Das Wesen der Qualitätsinformation

Das Wesen der Qualitätsinformation

Bleibt alles beim alten oder wird aus der Suche nach neuer Spiegel-Chefredaktion die längste Papstwahl des 21. Jahrhunderts? Und wer ist eigentlich für den wirtschaftlichen Erfolg zuständig - Geschäftsführung oder Chefredaktion? Außerdem: Was machen eigentlich die Hitler-Tagebücher?

Zum Stand der Dinge in Sachen Demission der aktuellen Spiegel-Chefredakteure geben wir direkt zu den Beobachtern vor Ort. Was gestern geschah:

"Nach einer Begrüßung durch Mascolo dementierte Saffe die Ablösung der beiden nicht, er bestätigte sie jedoch auch nicht. Aus den Reihen der Redaktion gab es Nachfragen. Jedoch wurde, so erzählen es TeilnehmerInnen, nicht über Personen diskutiert. Sondern über strategische Fragen."

Wissen Felix Dachsel und Daniel Schulz in der TAZ. Auf Meedia.de wird der Auftritt des Geschäftsführers von Stefan Winterbauer so erinnert:

"Am Montag vormittag trat Spiegel-Geschäftsführer Ove Saffe dann vor die Redaktion und gab eine Stellungnahme ab. Sollte es seine Absicht gewesen sein, für Klarheit zu sorgen, dann ist das nicht gelungen. In komplizierten Worten erklärte er der Spiegel-Mannschaft, dass es keinen Beschluss der Gesellschafter zur Abberufung der Chefredaktion gibt. Er ergänzte, dass er sich in intensiven Gesprächen mit den Gesellschaftern befindet."

Woher die Informationen der Nicht-Dabeigewesenen stammen, liegt auf der Hand:

"Einige Mitarbeiter fassten die Aussagen Saffes als Dementi der Abberufungs-Meldung auf. So war es aber nicht gemeint, wie eine Verlagssprecherin später klarstellte. Es gibt schlicht 'keinen Beschluss'."

Heißt es auf Meedia.de. Und in der TAZ:

Je mehr man mit MitarbeiterInnen des Magazins spricht, desto mehr drängen sich zwei Schlüsse auf. Der erste: Ja, es gibt eine Diskussion über die Chefredaktion... Und: Mascolos Stil wird moniert. Habe er in den ersten ein, zwei Jahren beim Machen der Spiegel-Titel noch einen offenen Diskussionsprozess zugelassen, sei das inzwischen anders."

Die Sache wirkt verfahren. Gibt es Hoffnung für Mascolo/Blumencron oder muss man sich die Chefredakteurssuche beim Spiegel nun wie die Papstwahl im Zeitreichtum des Mittelalters vorstellen? Den Grund fürs Verfahrensein kann man, wie Winterbauer, jedenfalls bei der mächtigen Mitarbeiter KG suchen:

"Schuld an der ganzen Misere ist vor allem die besondere Konstruktion des Spiegel-Verlags. Die grundsätzliche Crux beim führenden deutschen Nachrichtenmagazin ist die Gesellschafterkonstellation, die in guten Zeiten funktionieren mag. In Krisensituationen tendiert das System aber dazu, sich selbst lahmzulegen."

Da ist wohl etwas dran, weil schon das Zustandekommen der Mitarbeiter KG sich in einer Zeit wirtschaftlicher Prosperität ereignete. Andererseits hat das Modell, das Mitarbeiter mit über ihren Chef bestimmen können, nach wie vor etwas Unerhörtes.

Michael Hanfeld betrachtet den Vorgang in der FAZ (Seite 31) noch einmal aus anderer, ebenfalls unerhörter Richtung:

"Seit wann sind Journalisten – hier die 'Spiegel'-Chefredakteure – hauptverantwortlich für den wirtschaftlichen Erfolg ihrer Medien? Ist der Vermarktungserfolg nicht die Aufgabe der Verlage?"

Motiviert ist die Frage sicherlich aus – würde Michael Hanfeld "Solidarität" sagen? – Sympathie mit der Position der Journalisten Mascolo und Müller von Blumencron in dieser Sache. Was deren Verantwortung für den Verkaufserfolg angeht, so zielt Handfeld ins schwarze Loch des gegenwärtigen Grübelns: Ist guter, sonntagsredengerechter, hollywoodfilmpathetischer Journalismus der Garant für Erfolg oder lassen sich Leute Abos für Malen-nach-Zahlen-Hefte aufquatschen, wenn sie nur drei Kaffeemaschinen und zwei Heizdecken dazu bekommen?

