28 Prozent

28 Prozent
In allen politischen Talkshows mangelt es an Frauen, in einer WDR-Talkrunde bald an Jürgen Domian. Wie naiv ist eigentlich Tilo Jung? DuMont räumt beim Berliner Kurier auf, die taz vergleicht sich mit Robben, Korrespondenten haben es aller Orten schwer, und eine Uhr läuft nur für 18 Stunden.

Frauen gehen nicht so gerne ins Fernsehen.

Frauen besetzten einfach nicht die spannenden Positionen und Jobs.

Frauen müssen abends die Kinder hüten.

Sicher gibt es eine Vielzahl an Gründen, warum der Frauenanteil beim betreuten Talken im öffentlich-rechtlichen Fernsehen so gering ist. Allerdings sind sie alle ridikulös, denn Frauen machen über 50 Prozent der Bevölkerung dieses Landes aus, und niemand kann ernsthaft behaupten, unter diesen gut 41 Millionen Menschen niemanden gefunden zu haben, der ebenso gut in einem Stuhl von Günther Jauch aussieht wie Edmund Stoiber. 

Warum dieses zugegeben nicht ganz neue Thema nun wieder aufkocht? Weil es seit heute auch datenjournalistisch aufbereitet im Angebot ist. Meinungsmaschine heißt das Projekt und stammt von der Firma des Datenjournalisten Lorenz Matzat. Seit Januar 2014 hat er einen Algorithmus Themen, Gäste sowie deren Alter, Parteizugehörigkeit und Geschlecht erfassen lassen, sodass wir heute wissen:

„Insgesamt wurden in den 165 Talkshows 596 Männer und 236 Frauen eingeladen. Damit liegt der Frauenanteil der Gäste im Durchschnitt bei 28%. Die Sendung Anne Will hat mit 31% den höchsten, die Sendung Mayrbrit Illner mit 25% den niedrigsten Frauenanteil.“

Darüber hinaus kann man lernen, dass der Fall Uli Hoeneß fast doppelt so oft diskutiert wurde wie Pegida, dass Günther Jauch besonders gerne Menschen von der CDU einlädt, und dass Wolfgang Bosbach seit Januar 2014 doch nur neun und nicht 90 Mal in Talkshows saß (häufiger als jeder andere – zumindest dieser Eindruck täuscht nicht). Womit jede Frau eine Vielzahl guter Gründe dafür hat, den Abend zu Hause und nicht mit einem Besuch in einer dieser Clownsbuden zu verbringen.

Doch wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihnen die Wahl gelassen wird, diese Entscheidung selber zu treffen?

In Sachen Gleichstellung befinden wir uns eben doch manchmal noch im Jahr 1915, und jemand, der immer mal wieder für einen Beweis dafür gut ist, ist Tilo Jung (siehe auch Altpapier gestern). Zum Weltfrauentag am Sonntag hielt er es für eine gute Idee, bei Instagram eine kleine Bildergeschichte zu zeigen, in der eine Frau in den Sand getreten wird (der Post wurde mittlerweile gelöscht, aber das Internet vergisst so etwas nicht).

Ich überlege seit Stunden, aus welcher Perspektive das lustig sein könnte, aber mir fällt partout keine ein (was sicher nur an der chronischen Humorlosigkeit von Feministinnen liegt).

Tilo Jung, einen kleinen Shitstorm später, kam zu dem seltsamen Fazit:

„Am Weltfrauentag - via Instagram - als Mann einer Frau in den Rücken zu treten, ist symbolische Selbstverbrennung.“ (Quelle: Twitter)

Eine spontane Umfrage mit mir selbst, die in etwa so repräsentativ ist, wie das sonst bei Rankingshows im Dritten üblich ist, kommt zu dem Ergebnis, dass man den Rückzug auf die eigene Naivität als Ausrede für dumme Entscheidungen etwa in der Altersspanne verwirkt, in der man aufhört, an den Weihnachtsmann zu glauben.

Tilo Jung ist fast 30 und muss jetzt entweder ganz stark sein (tut mir leid, Tilo, und das mit dem Osterhasen ist auch gelogen), oder endgültig einsehen, dass man irgendwann nicht mehr als jung und naiv durchgeht, sondern als alt und dämlich.

