Hätte schlimmer kommen können

Hätte schlimmer kommen können

Die Zeitungskrise beschäftigt auch im letzten regulären Altpapier 2012 – Lösungsvorschläge inklusive: staatliche Subventionen; Qualitätsjournalismus, der den Namen verdient; Internetvarianten; politisch motiviertes Mäzenatentum, das durchs Internet reich geworden ist.

Am Ende des Jahres ist ein wenig Luft für nicht so aktuellste Aktualität, namentlich die Gelegenheit, einen Blick in das geschätzte monatliche Periodikum "Blätter für deutsche und internationale Politik" zu werfen.

Die Januarausgabe ist gerade erschienen, und darin findet sich ein kleiner Schwerpunkt zum "großen Zeitungssterben" – drei Texte, die das Feld der Diskussion beackern, wie der aufmerksame Medieninteressierte sie seit geraumer verfolgt.

Reinhard Blomert, "Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin" und "Redakteur der Zeitschrift 'Leviathan'", votiert in seinem Beitrag "Die gefährdete Demokratie" für eine staatliche Intervention im offenbar darbenden Zeitungsmarkt.

Zwar ist ihm bewusst, dass staatliche Gebühren nur "für den konkreten Verwaltungsakt" erhoben werden dürfen und dass es "sicherlich zu Klagen gegen die Rundfunk- und Fernsehgebühr kommen" wird, die Notwendigkeit einer Subventionierung scheint ihm zugleich aber durch das Grundgesetz begründbar:

"Wenn jedoch Blätter wie die FR und die FTD den Marktstress nicht mehr aushalten, dann gerät das Grundrecht der Informationsfreiheit (Art. 5 GG) ernsthaft in Gefahr."

Ob man besagten Art. 5 GG tatsächlich so volatil auslegen kann, müsste vielleicht mal ein Verfassungsrechtler klären. Ansonsten ist die Formulierung natürlich hübsch – hier die ehrbaren Zeitungen, da der "Marktstress". Die ketzerische Frage wäre natürlich, wie man mit dieser Wahrnehmung vorbeugen wollte, dass irgendwelche windigen Unternehmer oder auch altbekannten Großverlage ökonomisch unhaltbare Zeitungen wie die FTD gründen, nur damit diese bald von staatlichen Subventionen getragen werden könnten.

Dass es zu Blomerts Lösung kommt, ist realpolitisch eher unwahrscheinlich, liest man weiter im Text:

"Deshalb ist heute die Politik gefragt: Regierungen, die aus Angst vor einem chaotischen Zusammenbruch Banken und Autokonzernen großzügig Hilfe leisten, sollten umso mehr bereit sein, den geistigen Absturz zu verhindern."

Denn wie wollte man einer Politik moralisch ("geistigen Absturz verhindern") kommen, von der man selbst doch schon weiß ("aus Angst"), dass sie allein auf den Druck von wirtschaftlich mächtigen Einflüsterern reagiert. In dieser Lesart erscheint zumindest der von Springer angeführte Lobbyismus in Sachen LSR als ein Appell an die Politik, der konsequenter vorgetragen wird als jede Sonntagsrede, die von "Demokratie", "Öffentlichkeit" oder "Agora" (letztere fehlt in Blomerts Beitrag nicht) handelt.

Der Blätter-Redakteur Daniel Leisegang wirbt im zweiten Beitrag zum Thema für "Die Rückkehr des Journalismus". Das wäre quasi die Stefan-Niggemeier-Linie, wenngleich der beliebte Medienjournalist und Blogger sein Insistieren auf die Selbstverständlichkeiten eines häufig beschworenen Berufsethos' nicht als strahlende Heilsgeschichte, sondern zuerst nur als Voraussetzung begreift, weiterhin an den Sinn von Journalismus glauben zu können.

Leisegang empfiehlt in seinem Text zweierlei – den Redaktionen, am guten Journalismus zu arbeiten und den Verlagen, "benutzerfreundlichen Micropayment-Systeme" auszutüfteln. Das kann man alles unterschreiben, nur weist die Argumentation doch einige Löcher auf, die Redaktionen weiterhin nicht davon abhalten könnten, an den falschen Stellen zu sparen, und Verlage, das Tüfteln gar nicht erst anzufangen – der Umstand, dass Menschen auch im Internet gerne kluge und lange Texte lesen, korreliert allein wohl seltenst mit dem Aufwand, den gerader investigativer Journalismus erfordert.

Die Pointe an Leisegangs Beitrag ist überdies, dass der Text in vielen Abschnitten gelaufene Debatten (LSR) und jüngste Ereignisse (TAZ-Freiwilligen Paywall) referiert, so dass man sich, je länger man liest, die Frage stellen kann, ob der Beitrag selbst vor dem von ihm formulierten, hohen Anspruch bestehen könnte.