Die Frage kann die FAZ nicht beantworten, wohl aber den Finger in die Wunde legen, die Agonie zu heißen scheint:

"Konzepte für eine Bezahlstrategie gibt es, eine Arbeitsgruppe von sechs Redakteuren (drei Print, drei Online) hat sich intensiv mit dem Thema befasst, doch herrscht Dissens über die Frage, wie groß der Anteil des Online-Angebots sein soll, der kostenlos oder kostenpflichtig ist. Im Grundsatz scheinen sich alle einig – es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie."

In Hanfelds Logik ist das Leiden, das sich am Spiegel gerade erzählen lässt, eine Folge der Entscheidungsschwäche von Ove "Cunctator" Saffe, bei dem Winterbauer daran erinnert, dass er nur Angestellter der Mitarbeiter sei. Wobei, auch daher wohl die sympathische FAZ-Position, die sogenannte Branche auf einen Move aus Hamburg wartet, wie online doch mehr gehen finanziell als nur mit Werbung.

An der Auflage messen will Hanfeld Mascolo/Blumencron jedenfalls nicht, er hält die knapp 900 000 Stück immer noch für "sensationell".

"Die Entscheidung, den 'Spiegel' zu abonnieren oder für 4,20 Euro am Montag am Kiosk zu kaufen, ist im Jahre 2013 ganz anders zu bewerten als in den Jahren 2003, 1993, 1983 oder 1973 – in einer Welt, in der einem permanent weisgemacht wird, Qualitätsinformation gebe es für lau. Wer glaubt, diese Entwicklung lasse sich mit zwei, drei tollen Titelgeschichten umkehren, lügt sich in die Tasche."

[+++] "Qualitätsinformation" ist natürlich ein Superstichwort. Am liebsten würden wir hier ein kleines Dossier anlegen, ein Manual, ein Alles-was-man-wissen-muss (Woran erkennt man sie? Wann ist sie noch gut oder schon blogstichig?) – was aus Zeitgründen jedoch delegiert werden muss als dringendes Desiderat an das Wintersemester 2013/14 von Prof. Lilienthal.

Was man zur Geschichte der Qualitätsinformation sagen kann: Ihr Vorkommen ist 1983 noch nicht beurkundet. Wie anders hätte sonst das qualitätsjournalistische Magazin Stern des Qualitätsjournalistenschulennamengebers Henri Nannen auf gefälschte Hitler-Tagebücher reinfallen können, auf die Initialen "F. H." standen?

"Man wird bei dieser süffigen Doku-Mischung das Gefühl nicht los, der lustigen Fälschungsgeschichte um Jahrzehnte voraus zu sein. Als ob die Medien nicht immer noch anfällig für 'plumpe Fälschungen' sein könnten."

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Schreibt Thomas Gehringer im Tagesspiegel über die heute abend (20.15 Uhr) programmierte ZDF-Doku "Die Jahrhundertfälschung", die mit exklusivesten Anrufmitschnitten von Stern-Reporter und Hitler-Tagebuch-Auftreiber Gerd Heidemann aufwartet, die, wie nicht nur Meedia.de weiß, auf Springers heißer Website schon einzuhören sind (Wird es Heidemanns unglaublich träg-monotones "Ich bin verzweifelt" je in die Klingtoncharts schaffen?).

Die Texte zum Jubiläum (Wird der Stern ihm einen Titel widmen?) verschieben aus sicherer Distanz noch einmal Verantwortung. In der FAZ schreibt Matthias Hannemann über die ZDF-Doku (und eine am kommenden Montag folgende ARD-Sendung, die sich dem realen Flugzeugabsturz in Sachsen 1945 widmet, aus dem die Tagebücher angeblich stammten):

"Dabei will doch auch Heidemann reingelegt worden sein – vom Militaria-Händler und Fälscher Konrad Kujau nämlich. Um das zu bemerken, muss man das Lehrstück jedoch stärker aus Heidemanns Warte erzählen, vielleicht nicht ganz so einseitig, wie es Spreezeitung.de gerade mit einem biographisch interessanten Gespräch aus dem Jahr 2009 macht, sondern so multiperspektivisch wie die ZDF-Dokumentation 'Die Jahrhundertfälschung'."

