Science Fiction in der Kirche: Kindle-Gottesdienst

Science Fiction in der Kirche: Kindle-Gottesdienst

Ich liebe Science Fiction. Und Fantasy. Star Trek, Star Wars, Perry Rhodan, ja, auch den. (Manche bösen atheistische Zungen würden behaupten, das ist ja auch das, womit ich mich beruflich beschäftige: Science Fiction und Fantasy...) Jeden Donnerstag renne ich zum Briefkasten und hole mir meine wöchentliche Ration Perry Rhodan. Im Keller und in Regalen in meinem Arbeitszimmer stapeln sich 526 Exemplare dieser Romanheftchen. Zuzüglich der in dieser Zeit herausgekommenen Taschenbücher und was es da noch so alles gibt.

Zugegeben: Papier und ich, das war noch nie so wirklich eine gute Kombination. Ich glaube, ich arbeite deshalb so gerne am Computer, weil ich da erst einmal kein Papier für brauche. Auch meine „Sammlung“ von Perry-Rhodan-Heften kann man nur mit viel gutem Willen wirklich Sammlung nennen. Man könnte auch sagen: Ein großer Haufen Altpapier, zu schade zum Wegschmeißen, aber irgendwie doch weitgehend unsortiert.

Doch Amazon hatte die Lösung: Perry Rhodan ohne Papier! Auf dem Kindle. Woche für Woche über WLAN frisch auf mein Lesegerät. Pünktlicher als die Post. Ja, es mag sein, dass ich damit die Druckindustrie kaputtmache. Mag sein, dass ich diesmal den Branchenprimus unterstütze, der alle Konkurrenz plattmacht. Aber – der (die? das?) Kindle ist genau das, was ich brauche. Klein und handlich. Gut lesbar. Und ohne Papier. Nein, ich vermisse es gar nicht, das Papier-Umblättern. Ich vermisse auch keine dicken Schmöker, bei denen ich nach zehn Minuten einen Krampf im Arm habe und die ich nur mit zwei Händen offenhalten kann. Ich vermisse keinen Papiergeruch, keine raschelnden Seiten und keine Eselsohren. Ich kann einfach nur lesen, mich ganz auf den Text konzentrieren, und habe alle meine Literatur immer griffbereit. Zur Not auch mal auf dem Handy, wenn ich gerade unterwegs irgendwo warten muss – genial.

Einem Gerät, das mir eine meiner schönsten Tätigkeiten ermöglicht – das Lesen – dem sollte man auch die angemessene Umgebung bieten. So bestellte ich mir für meinen Kindle eine ziemlich teure Lederhülle, violett (sagt Amazon) oder rot (sagt meine Frau), mit eingebauter Leselampe. Vor etwa zwei Wochen kam sie endlich: Ja, das sieht wirklich edel aus. Es macht Spaß, dieses Teil in der Hand zu halten. Viel angenehmer als ein einfaches Taschenbuch oder gar die dünnen Perry-Rhodan-Heftchen.

Einer meiner ersten Gedanken war: Das ist viel schöner, ja stilvoller als mein oller Gottesdienst-Hefter vom örtlichen Schreibwarenladen. Ob ich nicht mal einen Gottesdienst mit diesem Gerät halten sollte statt mit meinem Hefter? Der katholische Kollege Carsten Leinhäuser hatte ja schon mal ein iPad benutzt, und ich hatte auch schon darüber gebloggt. Jetzt also Kindle. Ganz in meinem Sinn: Ohne Papier. Alles elektronisch. Kein hektisches Geblättere, weil ich noch das Gebet von letzter Woche eingeheftet habe und das aktuelle fehlt. Alles schön hintereinander.

Und tatsächlich: Es geht. Ich erstellte mir eine Dokumentvorlage für OpenOffice, die ungefähr den Maßen des Kindle entspricht. Kopierte alle meine Gottesdienst-Texte rein. Und schickte das Ganze per Mail als PDF an die spezielle Email-Adresse für meinen Kindle. Wie praktisch, dass es auch das Gesangbuch elektronisch gibt: Gesungene liturgische Stücke? Einfach reinguttenbergen. Eventuell die Schrift noch ein wenig vergrößern, die Noten etwas kleiner – die Anzeigefläche ist halt doch ziemlich beschränkt. Ja, so könnte es gehen. Auch die Liedtexte der ausgewählten Lieder, das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser, die Predigt und so weiter – der komplette Gottesdienstablauf in einer Datei zum Durchklicken. Auf 37 Kindle-Seiten.

