Hey, supergerne!

Hey, supergerne!

Von „Spiegel Online für Arme“ bis „ein bisschen wie Bild.de“ - schmeichelhaft fallen die Urteile über die am Donnerstag gestartete deutsche Huffington Post nicht aus, um es mal vorsichtig zu formulieren. Die Frage, ob die Null-Honorar-Praxis des hiesigen Newcomers dazu beiträgt, dass die Sitten weiter verwildern und Journalismus zum „total freien Beruf“ wird, wird auch wieder aufgeworfen. Dass Arianna Huffingtons Blackberry lila ist, wissen wir nun auch. Außerdem: Die Obama-Regierung geht aggressiv gegen die Pressefreiheit vor, und der taffe SWR will Frauen fördern.

„Friedensnobelpreis geht an Alice Munro“ - mit dieser „peinlichen Eilmeldung“ (Tagesspiegel) wartete gestern die deutsche Huffington Post kurz nach ihrem Start auf, machte aus einer Literaturnobelpreisträgerin also mal eben eine Friedensnobelpreisträgerin. Literatur oder Frieden, Hauptsache nobel, hätte vielleicht Andy Möller einst gesagt. Und wenn man die Einschätzungen der Medienbeobachter sowie den „gesammelten Quatsch aus der Huffington Post Deutschland" - den Stefan Niggemeier in einem Tumblr-Blog, aus dem auch der obige Eilmeldungs-Screenshot stammt, gebündelt hat - so liest, kommt man zu der Befürchtung, dass feinsinnige Differenzierungen zwischen Nobelpreisen der angepeilten Leserschaft eher wumpe sind.

Optisch, so Jürn Kruse (taz), wirke Burdas neues Ding „wie eine Zeitreise zurück in die 90er-Jahre“, es sehe „billig“ und „hässlich“ aus. Web 0,9.0 also? Ähnliches steht bei Jonas Rest in der Berliner Zeitung:

„Alles ein bisschen wie Bild.de – nur dass die Huffington Post dagegen aussieht wie eine Website, die aus den Anfangszeiten des Web-Zeitalters stammt. Das minimalistische Layout soll das hektisch zusammengestrickte unterstreichen, die Geschwindigkeit (...) Früher habe man auf der Couch Nachrichten gelesen, sagte Arianna Huffington, die Gründerin der US-Originalausgabe der Plattform, beim Launch in München. ‚Heute auf einem galoppierenden Pferd.‘“

Rest nutzt außerdem die von Burdas Postfrauen und -männern geschätzte VERSALIEN-SCHREIBWEISE und fügt zu den gestern anderswo verbreiteten Tätigkeitsbeschreibungen für Cherno Jobatey („Grüßaugust“ etc.) noch eine weitere hinzu („Maskottchen“). Diese Beschreibung könnte man als Widerspruch zur Einschätzung von Tagesspiegel-Redakteurin Sonja Álvarez interpretieren („Der Exmoderator des ZDF ‚Morgenmagazins‘ will sich vor allem um die politische Berichterstattung kümmern“). Aber möglicherweise ist es ja auch eine altmodische Auffassung, dass sich Maskottchen nicht um politische Berichterstattung „kümmern“ können.

####LINKS####

Und wie ist es um die politische Berichterstattung beim „Walmart des Journalismus“ (Mathieu von Rohr, Spiegel), um die sich Jobatey mutmaßlich kümmern wird, derzeit bestellt?

„Während die Mutter-Plattform aus den USA ursprünglich als explizit linksliberales Gegengewicht zu Medien wie Fox News angetreten war, zeichnet sich die deutsche Huffington Post in ihrer Startausgabe also eher durch eine gewisse Nähe zu den Unionsparteien aus“,

schreibt Christian Stöcker (Spiegel Online). Apropos SpOn: Insgesamt wirke die Huffington Post Deutschland wie „Spiegel Online für Arme“, meint Marc Reichwein (Welt), wobei man aber sagen muss, dass dessen Urteil nicht so unversöhnlich ausfällt wie das anderer Kritiker.

Eine derjenigen, die für die von Stöcker konstatierte Unionsnähe sorgen, kommt in einer Passage eines SZ-Artikels vor, in der es auch um Arianna Huffington, die Namensgeberin höchstselbst, geht:

„Der Erfolg der Huffington Post, die weltweit 80 Millionen Besucher monatlich hat, hängt auch mit ihr als Markenbotschafterin zusammen. In ihrem lila Blackberry habe sie einige tausend Telefonnummern, sagt sie später im Gespräch. Ursula von der Leyen etwa, habe sie selbst angerufen, damit diese als Bloggerin schreibe.“

Der Nährwert dieser Sätze erschließt sich möglicherweise beim fünften Lesen, beim ersten bis vierten allerdings nicht. Ein besonders gruseliges Zitat hat der Kölner Stadt-Anzeiger parat:

„‚Die Huffington Post gibt Deutschland die Möglichkeit, zu sich selbst zu sprechen‘, sagte Gründerin Arianna Huffington zum Start in München.“