Anders als Jung, der mit Vehemenz immer wieder unter Beweis stellt, dass er ein Problem mit Frauen hat (gerne dazu auch dieses „von Tilo Jung positiv bewertete Video“ bei Youtube ansehen oder einfach mal „Penisdialoge“ googeln), scheint man bei seinem Arbeitgeber, den Krautreportern (Offenlegung: für die ich auch schon als Autorin tätig war), lernfähig.

Als zum Start des Projektes nur weiße Männer um Geld für die Rettung des Online-Journalismus warben, musste man noch eingestehen, sich über die Beteiligung von Frauen an der Redaktion keine Gedanken gemacht zu haben. Nun will man wohl endgültig beweisen, dass das tatsächlich Unbedachtheit und nicht Agenda war:

„Zu @TiloJung: Krautreporter steht nicht für Sexismus und das Kokettieren mit Gewalt gegen Frauen. Wir werden Konsequenzen daraus ziehen“,

twitterte gestern Sebastian Esser.

Was das konkret bedeutet, erfahren wir sicher bald in diesem Internet.

[+++] Ab 20 Jahren Betriebszugehörigkeit scheint sich beim WDR die Kündigungsfrist ins Unermessliche zu steigern. Jürgen Domian hat sowas von die Schnauze voll, dass er mit der Ankündigung nicht länger warten wollte. Oder der WDR wollte einfach mal wieder in die Medien. Eins davon wird der Grund dafür sein, warum Domian schon gestern Abend bekannt gab, dass er im Laufe des nächsten Jahres seinen Job an den Nagel hängen möchte.

„20 Jahre Nachtschicht sind nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Ich habe Lust, mal wieder häufiger die Morgensonne zu sehen“,

zitiert ihn die knappe Pressemitteilung. So ziemlich jede Zeitung berichtet, wobei man sich nicht ganz einig ist, ob es sich bei Domian um einen „Nachttalker“ (dpa/Tagesspiegel), „Nachtvogel“ (sueddeutsche.de), Radiotalker (turi2), um eine „Institution des Westdeutschen Rundfunks“ (faz.net), „eines der letzten Urgesteine von 1LIVE“ (DWDL) oder doch um einen „Nacht-Talker“ (nochmal dpa/Tagesspiegel) handelt.

[+++] Ein anderer musste seinen Posten schon gestern räumen, und zwar nicht ganz freiwillig: der bisherige Chefredakteur Hans-Peter Buschheuer verlässt die Berliner Boulevardzeitung Kurier, weil er weder sparen und noch verlagsintern umstrukturieren wollte.

„,Unterschiedliche Auffassungen zur Weiterentwicklung der Marke’ lautet denn auch die offizielle Begründung für die Freistellung des Chefredakteurs. Tatsächlich ging es allerdings nicht um Konzepte der Zukunft, sondern um die Finanzen von heute. Buschheuer wollte die neuerliche Kürzung seines Honoraretats in sechsstelliger Größenordnung nicht hinnehmen, er sah seine journalistische Handlungsfähigkeit auf dem umkämpften Berliner Zeitungsmarkt durch den Sparkurs der Eigentümer bedroht. In der vergangenen Woche schließlich provozierte er den Rausschmiss, als er der Ausgliederung seiner Redaktion in eine Berliner Kurier GmbH widersprach. Diese Ausgründung ist Bestandteil einer umfassenden Neuorganisation im Hause DuMont, mit Sparmaßnahmen hat sie nichts zu tun. Nachdem alle Versuche scheiterten, Buschheuer von diesem Widerspruch abzubringen, sah der Vorstand des Kölner Medienhauses keine andere Wahl als die Trennung.“

So erklärt es der mit Vorgängen im Haus M. DuMont Schauberg nicht ganz unvertraute Uwe Vorkötter bei Horizont.

