"The thing that doesn't fit in" - Über Gemeinsamkeiten von Theologie und Queer

"The thing that doesn't fit in" - Über Gemeinsamkeiten von Theologie und Queer
Theologie und Queer
Foto: Katharina Payk
Sich als Christ_in zu bezeichnen kann in manchen Kreisen zu einem kleinen Coming Out werden. Genauso, wie es manchen Menschen seltsam erscheint, an Gott zu glauben, gilt man in der theologischen Community schnell als Que(e)rulant_in, wenn man die Konstruiertheit von Geschlecht, sexueller Orientierung und Körperlichkeit beschreibt.

"Queere Theologie? – widerspricht sich das nicht?", fragen mich oft Menschen. Für viele ist es unvorstellbar, die manchmal in schrillen Farben daherkommende Welt von Schwulen und Lesben oder die Betonung der Sexualität in den queeren Wissenschafts- und Lebenskonzepten auf die akademische Theologie – oder gar die christlichen Kirchen – anzuwenden.


Dabei wird doch Religion an sich in unserer (post-)modernen Welt oft als etwas sehr Schräges – Que(e)res – gelesen. Der Theologe Gerard Loughlin formuliert es simpel wie treffend so: "Theology is a queer thing. It has always been a queer thing. It is a very strange thing indeed, especially for anyone living in the modern West of the twenty-first century." (Loughlin, Queer Theology. Rethinking the Western Body, 2007, S. 7) Theologie relativiert die irdischen Dinge, oder sie gleicht sie aus: Sie ist der Auffassung, der Mensch könne sich selbst nur verstehen, wenn er versucht, seine Beziehung zu dem Unbekannten, das Anfang und Ende des Menschseins ist, zu verstehen. Theologie wird in unserer spätmodernen Welt immer mehr als 'strange' wahrgenommen: "the thing that doesn’t fit in", so Loughlin.


Kennt ihr das auch: als sonderbar abgestempelt zu werden, weil ihr euch als Christ_in oder gar Theolog_in 'outet'? Man wird oft erst einmal etwas 'schräg' angeschaut. Religion, Glauben – das ist doch total out. An Gott oder etwas Göttliches glauben, bedeutet für viele: nicht von dieser Welt sein.
Oft sind es gerade die Kreise, in denen ich mich politisch und menschlich gut aufgehoben fühle, in denen erst einmal mit Unverständnis auf meinen Beruf reagiert wird. „Dass DU Theologin bist, hätte ich nicht gedacht!“, geht manchmal noch mit einem fast anerkennenden Aha-Effekt einher, während „Ich dachte, du seist total klug und aufgeklärt.“ zwar weitergehend nicht ernst zu nehmen ist, aber doch ganz schön unter die Gürtellinie zielt.


Apropos Gürtellinie: Was will denn jetzt diese 'Theologie ohne Unterwäsche', wie die Theologin Marcella Althaus-Reid die Queer-Theologie einst betitelte? Zuerst einmal will sie weder eine neue theologische Schule sein, noch eine Theologie, die ausschließlich auf einer lesBiSchwulen Identität fußt. Sie will vielmehr die Kreativität, die in dem Konzept Queer steckt, nutzen, um zementierte Vorstellungen vom Menschsein aufzubrechen. Zum Beispiel die Vorstellung, dass der Mensch immer heterosexuell ist. Und weiß. Und gesund. Und nicht behindert. Und schlank. Und schön. Und so weiter.


Die Sexualität spielt dabei eine maßgebliche Rolle in der Queer-Theologie: Sie ist schließlich auch einer der verletzlichsten Kerne unseres Menschseins. Die schwulLesBischen Befreiungsbewegungen haben uns alle auf das Defizit aufmerksam gemacht, dass das Potenzial von selbstbestimmter Sexualität gerade durch Religionen beschnitten wurde und wird. Die Queer-Theologie re-sexualisiert also die (alten) religiösen Bilder, ähnlich wie es die feministische Theologie schon gemacht hat, nur vielleicht etwas radikaler.


Queere Theologie entdeckt die Fleischwerdung Gottes als queeren Akt: Wenn man der Ansicht und des Glaubens ist, dass zwischen Gott und Mensch ein großer Unterschied ist – die Wesen einfach ganz verschieden sind, dann ist die Inkarnation doch eine grundlegende Verunsicherung, ja: ein Widerspruch. Verunsichern will die Queer-Theologie auch gängige Ansichten über heilige Körper: Die Theologin Lisa Isherwood entwirft auf der Grundlage von Mt 11,19 einen fetten Jesus, der nicht will, dass wir unser Verlangen nach Nahrung zügeln, sondern, dass wir uns leidenschaftlich engagieren für das Verlangen der Welt nach Essen, nach Sattwerden.


Das Konzept Queer in die Theologie einzubringen, bedeutet Irritationen und Störungen zuzulassen, neue und kreative Formen von Moral zu entdecken und das Sprengen von allzu fertigen Kategorien zu wagen. In meinen Augen passt genau das sehr gut zum Christ_innensein!

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