140 Zeichen Krieg

140 Zeichen Krieg

Die Social-Media-Strategie des israelischen Armee ist ziemlich nah am Zeitgeist; die ARD verpennt einen historischen Moment; das Fernsehen sollte darauf verzichten, Fußball-Länderspiele zu übertragen, in denen es um nichts  geht - das sind einige der Thesen des Tages. Außerdem: Wie hat sich die TV-Kritik in den Zeitungen und im Netz entwickelt? Plant ein Stern-Chefredakteur eine Geschlechtsumwandlung?

Es gibt existenziellere Themen als die Frage, ob eine Zeitung weiter existieren kann. Am Donnerstag hat ja bereits die SZ mit einer kompletten Seite über die bedrohte Pressefreiheit zwischen Somalia und Pakistan (siehe gestriger Altpapierkorb) implizit darauf aufmerksam gemacht, dass die Aussicht, als Journalist nicht mehr seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, noch etwas besser ist als die, wegen seines Berufs zu sterben.
Heute rückt nun der Krieg in den Blickpunkt der medienjournalistischen Betrachtung, konkret der Krieg zwischen der Hamas und Israel und dabei vor allem darum, wie er sich in den sozialen Medien abspielt. Bei meedia.de haben sie den Mantel der Geschichte an sich vorbei wehen sehen und schreiben über „die erste Twitter-Kriegserklärung der Welt“, während Johannes Kuhn bei süddeutsche.de das Thema vergleichsweise nüchtern angeht.

„Im Jahr 2012, so scheint es, definiert Israel Medienarbeit vor allem als direkte Kommunikation über das Internet. Und die Formate, der sich die Streitkräfte bedienen, sind ziemlich nah am Zeitgeist.“

Dazu zählt er unter anderem diesen Tumblr-Blog des israelischen Militärs.

„How Israel Is Winning the Hashtag War in Gaza“ lautet derweil die knackige Headline eines Beitrags beim Online-Ableger des US-Magazins The Progressive:

„The war between hashtags embodies the deep mischaracterizations that are so prevalent on multiple ends of the conflict. While supporters of Gaza have been banding under the hashtag #GazaunderAttack, the IDF (Israel Defense Forces) has created its own response-- #PillarofDefense. The translation from Hebrew can be interpreted as Pillar of Cloud, a Biblical reference to God incarnating himself as a cloud to confuse and terrorize Egyptians in order to protect the children of Israel.“

Der Autor knüpft an an den Text Kuhns:

„All moral implications of using Biblical imagery for military operations aside, the IDF has taken its social media coverage of the attacks on Gaza to new levels. It has successfully created a brand for the Israeli military, and its sleek designs and infographics serve to suppress the horrifying stories of occupation out of Gaza.“

Unter der vergleichweise lauen Headline „Tweets, Bomben und Raketen“ haut Michael Hanfeld in der FAZ einen dafür umso fundierteren Mini-Essay zur Kriegsberichterstattung und Kriegskommunikation in Zeiten von Twitter raus:

„Über den Krieg wird heute (...) in maximal 140 Anschlägen langen Fragen und Antworten geredet. Doch liegt natürlich nicht nur darin eine Verkürzung. Bevor der erste Kriegsberichterstatter einen Beitrag abgesetzt hat, sind die Einschläge hüben wie drüben tausendfach kommentiert worden. Es braucht auch gar keinen alerten Verkäufer mehr, wie der zum Medienstar aufgestiegene ehemalige Nato-Sprecher Jamie Shea 1999 während des Kosovo-Krieges einer war. Es gilt vielmehr, den Ticker zu füttern, nicht den der Nachrichtenagenturen, sondern den eigenen, um so zum Sieg beizutragen, von dem Clausewitz sagte, er werde ‚nicht durch Vernichtung erreicht, sondern durch das Zerbrechen der gegnerischen Moral.‘“

Hanfelds Text über die vielen Clausewitze, die heute bei Twitter unterwegs sind, könnte auch dazu animieren die aus nahe liegendem Frankfurter Anlass gerade unter anderem auf Wolfgang Blaus Facebook-Seite laufende Diskussion zur Zukunft der Tageszeitung (siehe Altpapier) mit einem konkreten aktuellen Beispiel anzureichern. Wie muss der Kriegsberichterstatter der Tageszeitung - den Hanfeld wohl gemeint hat, denn er ist ja ein Tageszeitungsmann - seine Artikel denn heute schreiben, um mehr zu leisten als die, die bei Twitter schon alles kommentiert haben? Von eben erwähnten Blau gibt es auch noch einen Hinweis zum Thema Twitter und Krieg.