Nun klingt es nur so mittel wahrscheinlich, dass bei einem Verlag mit sinkenden Auflagen an allen Fronten Ausgründungen nichts mit Sparmaßnahmen zu tun haben – und sei es, dass DuMont mit der Umstrukturierung nicht beim Kurier, sondern sich auf Dauer den Kurier sparen möchte, wie turi2 mutmaßt. Unterm Strich bleibt die Botschaft: Wer in deutschen Verlagen noch etwas werden (oder bleiben) möchte, sollte besser schön stromlinienförmig daherkommen. Und Buschheuer hat jetzt endlich Zeit, sein Fahrradblog zu pflegen.

[+++] In anderen Worten und einer letzten gewagten Überleitung für heute: Langsam wird es wirklich Zeit für den Auftritt des neuen Erlösmodells. Aktuell für die Rolle favorisiert: die Leser.

Gestern verkündete die taz, von ihren Online-Lesern 60 Euro pro Jahr verlangen zu wollen. Andernfalls – passiere nichts.

Nun ist es natürlich irgendwie sympathisch, das Netz so offen lassen zu wollen, wie wir es gewohnt sind, und einfach auf das Gute und Spendable im Menschen zu hoffen. Wie gut das alles auf freiwilliger Basis funktioniert, hat die taz aber schon mit Flattr und Taz-zahl-ich gelernt.

Vielleicht ist das Ganze doch nur eine clevere PR-Strategie, um Aufmerksamkeit zu generieren und durch die Hintertür das Anliegen zu verkünden, um das es wirklich geht.

„Solange die zwangsfinanzierten Angebote der Öffentlich-Rechtlichen online sind, wird die Bezahlschranke keine Chance haben.“ (Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch bei kress.de)

„Wäre taz.de gemeinnützig, würde es unmittelbar einleuchten, dass die Unterstützer einer Idee nicht immer auch die Nutznießer derselben sein müssen. Es sind ja auch nicht die Robben, die für Greenpeace spenden.“ (Karl-Heinz Ruch in der taz)

Gemeinnützigkeit, das öffentlich-rechtliche System, die Leser – irgendwo dazwischen hat sich ein Erlösmodell versteckt. Die Suche danach geht weiter.


Altpapierkorb

+++ Ein amerikanischer Konzern hat den Verkaufsstart einer Uhr angekündigt, die man 18 Stunden am Stück benutzen kann. Der Einfachheit halber sei hier aufgezählt, wer nicht berichtet: wir. +++

+++ Technologie trifft Emotion, und das längst nicht mehr nur im Kino wie bei „Her“, sondern auch im wahren Leben. Clemens Voigt dazu im Aufmacher auf der FAZ-Medienseite. +++

+++ Als griechischer Korrespondent in Deutschland hat man es dieser Tage auch nicht leicht. „Daheim, bei den Freunden, in der Familie, den alten Schulkameraden steht er im Verdacht, zu viel Verständnis für Berlin zu haben. Und hier in Berlin, wo er genauso wie die allermeisten seiner Landsleute um Griechenlands Zukunft fürchtet, läuft er Gefahr, mit den provokanten Sprüchen der griechischen Links-Regierung gleichgesetzt zu werden. Pappas steckt mitten im Konflikt und fremdelt doch mit beiden Seiten. ,Nichts’, sagt er, ,ist daran derzeit ein Vergnügen.’“ Stefan Braun hat Georgios Pappas, der für das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Griechenland arbeitet und daher vor kurzem fast seinen Job verlor, für die SZ in Berlin getroffen. +++

+++ Schlecht ergeht es auch den Korrespondenten in Brüssel, wie ein gerade erschienenes Buch aufdeckt, über das wiederum die NZZ berichtet. „Ihre Einsichten sind teilweise desillusionierend: Die Struktur der EU und ihre Funktionsweise machten es den Journalisten schwer, eine breitere Öffentlichkeit für europäische Politik zu interessieren. Die Arbeitsprozesse speziell in der EU-Kommission seien ,langsam, komplex und für Laien schwer begreiflich’, und für das Fernsehen gebe es kaum Bebilderungschancen. Es fehlten schlichtweg die ,Gladiatoren-Kämpfe’, die in den nationalen Arenen Politik spannend machten.“ +++

+++ Über die Zukunft des Journalismus und seine Finanz- und Glaubwürdigkeitskrise wurde im Februar bei der Jahrestagung des Netzwerks Medienethik diskutiert. Was dabei herauskam, steht hier. +++