Wir meinen das zur Abwechslung mal nicht ketzerisch, auch weil es in dem fragmentierten Zeitschriftenwesen vermutlich auch "Blätter"-Leser gibt, die nicht so krasse Medien-Aficionados sind wie der, sagen wir ruhig, geneigte "Altpapier"-Addict – aber wenn man sich mit Leisegang einmal ganz elitär fragte, wer für eine im Grunde gut durchmoderierte Medienlandschaftsbeschreibung der letzten Zeit bewusst zahlen wollte, wie viel Geld käme da wohl zusammen? Oder anders gefragt: Könnte sich nicht gerade ein Periodikum wie die "Blätter", das in Sachen Aktualität eher wohldosiert aus dem Hintergrund schießt, eine kühnere Position leisten? Oder gibt es die gar nicht beziehungsweise sind wir zu kritisch?

Etwas auf die Kacke haut schließlich der freie Journalist Jan Kursko, dessen Beitrag mit "Qualitätsheulsusen" schon mal schön polemisch überschrieben ist. Und dass Kursko den hemmungslos hypertrophen Abgang der FTD in die Nähe der Satire (besser wohl: Parodie) rückt, nimmt für ihn ein:

"Wie heißt es doch in der Mitteilung 'In eigener Sache' der drei Chefredakteure der 'Financial Times Deutschland' zu deren Ableben: 'Die FTD steht seit ihrer Gründung im Jahr 2000 für die Kraft der schöpferischen Zerstörung. Wir haben in den vergangenen fast 13 Jahren vieles angestoßen und verändert im deutschen Wirtschaftsjournalismus. Darauf sind wir stolz.' Potztausend, soviel Stolz im Augenblick der eigenen Einstellung? Wenn es nicht bereits wie eine Satire klänge, man müsste sie erfinden."

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In Sachen FTD wäre es für zukünftige Bezugnahmen vielleicht hilfreich, wenn ein ökonomisch sich auskennender Autor einmal darlegen könnte, ob das Geldverbrennen von Gruner+Jahr, als das die sich nie rentiert habende 250-Millionen-Euro-Investition nun erscheint, nicht doch irgendeinen Sinn für den Großverlag gehabt hat – also irgendeine Form wie auch immer gearteten Gewinn, der über die tiefgreifendste Veränderung des Wirtschaftsjournalimus in Deutschland hinausgeht, an der die FTD-Macher jetzt ihre Erinnerungen wärmen.

Leider beschleicht den informierten Leser bei Kurskos Text im weiteren der Verdacht, dass die Pose den Gehalt des Texts überdeckt. Ohne als fantasieloser Verlagshansel daherkommen zu wollen – Kurskos finaler Vorschlag:

"Die FR ist tot, es lebe die FR.de!"

klingt hübsch, wirkt aber, äh, unrealistisch. Das Problem der Internetzeitung ist ja vielleicht gerade die Zeitung, die sich so einfach nicht ins Netz übertragen lässt (siehe das Schicksal der Netzeitung, der sich das Altpapier ja verdankt). Wenn Kursko – als Role Model nennt er die Nachdenkseiten – dafür nun relativ emphatisch und unkonkret wird, dann befindet er sich in Wahrheit weit hinter (und nicht über, wie ein kurzes Abwatschen im Text andeutet) Frank Schirrmacher, der unlängst seine Zweifel an dem Kapitalismus der Internetpublizistik aufgeschrieben hatte. Zweifel, dass der Spielraum groß wäre zwischen den auch um Spenden werbenden Nachdenkseiten und einer Dauererregungsmaschine wie Spiegel-Online, sind eben vorhanden.


