Facebook ist das RTL 2 des Internets

Facebook ist das RTL 2 des Internets

Die Gefahr von Ironie im Fernsehen ist, dass sie nicht verstanden wird; Markus Lanz weiß nicht, was wichtig ist; der Zustand der Hörspielkritik könnte besser sein. Außerdem: Anleiheninvestorenfreundlichkeit im Spiegel, Homophobie im Focus, der Zusammenhang zwischen Käsekonsum und orgiastischen Gefühlen bei Sat 1.

Ich habe nichts gegen ruppige Polemiken, manche meiner polemischen Formulierungen sind ruppig. Aber anlässlich des Teasers, mit dem die Nachdenkseiten für ihre Analyse der aktuellen Spiegel-Titelgeschichte „Vorsicht Inflation! Die schleichende Enteignung der Deutschen“ aufwarten, schmeiße ich dann doch mal ein paar Steinchen gegen meine Glashauswände. Mit eben jener Story habe

„die alt-ehrwürdige Print-Mutter der boulevardesken Online-Tochter im Wettbewerb um den schlechtesten Wirtschafts-Artikel (...) den Kampf angesagt“,

steht da. Möglicherweise hätte das man auch origineller und weniger plump formulieren können. Eine gewisse Pampigkeit ist in Jens Bergers Beitrag immer wieder zu spüren, aber davon sollte man sich nicht abschrecken lassen, denn rein inhaltlich ist er instruktiv:

„Auf wessen Mist der ganze Inflations-Artikel des Spiegel gewachsen ist, erkennt man schnell, wenn man zwischen den Zeilen liest. Gleich mehrfach wird zur ‚Untermauerung‘ der eigenen Thesen ein gewisser Herr Bosomworth vom Anleiheninvestor Pimco zitiert. (...) Selten hat es ein PR-Agent verstanden, die Medien derart an der Nase herumzuführen. Pimco gehört zu den ganz großen Spielern auf dem Anleihenmarkt. (...) Die Aussagen der Pimco-Verantwortlichen legen (..) nahe, dass Pimco sehr massiv gegen Euro-Anleihen spekuliert. (...)“

Der „Job“ der Spiegel-Leute „sollte es eigentlich nicht sein, für Pimco PR zu betreiben“, resümiert Berger. Stefan Winterbauer knöpft sich bei meedia.de ebenfalls die Inflations-Warnung von der Ericusspitze vor und lässt sich von der Story dazu inspirieren, noch mal all jene sehr ähnlich gelagerten Spiegel-Cover der jüngeren Vergangenheit aus dem Archiv hervorzukramen.

[+++] Eine weitere aktuelle Geschichte aus dem Montagsmagazin-Segment wirkt noch nach bis heute, und zwar ein neulich auch schon von queer.de aufgegriffener Focus-Artikel, der für Michalis Pantelouris zum „Schlimmsten“ gehört, „über das ich mich diese Woche aufrege“. Michael Klonovsky - der wirklich so heißt, obwohl der Nachname so klingt wie Sprißler, Salger, Meyerhill oder Wenningrode, also so, als sei der Mann eine Figur aus dem neuen Rainald-Goetz-Roman „Johann Holtrop“ - hat im Burda-Blatt Folgendes dekretiert:

„Homosexuellen-Probleme sind in letzter Zeit in der Öffentlichkeit ausgiebig behandelt worden (... ) vielleicht zu
ausgiebig. Es ist […] nicht einzusehen, warum sich die heterosexuelle Mehrheit auch noch auf dem Fußballplatz mit schwulen Coming-outs beschäftigen soll.“

Verknüpft ist das Ganze mit einem flammenden Plädoyer dafür, tolerant gegenüber den - vermeintlich - Intoleranten zu sein:

„Die Fankurve ist die letzte Bastion gegen den Totalitarismus der
 Toleranzerzwinger.“

Pantelouris entgegnet:

„Ich möchte das eigentlich gar nicht Argumentation nennen, sondern das wütende Schluchzen eines frustrierten Reaktionärs (...) Von Menschen zu verlangen, sie mögen bitte auf einen zentralen Teil ihrer Existenz verzichten oder ihn zumindest unter extremem Öffentlichkeitsdruck verheimlichen, damit der homophobe ‚Normalo‘ auf der Tribüne nicht ihretwegen sein temporäres Menschenrecht aufs Arschlochsein ausüben muss, ist unmenschlich, unvertretbar und widerlich.“

Michael Klonovsky würde man mit der Formulierung Focus-Fleischhauer wohl nicht zu nahe treten. Aber Fleischhauer vielleicht.

