Der analoge Advent

Der analoge Advent
Ich mag Weihnachtsmärkte, weil ich da richtig gut abschalten kann. Im Advent mache ich das gelegentlich ganz gern.

Weihnachtsmarkt. Meine Nase riecht den vanillegetränkten Geruch von gebrannten Mandeln und den Glühweindampf, der sich mit der Winterkälte mischt. Der würzige Geruch der Gewürzstände wechselt sich ab mit den herbstlich-knoblauchigen Dämpfen der Pilzpfannen. Zwischendurch machen zucker-fettige Kartoffelpuffer und Schmalzkuchen Appetit.

Meine Ohren hören das Gemurmel von hunderten Menschen, die sich in kleinen Gruppen über die vergangene Woche, das Leben im Allgemeinen und das kommende Fest unterhalten. Aus dem Dröhnen schallen Wortfetzen über Familiendramen und Elternstimmen, die lautstark ihre Kinder erziehen. Das plötzliche Gekreische lustiger Glühweingruppen und das schiefe Anstimmen von unvollständigen Liederstrophen wechseln sich an den Glühweinständen ab. Weihnachtslieder in sämtlichen Variationen zwischen amerikanischem Sakropop und deutschen Mädchenchören bahnen ihren Weg über das Massengemurmel.

Meine Augen tauchen ein in das warme Licht der Dutzenden Lichterketten, die den ganzen Weihnachtsmarkt weiß-gelb erleuchten. Die großen Schilder an den Ständen sind bunt oder aus naturbelassenem Holz, manchmal sitzt oben eine rot-weiße Weihnachtsmannfigur auf der grünen Girlande und winkt ein mechatronisches „Ho-Ho-Ho“. Gruppenweise blinken batteriebetriebene Weihnachtsmützenzipfel vorbei, damit man sich ja nicht verliert. Hände legen sich um warme Tassen, deren Dampf in den Abendhimmel zieht.

Auf Tuchfühlung mit der Person vorne und hinten schieben wir uns langsam in einem trägen Strom durch die Gänge, für richtige Schritte ist kaum Platz. Die Zehen werden kalt, wenn man zu lange beim Glühwein steht, die Nasenspitze sowieso.

Ich mag diese Tage. Der Advent ist für mich eine analoge Zeit. Das heißt nicht, dass die Digitalisierung sich langsamer bewegt – nur weil sich die Büroarbeiter eine ruhigere Zeit gönnen und das Jahr aufräumen statt neue Dinge anzuschieben, flitzen unsere Datenströme immer noch mit hunderten von Gigabits durch die Leitungen. Wir werfen trotzdem abends Netflix oder Amazon Prime an und hören auch nicht auf, E-Mails und Chats zu lesen.

Aber gerade auf dem Weihnachtsmarkt sperre ich gern Augen, Ohren und Nase auf und tauche in diese konzentrierten Eindrücke um mich herum ein. Manchmal brauche ich den Abstand von der Welt und versenke mich in Bildschirme. Im Advent suche ich das Gegenteil – das Erleben im Hier und Jetzt mit allen Sinnen. Das Smartphone brauche ich dann nur zum Fotografieren.

Ich wünsche euch und Ihnen einen guten Start in den Advent!

Übrigens: In diesem Jahr machen alle Landeskirchen mit beim Evangelischen Adventskalender und nehmen Sie jeweils mit in ihre Heimat! Wenn Sie die kleinen Videos jeden Tag bekommen möchten, können Sie sich hier anmelden. Kleiner Spoiler: Mein persönliches Lieblingsvideo läuft am 2. Dezember. ;-)


Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.

P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!

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