Rainer Stadler geht für die NZZ in seinem Blog In medias ras noch einmal auf die möglichen Folgen von Burdas Null-Cent-Strategie gegenüber freien Mitarbeitern ein:

„Ein Schreckgespenst muss die Huffington Post (...) bereits jetzt für die Arbeitnehmervertreter in der Medienbranche sein. Wenn zahlreiche, frei flottierende Zeitgenossen bereit sind, ihre publizistischen Werke für Gotteslohn der ‚Huffington‘ anzudienen, wie wollen die Gewerkschaften dann noch Mindestlöhne bei den Medienhäusern durchsetzen? Solche Ziele werden immer weiter in die Ferne rücken. Journalismus wird wirklich zum total freien Beruf.“

Die am Donnerstag hier touchierte Frage, ob wenigstens das „Maskottchen“ (siehe oben) Geld bekommt, wird heute beantwortet. Ja, kriegt es, schreibt die FAZ unter der hübschen Überschrift „Über Tarif“. Die Titanic hat derweil das gestern hier verlinkte Medium-Magazin-Interview mit dem demnächst seinen Dienst antretenden Chefredakteur Sebastian Matthes ein bisschen an- und zugespitzt, weshalb die Titanic-Version von Matthes nun dies sagt: 

„Es heißt ja, nur die dümmsten Kälber wählten ihre Schlächter selber, aber warum müssen es denn unbedingt auch die dümmsten Schlächter sein? (...) Letztlich wollen wir eine gesunde Mischung aus Kreativprekariat und High Society anbieten.“

Prima ist die Matthes in die Mund gelegte Formulierung:

„Letztlich wird die Zukunft des Journalismus nicht am Schreibtisch, sondern am Reißbrett entschieden.“

Das sehen viele Verlagsmanager ja wirklich so, auch wenn sie das so nicht sagen würden - siehe Madsacks geplante „Zentralredaktion“ für Regionalzeitungen. Und was den Ausklang des Textes angeht, ist zumindest die Medienarbeiterjargon-Karikatur in der letzten Antwort sehr gelungen:

„Wir danken für Ihr Geblubber.“

„Hey, supergerne!“

[+++] Wie die deutschen Huffingtons über die unlängst massenhaft vor Lampedusa zu Tode gekommenen Flüchtlinge geschrieben hätten, mag man sich lieber nicht ausmalen. Mit der Sprache der Berichterstatter beschäftigt sich Felix Werdermann (freitag.de):

„Es dauerte nicht lange, da berichteten die Medien über das ‚Unglück‘ der hunderten Flüchtlinge, die vor Lampedusa im Meer ertranken. Passt dieser Begriff? Zwar hat sich niemand den Tod der Flüchtlinge gewünscht, doch die europäischen Innenpolitiker mit ihrer Abschottung haben ihn zu verantworten. Bei einem Unglück hingegen gibt es keine Schuldigen, nur Opfer einer höheren Gewalt.“

Werdermann missfällt auch die Sprache in der arte-Dokumentation „Festung Europa“ (siehe Altpapier). Der Film kritisiert zwar in vielerlei Hinsicht die europäische Flüchtlingspolitik, stellt aber die Begriffe ihrer Befürworter und Exekutierer nicht in Frage:

„Es geht los mit der Übernahme der offiziellen Selbstbezeichnung von Frontex als ‚Grenzschutzagentur‘. Nicht die Flüchtlinge sind also schutzbedürftig, sondern die Grenzen. Würde Frontex nicht treffender beschrieben mit dem Begriff ‚Grenzüberwachungsagentur‘? Wem das zu lang ist: Grenzagentur.“

[+++] Die Regierung Obama geht „aggressiv“ gegen die Pressefreiheit vor - das Commitee to Protect Journalists dokumentiert dies jetzt in einem ausführlichen Text (Hauptautor: Leonard Downie Jr.) anhand zahlreicher Beispiele. „Demnach verfolgt Barack Obama mutmaßliche Whistleblower deutlich härter als alle Präsidenten vor ihm zusammen“, fasst süddeutsche.de den Text zusammen. Im Original-Report heißt es:

„Journalists from other countries pointed out that hostility by the U.S. government to the news media can be damaging to press freedom elsewhere, contrary to the openness the Obama administration has been advocating internationally. Mohamed Elmenshawy, the widely published Egyptian columnist and director of regional studies at the Middle Eastern Institute in Washington, said, ‚As journalists from Third World countries, we look at the U.S. as a model for the very things we want: more freedom of expression and professionalism. We are fighting for free news and not to be threatened, and when we see some issues here regarding regulating news and reporting, it is bad news for us because usually our governments, especially undemocratic ones, use this as an example in a very negative way.‘“

Ein Problem mit der Wahrheit hat möglicherweise auch die britische Gazette The Daily Mail, die gerade den Guardian wegen dessen Geheimdienstmachenschaften-Enthüllungen als „the paper that helps Britain's enemies“ bezeichnet hat. Darauf lässt der Guardian nun diverse internationale Chefredakteure (und andere hochrangige Journalisten) antworten, sogar Wolfgang Büchner, der neue Spiegel-Chef, hat einen Text beigesteuert, obwohl man ihm ja nachsagt, er schreibe eher wenig.


