange erkannt und durch Partnerschaften in anderen Ländern gestützt: Wir sind eins. Nicht nur in Europa, sondern weltweit. Wir gehören zusammen. Wenn wir das mal wirklich verstanden haben, steht es 1:0 für die Menschheit.

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