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Weniger luzide als Hanfelds Medienkritik klingt die Paul Ingendaays direkt nebenan auf der FAZ-Medienseite. Er widmet sich der Berichterstattung über die Unruhen in Spanien, vor allem einem Filmbeitrag der Nachrichtenagentur Reuters:

„Der Bildjournalismus, wie die Steuerung der Aufmerksamkeit in Online-Medien zeigt, bedient sich der Verführungsstrategien der Werbung. Ob wir das Gesehene verstehen oder angeödet weiterklicken, ist unerheblich. Der Generalstreik in Spanien (...) eignet sich für diesen Schrumpfjournalismus besonders. In Madrid und Barcelona, auch in Lissabon gab esAbend Ausschreitungen, Gummigeschosse, eingeschlagene Schaufensterscheiben und Festnahmen. Der (...) Bericht dazu ist 59 Sekunden lang und suggeriert bürgerkriegsähnliche Zustände. Wo? Na ja, in Südeuropa eben, wo politische Anarchie herrscht.“

[+++] Wollen wir aber die FR nicht vergessen. Einen „ungefragten“ Rettungsvorschlag macht Karl-Heinz Ruch, der Geschäftsführer der taz, im Blog seines Hauses. Sein Rezept lautet, vereinfacht gesagt: Druckerei verkaufen, Format ändern, aufs Regionale konzentrieren und ohne die Sozis weitermachen.

Die Stuttgarter Wochenzeitung Kontext nimmt die FR-Insolvenz und andere aktuelle und bevorstehende Entwicklungen (siehe auch ein Facebook-Posting der Redaktion zur Lage bei der Stuttgarter Zeitung) zum Anlass, den Begriff „Verleger-Vandalen“ zu kreieren. Außerdem konstatiert man in der aktuellen Ausgabe, dass sich mittlerweile sogar der frühere FR-Chefredakteur Uwe Vorkötter, „der wahrlich kein Linker ist“, die Frage stelle, „ob die Verleger-Presse die Ultima Ratio ist“.

Zu der derzeit mehr als ohnehin schon beliebten These, dass Tageszeitungen überflüssig seien, sagt Lukas Heinser (Coffee and TV), der selbst keine gedruckten Zeitungen liest, das sei

„natürlich auch so ein Quatsch-Argument der Internet-Apologeten: Schon vor 30 Jahren konnte es einem passieren, dass die ‚Tagesschau‘ um 20 Uhr berichtete, was man schon im ‚Morgenmagazin‘ auf WDR 2 gehört hatte. Es geht ja nicht nur um die reine Nachricht, sondern auch um deren Aufbereitung. Und selbst wer den ganzen Tag am Internet hängt, wird nicht alles mitbekommen haben, was sich an diesem Tag ereignet hat.“

[+++] Wenn Journalisten irgendwann nicht mehr wissen, wie Geld in die Kasse kommen soll, können sie immer noch das Verteidigungsministerium beraten. Ein WDR-Hörfunk-Redakteur pflegt dieses vom Sender genehmigte Nebengeschäftsmodell schon seit 2002. Wie erst jetzt bekannt wurde, haben die zuständigen WDR-Gremien eine Programmbeschwerde des Arbeitskreises „Darmstädter Signal“ zurückgewiesen, der anhand konkreter Beispiele argumentiert hatte, der im „Beirat für Fragen der Inneren Führung der Bundeswehr“ hockende Journalist könne nicht unabhängig über die Bundeswehr berichten. Die Funkkorrespondenz berichtet über die Causa.

