Die kürzeste Predigt aller Zeiten

Die kürzeste Predigt aller Zeiten

„Ihr könnt predigen, über was ihr wollt, aber predigt niemals über vierzig Minuten.“ Dieser bekannte Satz wird ja mittlerweile sogar schon Martin Luther zugeschrieben – wo er wirklich herkommt, konnte ich nicht herausfinden. Auch nicht, was die ursprünglich angegebene Maximaldauer der Predigt war. Google findet alles – von vierzig über dreißig, zwanzig (sehr oft), fünfzehn bis hinunter zu fünf Minuten. Mein Eindruck ist ja: Je weiter wir in der Zeit voranschreiten, also in den Jahrzehnten oder Jahrhunderten, desto geringer ist die Geduld der Hörerinnen und Hörer. Gab es früher sogar noch Stundengläser an der Kanzel, die die Mindestpredigtdauer des Pfarrers anzeigten (irgendwann muss der ja auch mal was arbeiten...), so gibt es heute in manchen Gemeinden schon Proteste, wenn die Predigt mal statt 8 geschlagene 15 Minuten dauert. Unzumutbar.

Ich sage dazu immer: Eine wirklich gute Predigt kann durchaus auch mal eine halbe Stunde dauern, wenn sie die Leute mitnimmt. Für eine schlechte, langweilige Predigt sind fünf Minuten schon zu viel. Blöd daran ist nur, dass man das als Prediger oft gar nicht so genau unterscheiden kann. Es ging mir schon des öfteren so, dass ich geradezu mit schlechtem Gewissen auf die Kanzel gestiegen bin, weil ich meine Predigt für fürchterlich langweilig hielt – und dann bekam ich gerade auf diese Predigt besonders positive Rückmeldungen.

Ich selber neige ja eher dazu, mich kurz zu fassen. Dinge auf den Punkt zu bringen. Manche Themen müssen ja nicht in allen Aspekten rundum und umfassend beleuchtet werden. Lieber ist es mir, die Menschen gehen mit einer neuen Frage nach Hause, die sie beschäftigt. Einem Impuls für den Tag. Ein kleiner Satz, der sie begleitet, kein Glaubenskompendium. Vielleicht mag ich deshalb auch Twitter so sehr oder die Radioandachten bei unserem Lokalsender, wo ich gerade mal 60 Sekunden Zeit habe: Kurz und prägnant, in einem festgelegten Rahmen, das Wichtigste rüberbringen und alles andere weglassen. Das braucht mehr Vorbereitungszeit und Aufmerksamkeit als langes Geschwafel. Das braucht selbstkritisches Hinterfragen: Ist dieser Satz, dieser Nebengedanke wichtig? Trägt er zum Thema bei oder führt er davon weg? 

Den Vogel abgeschossen hat allerdings in dieser Hinsicht ein amerikanischer Kollege, auf dessen Predigt ich diese Woche aufmerksam gemacht wurde. Pfarrer Roy DeLamotte am Paine College in Georgia hatte sich offenbar schon länger damit beschäftigt, dass es viele Menschen gibt, die immer nur nach dem Nutzen für sich selbst fragen, selbst beim Glauben. Daraufhin kündigte er eine Predigt an mit dem Titel: „Was sagt Christus, wenn wir fragen: was bringt es mir, wenn ich mich auf Religion einlasse?“ (What does Christ Answer When We Ask, "Lord, What's in Religion for Me?") Die vermutlich mit großer Spannung erwartete Predigt war kürzer als ihr Titel: „Nichts.“ Dann stieg Roy DeLamotte wieder von der Kanzel.

Die Predigt kürzer als ihr Titel – und doch alles gesagt: Es geht eben nicht darum, was der Glaube „für mich bringt“. Fragen angestoßen. Gedanken ins Rollen gebracht. Ich ziehe meinen Hut vor dieser genialen Predigt. 
Übrigens: Auf die Frage, wie lange er für die Vorbereitung dieser Predigt gebraucht habe, antwortete Roy DeLamotte: Zwanzig Jahre. Glaub ich ihm aufs Wort.
 

Quellen:
http://www.dreikoenigsgemeinde.de/glaube/philSchmidt_predigt_163.php
http://www.sermonillustrations.com/a-z/s/self_centered.htm 

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