Die technische Durchführung war nicht ganz so einfach, denn der Kindle versucht, einzelne PDF-Seiten möglichst groß darzustellen. Eine Seite, auf der viel Platz war, stellte er viel größer dar als den Rest. Also erweiterte ich meine Dokumentvorlage um einen dünnen schwarzen Rand um jede Seite, so dass alle Seiten gleich groß angezeigt werden. Auch an den genauen Maßen der Seite müsste ich noch ein wenig arbeiten, aber fürs erste war es schon mal nicht schlecht.

Am vierten Advent stand ich dann also mit meinem rot-violetten Kindle vor der versammelten Gemeinde in Schonungen, wo ich in der Vakanzzeit gelegentlich Gottesdienste vertrete. Auf ein Papier-Backup hatte ich verzichtet – ein bisschen Risiko muss sein. Nein, die Gemeinde merkte gar nichts: Für sie hatte der Pfarrer da vorne einfach einen recht schönen, etwas klein geratenen Ordner in der Hand. Und genau so sollte es für mich ja auch sein: Die Technik soll ja nur Hilfsmittel sein in so einem Gottesdienst und nicht im Vordergrund stehen.

War es das auch für mich? Das war für mich tatsächlich die entscheidende Frage, die ich mir nach dem Gottesdienst stellte: Lenkt mich der Gebrauch dieser Technik vielleicht selber ab vom eigentlichen Geschehen im Gottesdienst? Oder ist der Kindle genau so Hilfsmittel wie ein Ordner?

Kurz gesagt: Ich würde es wieder machen. Es war nahezu perfekt. Ich, der ich immer ein bisschen wischiwaschi mit Papier umgehe und die Fürbitten schon mal an der falschen Stelle einhefte (an der richtigen stehen dafür die von letzter Woche nochmal), war gezwungen, den Ablauf gründlich durchzugehen. Zum ersten Mal hatte ich auch die Liedtexte in meinem „Ordner“ - sehr angenehm, wenn man beim Schlusslied am Altar steht. Und das Umblättern auf dem Kindle geht viel eleganter als bei einem Ordner. Während ich sonst während des Glaubensbekenntnisses beispielsweise hektisch blätterte, um den Text zu finden (warum? Das lesen Sie hier...), genügten jetzt zwei dezente Drücker auf den „Weiter“-Knopf, um das Evangelium zu überblättern – schon war ich da.

Einziger Nachteil: Die Anzeigefläche ist halt doch recht klein; ungefähr 9 mal 12 cm, wobei der Kindle unten noch ca. 1 cm für die Anzeige der aktuellen Seitenzahl verwendet. Ein bisschen größer wäre insbesondere bei den liturgischen Stücken angenehm. Noten und Text auf diese kleine Fläche zu quetschen, ist nur was für gute Augen (oder eine gute Brille, die habe ich zum Glück)

Papier oder elektronisches Gerät? Letztlich macht es für mich keinen großen Unterschied. Und die Gemeinde bekommt es nicht einmal mit. Ja, in einer katholischen Messe, da würde man natürlich das Evangelium nach wie vor aus dem schönen Evangeliar lesen. Und auch bei uns wurde dafür natürlich weiter das Lektionar genutzt. Aber sonst? Fast schade, dass ich auf meiner Citykirche-Sonderstelle so selten Gottesdienste feiere – ich würde gerne öfter ausprobieren, was mir mehr liegt.

Ich glaube, für mich persönlich wird sich der Kindle durchsetzen. Und ob das, was ich das erzähle, nun Science Fiction und Fantasy ist oder die frohe Botschaft, die die Welt verändert: Das muss sowieso jeder selbst entscheiden. Es hängt sicher nicht daran, auf welchem Medium meine Notizen gespeichert sind.

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