Das Heidemann-Interview auf Spreezeitung.de wäre wiederum ein Argument gegen einfaches Internetschelten, weil es in dieser Länge, Rohheit und Gemütlichkeit nie in eine Zeitung gefunden hätte, man es, auch weil es andernorts eben nicht stünde, aber trotzdem interessiert liest.

In der Berliner (Seite 25) schreibt Torsten Wahl nach Ansicht des ZDF-Films über den damaligen Stern-Chefredakteur Felix Schmidt, der sich letzten Donnerstag totalexklusiv in Zeit (Altpapier vom Donnerstag) erinnern konnte:

"Im ZDF erinnern sich Kollegen, wie sich jener Felix Schmidt, der sich in der Zeit ausgiebig darüber beschwert, wie die Chefredakteure damals von der Verlagsleitung übergangen wurden, selbst verhielt: Noch als schon mehrere Experte das Geschreibsel als Fälschung erkannt hatten, drohte er den Stern-Kollegen, dass jeder, der zweifele, fehl am Platze sei."


ALTPAPIERKORB

+++ Die Frage ist schon auch, was die Geschichte der Hitler-Tagebücher heute noch erzählt. Natürlich kann man sich, wie vom KSTA empfohlen, zum 100. Mal "Schtonk" gucken. Interessanter ist, wie im Tagesspiegel angedeutet, sich die Schrulle nicht überlegen vom Leibe zu halten, sondern noch ihren Nachfolgern zu schauen. Die Shitstormagentur etwa (Altpapier von gestern), auf die jüngst SZ, Zeit und Focus reinfielen, oder Nordkoreas "Propaganda"-Film, den Deniz Yücel in der TAZ auch im Bewusstsein des Fakes verteidigte – mit dem bedenkenswerten Gedanken, dass gute Satire (als die man auch die Hitler-Tagebücher begreifen könnte) "möglich" ist, dass der Fake deshalb gelingt, weil er als Lücke in der Wirklichkeit angelegt ist und diese also nur vollkommener macht. +++

+++ Womit wir beim perfekten Menschen wären, über den sich "Precht" mit Juli Zeh im Fernsehen unterhalten hat. Joachim Huber bemängelt im Tagesspiegel das Format: "Zeh und Precht sind sehr von der Sorge um den Mitmenschen getrieben. Nix dagegen, doch was ein Zwiegespräch werden soll, hat bei aller Facettierung und trotz gekonnter Perspektivenwechseln Chorcharakter. In der intellektuellen Umarmung entsteht Wärme, nicht Reibung." +++

+++ Aus Anlass eines Buchs portraitiert Wolfgang Luef in SZ (Seite 31) den österreichischen Verleger Oscar Bronner (Profil, Der Standard). "Selbst Freunde rieten ihm vor jeder seiner Neugründungen ab, in Österreich würde sein Vorhaben nicht funktionieren. Er selbst sagt dazu seit vielen Jahren immer wieder denselben Satz: 'Ich habe einfach die Zeitungen gegründet, die ich selbst lesen wollte.'" +++ Welche Informationen Leser wollen und was Verlagsstrukturen damit zu tun haben: Dorothea Hahn schreibt in der TAZ von einer Nationalen Konferenz für Medienreform in den USA: "Darüber, dass die Kartelle im Internet und bei den Medien zerschlagen werden müssen, herrscht in Denver Konsens. "'Es gibt nur zwei Themen, die alle anderen beherrschen', erklärt der Journalist David Sirota: 'Geld und Politik. Und Medien und Politik'." +++ In Taiwan regt sich Widerstand gegen die Medienmacht des chinafreundlichen Unternehmers Tsai Eng-meng. Die NZZ berichtet: "Nach dem Kauf von zwei Fernsehsendern und der chinesischsprachigen 'China Times', einer der auflagenstärksten überregionalen Tageszeitungen, sicherte sich eine neu gegründete und von einem seiner Söhne geführte Tochterfirma zwei Jahre später für 2,4 Milliarden Dollar auch den Zugriff auf China Systems Network (CNS), den grössten Kabelfernsehbetreiber der Insel." +++

+++ Etwas verspätet, aber weil von eigener SchönheitGünther Rühles Nachruf den verstorbenen Zeit-Feuilletonisten Rolf Michaelis in der FAZ: "Michaelis war als Schreiber einer unter anderen, keine Starallüren, kein Meinungsdruck, kein Urteilsschema waren auszumachen. Entschiedenheit immer wieder. Rolf Michaelis war nie langweilig." +++

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