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[+++] Am anderen Ende des politischen Spektrums beschäftigt man sich ebenfalls mit dem Thema Kicker-Outing. Martin Krauß kritisiert in der Jungle World die Berichterstattung dazu: „Das dauernde Gerede über ein erstes schwules Outing im Profifußball“ sei kontraproduktiv:

„Der Diskurs, das dauernde Fragen, wer sie sind, die schwulen Kicker, woran man sie erkennt, wo sie spielen, ob sie Scheinehen führen oder in schmuddelige Clubs fahren, hat die Hemmschwelle, darüber frei zu sprechen und danach zu leben, erst so hoch werden lassen.“

Auf wenig ruhmreiche Weise profitieren manche Medien von dieser Situation, ergänzt Krauß:

„So wie – zumindest früher – Profiteams geschlossen von Boulevardzeitungsreportern in den Puff geführt wurden, um sie danach mit der Drohung der Veröffentlichung zu erpressen, so werden schwule Profis jetzt schon mit Andeutungen über ein mögliches Outing erpresst. Die zu erbringenden Gegenleistungen sind Details aus der Kabine, aus dem Mannschaftsleben, die den Diskurs über den Fußball so interessant machen und von denen die Boulevardpresse – hierzulande wie in England – lebt.“

Die Gegenposition vertritt Gastautor Jan Feddersen, er ist dafür, dass sich bald mal einer outet. „Echte Kerle braucht das Land“, meint er.

[+++] Ein Interview mit Oliver Kalkofe zu seiner Comeback-Sendung bei Tele 5 hat uns in der vergangenen Woche schon eine Kolumnenüberschrift beschert, weshalb wir heute der Verlockung einfach mal widerstehen. In Kalkofes Gespräch mit Markus Ehrenberg vom Tagesspiegel steht allerlei Headline-Reifes, auf die Frage „Was war die schlimmste TV-Szene, die Sie zuletzt gesichtet haben?“ beschreibt er einen Ausschnitt aus dem Sat-1-Format „Pures Leben“, in dem

„eine sehr dicke Frau in einer Scripted-Reality-Doku (...) so tun muss, als ob sie fett, fresssüchtig und geizig sei. Die sieht, wie Lebensmittel weggeworfen werden, in Müllcontainer klettert und Tortenreste mit den Händen frisst. Eine andere dicke Frau muss spielen, sie sei eine geisteskranke Käsesüchtige, die beim Käsefressen orgiastische Gefühle bekommt und mit der Scheibletten-Packung durch die Wohnung tanzt“.

[+++] Für eine andere Form des Humors als Kalkofe steht Denis Scheck, der für seine Literaturkritiksendung „Druckfrisch“ gerade den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis bekommen hat. Bei Cicero Online erzählt er:

„Als ich die Chance erhielt, eine Fernsehsendung zu machen (...), dachte ich mir, ich muss mit den Mitteln der Ironie arbeiten. Ich fragte mich also, wie ich aus dieser Ex-Cathedra-Position des Papstes heraus komme, der sagt: ‚Sie lesen jetzt dieses Buch, sonst erschieße ich diesen Hund!‘ Da ist Sledge Hammers Formel „Vertrauen Sie mir, ich weiß, was ich tue“ perfekt, weil jeder weiß, so spricht nur jemand, der nicht weiß, was er tut. Was ich allerdings unterschätzt habe: Ich dachte, diese Fernsehserie kennt jedes Kind, stattdessen kennt sie keine Sau! Das ist die Gefahr von Ironie im Fernsehen: Dass sie nicht verstanden wird.“

Um Bettina Wulff, Vladimir Nabokov und die Literaturkritik im allgemeinen geht es in dem Interview auch.

+++ Im Schatten beinahe aller anderen Kritikgenres steht die Hörspielkritik. Mit deren Zustand befasst sich Rafik Will (Funkkorrespondenz) anlässlich  eines Vortrags des Literaturwissenschaftlers Johannes Ullmaier auf dem 18. Hörspielforum NRW:

„Am Anfang (stand) die sachliche Feststellung, dass es den Kritikern an einer hörspielspezifischen Terminologie mangelt. Stattdessen werden Sprache und Analysekriterien von den ‚großen Geschwistern‘ der Film-, Literatur-, Theater- und Musikkritik entliehen. Das ist eine mehr als traurige Feststellung. Denn schon die Besetzung von Hörspielrollen muss wegen ihrer puren Stimmenfixierung gänzlich anders diskutiert werden als in Film oder Theater. Die Tiefe oder Oberflächlichkeit des Klangraumes wäre ein weiteres wichtiges Analysekriterium. Und nicht zuletzt: Wie unterscheidet man Hörspiel und Hörbuch objektiv? Stattdessen reduziert sich der Fokus von Hörspielkritik meist nur auf die erzählerische resp. darstellerische Geschlossenheit der Geschichte und deren Unterhaltungswert – wieder eine Übernahme aus anderen Kulturbereichen. Vielleicht ist das aber auch eine Folge des Verschwindens der Hörspielkritik aus den Feuilletons der Tagespresse und selbst aus den Kulturmagazinen im Radio.“


ALTPAPIERKORB
+++ Grundsätzliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit von TV-Duellen meldet The Atlantic an: „Why do we assume that presidential debates should be broadcast on and organized around television, the most vacuous medium in American life? (...) It isn't just where we decide to hold our presidential debates. It is the only medium that is considered! It's no wonder that everything we remember about past debates is embarrassingly superficial.“

+++ Die Berliner Zeitung, der Tagesspiegel, der Guardian und die Wirtschaftswoche in ihrem Sternenbanner-Blog berichten derweil, wie das Duell der US-Vizepräsidentschaftskandidaten Joe Biden und Paul Ryan verlaufen ist.