ALTPAPIERKORB

+++ Back to Tagesgeschehen. Ein Modell zur Printbranchenrettung, das für den Moment zumindest Hoffnung macht, stellt Patrick Bahners in der FAZ vor: Der durch Facebook unendlich reich gewordene Chris Hughes hat die US-amerikanische Zeitschrift "New Republic" gekauft. "Ob Hughes seinen Einstieg beim Traditionsmedium eher als geschäftliches oder als mäzenatisches Engagement verstehen möchte, muss er nicht entscheiden, da er politisch wirken will. ... Die Zurückdrängung des Einflusses der Reichen ist ein klassisches progressives Desiderat, das durch jüngere Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs über das Geldausgeben als Meinungsäußerung noch dringlicher ist. Indem Hughes diesem Anliegen mit seinem Geld Gehör verschafft, befindet er sich in einem Dilemma, das er auflösen möchte, indem er nicht verdeckt, sondern offen nach Einfluss strebt." Ob sich nun jeder Internet-Fantastillionär überreden lässt, für seine politischen Überzeugungen mindestens eine Zeitung zu erhalten, ist noch fraglich. +++ Zumal manche politische Überzeugung nicht so auf-den-ersten-Blick-sympatisch daherkommt wie die von Hughes: Thomas Schuler schreibt in der Berliner (Seite 25) über die Übernahme-Ambition Rupert Murdochs die L.A. Times und Chicago Tribune betreffend: "Mitarbeiter beider Zeitungen reagierten besorgt auf die Aussicht, dass sie bald Murdochs konservative Ideologie und seinem fragwürdigen ethischen Verständnis ausgeliefert sein seien, berichtete das Medien-Blog mediamatters.org." +++ Randi Zuckerberg, der Schwester des Facebook-Gründers Mark, könnte man nach ihrem Quarrel mit den eigenen Geschäftsbedingungen vielleicht noch ein Erweckungserlebnis wünschen, um danach etwas Geld in die nicht so ohne Weiteres teilbare, good old Printzeitung zu stecken. Über den Lapsus mit dem eigentlich privaten Küchenfoto der Zuckerbergs, das dank der undurchsichtigen Häkchen-Politik bei Facebook den Weg in die Welt gefunden hat, berichten etwa Welt und taz. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Lektionen in Sachen Anstand aka Human Decency werden hier diskutiert. +++

+++ Die Deutsche Welle steht vor der Bestellung des Erik-Bettermann-Nachfolgers vor grundsätzlichen Fragen an ihr Wirken, die Jan Knobloch in der FAZ (Seite 37): "Nicht die Einrichtung eines deutschsprachigen 'Best of' ARD und ZDF, sondern der Ausbau des fremdsprachigen Programms stelle 'das entscheidende medienpolitische Ziel der Deutschen Welle' dar. Um ein englisch-, spanisch- und arabischsprachiges Publikum anzusprechen, genüge es aber nicht, die für das Inland produzierten Inhalte zu übersetzen. Sendungen mit regionalem Bezug müssten her – als Beispiel nennt die Arbeitsgruppe einen Beitrag über Deutsche Beobachter in der UN-Syrien-Mission." +++ Bei der Wahl des neuen DW-Intendaten rät übrigens – ein frommer Wunsch? – Tabea Rößner von den Grünen zur "Staatsferne". Auf Meedia.de referiert Christian Meier das Wiwo-Interview mit der CDU-Politikerin Andrea Verpoorten, die dem WDR Intransparenz vorwirft: "Gegenüber der Wiwo verpasst Verpoorten der ARD nun aber die ein oder andere Backpfeife. Zu ihrer Anfrage in Sachen Gottschalk sagt sie: 'Es kann doch nicht sein, dass die Öffentlich-Rechtlichen garantierte Gelder von den Bürgern bekommen, aber ihren Kontrollorganen, wie der Rundfunkrat eines ist, die Verwendung der Gelder nicht offenlegen wollen. Wer öffentliche Gelder nutzt, muss auch transparent machen, wofür er sie ausgibt.'" +++ Ein Ende von Intransparenz verkündet Joachim Huber im Tagesspiegel: "Bier"-Sponsoring oder – Presenting, oder wie immer der euphemistische Begriff dafür heißt, gibt es vor dem Tatort am kommenden Sonntag zum letzten Mal. +++ Daniel Bouhs orientiert in der Berliner (Seite 25) noch einmal über die immer noch offene Frage der Entgelte für die Einspeisung der Öffentlich-Rechtlichen in die Kabelnetze. +++

+++ Sonst viel Wallander: In der FAZ (Seite 37) lobt Oliver Jungen die dieser Tage in der ARD laufenden Folgen mit Kenneth Branagh. +++ Kurt Sagatz erkennt für den Tagesspiegel darin vor allem Kenneth-Branagh-Festspiele, ist aber trotzdem nicht richtig böse. +++ Für die SZ hat Martin Wittmann mit dem Schauspieler gesprochen: "Haben Sie eigentlich je ein Interview gegeben, das sich nicht früher oder später um Shakespeare drehte?" – "Gute Frage. Am heftigsten war es komischerweise bei Thor. Da hat mir wirklich jeder versichert, wie sehr der nordische Sagenstoff mit seinen Prinzen und Kriegern nach Shakespeare klinge. Am Ende bin ich dann aber doch froh, dass mich speziell dieser Autor verfolgt. Hätte schlimmer kommen können." +++ Reinhard Wolff schreibt in der TAZ über die beliebteste Quizsendung Schwedens, bei der man Bahnstrecken erraten muss. +++ Ebenfalls in der TAZ: Dietmar Bartz, selbst Wikipedianer, schlägt die bekannte Internet-Enzyklopädie schon mal für den Friedensnobelpreis 2013 vor. +++

Ein special Silvester-Altpapier gibt's Montag gegen 9 Uhr.

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