Aus einem anderem FK-Beitrag erfahren wir, dass die Zeiten nicht nur für Medien schlecht sind, sondern auch für Medienkongresse und insbesondere für die Mitarbeiter von Landesmedienanstalts-Tochterfirmen, die solche Veranstaltungen organisieren. Konkret geht es darum, dass die rot-grüne nordrhein-westfälische Landesregierung das mega-wichtige NRW Medienforum schrumpfen lassen will. Was es mit sich bringen dürfte, dass die Mitarbeiter der LfM Nova, die hauptsächlich jenes Branchenevent organisieren, arbeitslos werden.

[+++] Ebenfalls in der Funkkorrespondenz macht Torsten Körner darauf aufmerksam, dass die ARD es am Mittwoch doch tatsächlich geschafft hat, einen der großen Momente des Jahres - das darf man jetzt schon sagen, und wir erst recht, denn wir machen ja keinen Jahresrückblick - schlichtweg zu „verpennen“. Allzu ausgiebig beschäftigten sich die ARD-Leute mit einem eher öden Spiel des DFB-Teams. Zlatan Ibrahimovics „transzendentales Traumtor“  (Körner), jenen Fallrückzieher, der „in die Geschichtsbücher eingehen wird, zeigte man aber erst in einer „lieblosen“ Zusammenfassung „eine halbe Stunde vor Mitternacht“, als er sich über die sozialen Netzwerke längst verbreitet hatte. Körner leitet aus diesem Versäumnis eine Forderung ab, in der es um mehr geht als nur um Sportberichterstattung:

„Das Fernsehen der Zukunft muss spontan und simultan sein oder es wird nicht mehr sein. Dieses lineare Greisentum, diese beamtenhafte Verwaltung von sensationellen Augenblicken, das ist das Elende. Mit Augenblicken dieser Aura, mit Momenten, die das Herz stillstehen lassen, geht man nicht so fahrlässig um. (...) Die ARD hätte in (...) ihre nationale Brille abnehmen und den Blick des globalen Trüffelschweins sich zu eigen machen müssen, denn das ist der Blick, mit dem junge Leute heute das Netz bereisen.“

Interessant wären aber auch die Reaktionen gewesen, wenn die ARD ins deutsche Spiel tatsächlich, wie vor Körner gefordert, eine Splitscreen mit dem Fallrückzieher eingeblendet hätte - darauf weist Ralph Gunesch (FC Ingolstadt) in einem Facebook-Kommentar bei mir hin.

Aus anderen Gründen ARD-Fußballübertragungskritik übt Joachim Huber im Tagesspiegel, und seine Argumente populistisch zu nennen, scheint nicht ganz verkehrt zu sein:

„Nicht alle Klubs und am wenigsten der Deutsche Fußball-Bund scheinen begriffen zu haben, wie prägend das Bild ist, das das Fernsehen von diesem Sport und seinen ausübenden Kräften vermittelt. Diese am Mittwoch offen zur Schau gestellte Lustlosigkeit beschädigt das Renommee einer Profi-Veranstaltung auf höchstem Niveau. Gelaufen und gerackert wird nur, wenn es um etwas ‚geht‘, sprich im Wettbewerb um Punkte, im Kampf und Können um Geld und um Gehälter.“

Aber in einer Hinsicht hat er dann doch Recht, der Huber:

Freundschaftsspiele passen nicht länger ins Fernsehbild. Oder gibt es ‚Tatorte‘ auf Freundschaftsbasis? Die Antwort ist klar, also ist die Erwartung an den Fußball klar. Es wird auf derartige Partien verzichtet oder die Sender reduzieren die Übertragungen und zahlen weniger für die Rechte.“


ALTPAPIERKORB

+++ Unterm Strich nun erst einmal zwei Hinweise in eigener Sache: Über die Entwicklung der Fernsehkritik in den Tageszeitungen und im Netz, unter anderem über die Schauspieler-Interview-Welle und die Talkshow-Frühkritik-Manie habe ich für die Funkkorrespondenz geschrieben. Und in einem taz-Text von mir geht es um das einzigartige Bundesland Bayern, das zumindest insofern einzigartig ist, als der Steuerzahler dort private lokale TV-Sender (und damit auch örtliche Medienmogule) subventioniert.