+++ Apropos Glaubwürdigkeitskrise: Am Mythos Lügenpresse arbeitet sich Michael Mayer beim Deutschlandradio Kultur ab. +++

+++ Noch jemand, der sich gerne abarbeitet, ist Steffen Stefan Niggemeier, diesmal an einem Artikel des Tagesspiegel-Chefs Stephan-Andreas Casdorff über die Möglichkeit einer Bundespräsidentin Angela Merkel. +++

+++ Manch einer glaubt, die Geschichte habe bewiesen, auf welcher Seite der Mauer das bessere Deutschland lag. Das ZDF lässt das zur Sicherheit noch mal von zwei Schauspielern durchtesten und sendet das Ergebnis „Geh doch nach drüben! Wo lag das bessere Deutschland?“ heute sowie in einer Woche um jeweils 20.15 Uhr. Maria Fiedler ist im Berliner Tagesspiegel nicht zufrieden. „Endgültig absurd wird das Ganze, als von Jascheroff nachvollziehen will, wie das eigentlich so war mit dem Tunnelbau zwischen Ost und West. Im Holzfällerhemd kriecht er durch einen niedrigen Tunnel und schaufelt ein wenig. Sein angestrengtes Fazit: ,Sieben Monate lang, jeden Tag, was für ’ne Kacke.’“ +++

+++ Etwas später am Abend bei Arte: „Operation Barbie: Kuhhandel. Staatsaffäre.“ Dazu Willi Winkler in der SZ: „Die Verdienste der Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld und ihres Mannes Serge um die Ergreifung Barbies sind gar nicht genug zu rühmen, aber in diesem Film stehen zwei andere Männer im Zentrum: der ehemalige Guerillero Régis Debray, der einmal versucht hatte, Barbie zu entführen, und Robert Badinter, François Mitterrands Justizminister, der für die Abschaffung der Todesstrafe gekämpft hatte. Während des Barbie-Prozesses entdeckt er, dass auch sein Vater zu den Menschen gehörte, die auf Barbies Befehl deportiert worden waren. Plötzlich wird ihm bewusst, dass es dieser Barbie sein wird, der als erster von der Abschaffung der Todesstrafe profitiert. Als Dialektiker erkennt Badinter, dass vor allem die Gräueltaten Barbies der Grund waren, für die Abschaffung der inhumanen Bestrafung zu kämpfen. Dass es der SS-Mörder Barbie war, der diese Liberalisierung ungewollt bewirkt hat, ist für Badinter ein Triumph des humanen Rechts. Der Schlächter profitiert, aber gewonnen hat das Recht.“ +++

+++ Auch auf der Medienseite der FAZ finden sich Fernsehempfehlungen für heute Abend. Michael Hanfeld hat mal wieder alles gesehen, sowohl den Sat1-Film „Hangover in High Heels“ („Nun mag Vertrauen gut sein, Überraschung ist eindeutig besser. Die aber kommt auf, wenn sich die bis dahin eher wenig hochprozentige Komödie auf der Schlussgeraden zum Gerichtsdrama mausert. Dann naht ein gar nicht so übles Erwachen. Wer hätte das gedacht.“) als auch die Arte-Doku Futebol e vida“, die Daniel Cohn-Bendit während der WM in Brasilien drehte („Cohn-Bendit zeigt uns in seinem Film – der aus den Videotagebüchern entstand, die er für Arte während der WM produzierte – also aus Brasilien alles, was wir im vergangenen Sommer nicht gesehen haben. Er zeigt uns Menschen, die für den Bau der Stadien aus ihren Häusern vertrieben wurden, die sich gegen die Willkür der Politik und des organisierten Fußballs wenden und dann, nach dem Anpfiff, innehalten. „Wenn der Ball rollt“, sagt der Sänger Gilberto Gil, „regiert der Ball.“ Danach geht es mit dem Kampf gegen ungerechte Verhältnisse weiter.“). Über den, alles andere hätte auch enttäuscht, die taz ebenfalls berichtet. +++

Der Altpapierkorb füllt sich Mittwoch wieder.

weitere Blogs

Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.