Altpapierkorb

+++ NDR-Intendant Lutz Marmor hat dem Verwaltungsrat des Senders „vorgeschlagen“, die Programmdirektoren-Amtszeit Frank Beckmanns zu verlängern. Das ist „fast eine Überraschung“ (Tagesspiegel) bzw. angesichts zum Beispiel dessen, dass Beckmann neulich durch nicht allzu heroisches Verhalten gegenüber einem Provinzpolitiker aufgefallen ist (siehe stefan-niggemeier.de, Rotenburger Rundschau) ungefähr so uplifting wie die Nachricht, dass Cherno Jobatey bei der HuffPo was auch immer macht. 

+++ Die Rundfunkkommission der Länder, also eine ganz wesentliche Institution der hiesigen Medienpolitik, soll transparent arbeiten. Das fordern die Piraten im nordrhein-westfälischen Landtag. Die Funkkorrespondenz berichtet.

+++ Außerdem in der FK: Frauenförderung beim SWR. Weil der Sender bis 2020 „deutlich mehr Frauen in Führungspositionen bringen“ will, gibt es jetzt ein Förderprogramm, das sich laut SWR „besonders an weibliche Nachwuchskräfte richtet“. Titel: „Taff“ („Talente aufbauen, Führungsnachwuchs fördern“).

+++ Die taz greift kurz eine nicht allzu gehaltvolle Vorabreaktion des CDU-Politikers Christoph Bergner auf den neuen „Polizeiruf“ aus Magdeburg auf („Rechte Gesinnung als ausgewiesenes Ostproblem im ,Polizeiruf' klischeehaft darzustellen, wäre fatal"). Die taz findet den Film gut; eine lange Rezension steht im Hamburger Abendblatt.

+++ Außerdem hat die taz mit dem Autor Roberto Saviano gesprochen, weil auf der Programmmesse Mipcom in Cannes eine Serie vorgestellt wurde, die auf seinem Anti-Mafia-Besteller „Gomorrha“ beruht. Saviano: „Das Buch ist im Grunde eine dokumentarische Novelle, in der seriös recherchierte Fakten präsentiert werden. Die Fernsehserie erzählt und enthüllt die Dynamiken, die diesen Tatsachen zugrunde liegen. Die Reihe ist also keine Dokumentation, sondern eine erfundene Erzählung, aber immer noch basierend auf einer profunden und kohärenten Recherche.“ Sehr viel mehr steht dazu auf der FAZ-Medienseite.

+++ Die gestrige „Beckmann“-Sendung zum Thema Rechtsextremismus fand Frank Lübberding (faz.net) weitgehend gelungen.

+++ Andere Formen der Nachkritik: „Schon jetzt hat sich in diesem Monat die GEZ-Gebühr (gemeint ist wohl: Haushaltsabgabe - Anm. AP) gelohnt“, lobt der Gentrification Blog (via @SimonHurtz). Anlass für die warmen Worte sind „mehrere gut recherchierte Reportagen über den Mietenwahnsinn in Deutschland“.

+++ Wer zum letzten Jahreswechsel das Altpapier-Spezial zur „Herzkino“-PR von ARD und ZDF genossen hat, den wird interessieren, dass sie bei arte mittlerweile auch gelernt haben, wie man Schmonzetten bewirbt. Den heute laufenden Film „Sommer in Rom“ zum Beispiel: „Nebenbei stellen Michael und Susanne schnell fest, dass die Flirtgefahr unter südlicher Sonne ungleich höher ist als zu Hause. So macht der einflussreiche Padrone Ercole (Dietrich Mattausch) Susanne erst den Hof und dann noch ein Jobangebot. Michael hingegen erhält bei seinen Recherchen Unterstützung von der hübschen Bibliothekarin Maria (Anna Julia Kapfelsperger), die irgendwann in seiner Wohnung landet, vor deren Tür just die Schwiegereltern aus Deutschland stehen. Selbst Carolines Liebeskummer ist vergessen, als sie sich vom gut aussehenden Toni (Daniel Rodic) den Kopf verdrehen lässt. Und auch Tobias (Nick Julius Schuck) schwebt auf Wolke Sieben, weil er in Rom endlich seine heiß ersehnten Meerschweinchen bekommt.“ In der FAZ (Seite 39) schreibt Melanie Mühl: „Und so fließt dieser Film 88 Minuten dahin, ohne Plot, ohne größeren Witz und mit einem Unterhaltungswert, der Richtung null tendiert. Selbst an Rom, das stets kulissenhaft wirkt und nur begrenzten Charme entfaltet, darf man sich nicht erfreuen. Aber vielleicht werden Filme wie diese ja in Wahrheit auch gar nicht mit dem Ziel gedreht, dass der Zuschauer ihnen aufmerksam folgt. Vielleicht wollen sie einfach das Hintergrundrauschen liefern zu Tätigkeiten wie Bügeln, Putzen oder Kochen.“ Wird arte also zum Bügelsender?

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

weitere Blogs

Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.