+++ Die taz berichtet heute in eigener Sache über eine Strafanzeige, die sie gegen Günter Kirste, den Chef der Deutschen Stiftung Organtransplantation, „wegen Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung“ gestellt hat. Es ist ein nicht unkomplexer Fall, in dem ein älterer taz-Artikel, ein lange unter Verschluss gehaltener Bericht der Überwachungskommission der Ärztekammer und ein „andauernder presserechtlichen Streit vor dem Landgericht Frankfurt“ eine Rolle spielen: „Vorige Woche nun verschickte die Bundesärztekammer nach monatelangen Presseanfragen den Bericht der Überwachungskommission zu dem Fall an interessierte Journalisten. Die darin enthaltenen Feststellungen widerlegen mehrere Aussagen, die Günter Kirste zuvor in dem presserechtlichen Verfahren gegen die taz eidesstattlich versichert hatte.“

+++ In eigener Sache äußert sich die taz auch noch ein zweites Mal - weil die Journalistinnen des Vereins Pro Quote am heutigen Freitag die Zeitung produzieren.

+++ Mehr Quotiges: Der vagen Ankündigung des Stern, 50 Prozent der Führungspositionen mit Frauen besetzen zu wollen, kann der alte Feminist Peter Turi wenig abgewinnen, so lange die beiden Doppelspitzenreiter Thomas Osterkorn und Andreas Petzold „kalt lächelnd auf ihren breiten Chefredakteurs-Sesseln sitzen bleiben“. Ob die Quote dadurch erfüllt wird, dass einer der beiden sich einer Geschlechtsumwandlung unterzieht, stand bei Redaktionsschluss dieser Kolumne noch nicht fest.

+++ Auch Claudia Tieschky (SZ, Seite 31) ist eher amüsiert ob der Ankündigung des Stern: „Chefredakteur Andreas Petzold lobt die ‚fortschrittliche Vereinbarung', die von der Redaktion mitgetragen werde. Im Magazin selbst geht man ebenfalls mit der Zeit. Passend zum Tierbildchen-Trend im Internet bringt der Stern aktuell einen Titel ‚Geliebtes Biest' mit einer Katze auf dem Cover. Oder ist es etwa ein Kater?“

+++ Weiter vorn in der SZ (auf der ersten Feuilletonseite) informiert uns Rudolf Neumaier darüber, dass ein katholischer Pfarrer „gebeichtet“ habe, „dass er auf kreuz.net geschrieben hat“. Der Hobbyautor wolle aber nicht kommentieren, dass er „auch mehrmals per Mail“ mit der Redaktion den rechtsextremistischen Plattform (siehe Altpapier) „in Kontakt getreten“ sei.

+++ Mehr zu bräunlichen Medien: publikative.org berichtet, dass die Terrororganisation NSU „mindestens zwei“ Nazi-Fanzines unterstützt habe.

+++ Den besten Text zum geweseneb CIA-Direktor David Petraeus hat der „The Wire"-Erfinder David Simon vor einigen Tagen geschrieben, mindestens ebenso bemerkenswert - und den Hinweis verdanke ich @danieldrepper - ist aber der Aufwand, den Simon bei der Diskussion mit den Kommentatoren seines Blogs betreibt. Vorbildlich? Vielleicht, aber auch ein Luxus, den sich die meisten nicht leisten können

+++ Am Sonntag um kurz vor Mitternacht gibt es wieder „Entweder Broder“. Die Jüdische Allgemeine hat den Protagonisten zum Start der neuen Staffel interviewt:

+++ Anders Fernsehen gucken: neuerdings.com schwärmt von „Google TV 3.0“ - nicht zuletzt eine wegen einer Sprachsteuerung, „die offenbar besser als Siri funktioniert“.

+++ Die beste Zeitschrift im deutschsprachigen Raum? Unter Fair-geht-vor-Aspekten können dafür nur jene vier in Frage kommen, die die Journalisten-Organisation Freischreiber für ihren Himmel-Preis nominiert hat: Enorm, Mare, Reportagen und Solarthemen.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.
 

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