+++ Der Frühkritik-Großmeister Frank Lübberding haut bei faz.net anlässlich der gestrigen „Markus Lanz“-Show goldene Worte raus: „Markus Lanz ist ein Symptom für unsere gesellschaftlichen Verhältnisse: Er kann nicht zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden.“

+++ Facebook sei „die ewige Krabbeldecke des Netzes", meint Nina Pauer in der Zeit (Seite 58), aber im aktuellen Wettbewerb um die catchiest phrase in Sachen Facebook unterliegt sie doch recht deutlich Johnny Häusler, der in seiner „Medienwelten“-Glosse für die neue Spex (November/Dezember-Ausgabe) schreibt, Facebook sei „das RTL 2 des Internets“ (Nachtrag: Jetzt auch mit Link).

+++ Eine große Rolle in eben jener Spex-Ausgabe (Inhaltsverzeichnis hier) spielt die Modezeitschrift The Gentlewoman. Es gibt ausführliche Gespräche sowohl mit Art-Director Jop van Bennekom als auch mit Chefredakteurin Penny Martin. Letzteres beginnt Anne Waak mit einer Frage, mit der Interviews mit Medienmachern sonst eher selten beginnen: „Wollen Sie mich heiraten?“

+++ Wer ist unter den hiesigen Zeitschriften der „hilfsbereite Nachbar mit Zwangsstörung“? Focus Money. Man kann es auch „Fachblatt für Hysteriker mit Alzheimer“ nennen. Findet Stefan Niggemeier.

+++ Die Gala, eine der stählernen Bastionen des unabhängigen Journalismus, droht ins Wanken zu geraten, weil Christian Krug, der neue Chefredakteur, nebenbei noch ein PR-Blatt redigiert. Ganz so äußert sich der DJV-Vorsitzende Michael Konken zu der Causa nicht, aber so ähnlich (meedia.de).

+++ „Eine weitgehende Übernahme der dapd-Firmen durch dpa ist weder kartellrechtlich möglich noch wirtschaftlich sinnvoll, sagt dpa-Geschäftsführer Michael Segbers - und zwar zu Michael Hanfeld (FAZ, Seite 33)

+++ Hanfeld war auch bei den Dreharbeiten für den guttenbergesken Teamworx/Sat-1-Film „Der Minister“. Beeindruckt zeigt er sich von den „pointensatten Texten der Drehbuchautorin Dorothee Schön“. Und fragt: „Doch was wird das für ein Film? Eine Klamotte, eine Satire, eine Moritat, ein Stück mit Verweis- und Wiedererkennungscharakter vor allem für Insider? Der Regisseur Uwe Janson will sich auf eine Kategorie nicht festlegen. Klamotte – bestimmt nicht. Satire – nicht ganz. Eine dokumentarische Guttenberg-Geschichte – das auch nicht. Komödie – schon eher, aber auch Drama.“

+++ Alles andere als erfreut zeigt sich Jens Jessen in der Zeit darüber, dass Teamworx eine Serie über Hitler, also die „ultimative Unterhaltungsdroge“ (Jessen) angekündigt hat (Seite 50, siehe auch Altpapier)

+++ Der medienpolitische Strippenzieher Martin Stadelmaier, der Anfang 2013 sein Amt als Staatskanzleichef in Rheinland-Pfalz aufgibt (siehe Altpapier), will Mitglied im ZDF-Fernsehrat bleiben, berichtet die Funkkorrespondenz. Möglich auch, dass er bald Verwaltungsdirektor beim Sender wird, spekuliert der Fachdienst.

+++ Auch irgendwie medienpolitisch: Den bald kommenden eigenen „Tatort“ für Franken hat „die SPD-Landtagsabgeordnete und Rundfunkrätin Inge Aures aus Kulmbach“ schon lange gefordert, erfahren wir im TV-Blog von süddeutsche.de.

+++ Allerlei Texte zum Yps-Comeback (siehe auch dieses oder jenes Altpapier) sind erschienen, zum Beispiel im Tagesspiegel („Irgendwie hat es was“) und in der FR („Durch und durch langweilig“). Der überkandideltste und nährwerthaltigste - Letzteres ist er deshalb, weil aus diesem fast 30 Jahre alten Stück der Talking Heads zitiert wird - Artikel steht nicht online, sondern nur in der Print-SZ auf Seite 31. Dass das Zitat nicht ganz stimmt - aus „They were living creatures / Watch 'em come to life“ wird in der SZ „Tiny little creatures / Watch 'em come to live“ - ist nur ein Schönheitsfehler, immerhin haben wir so mal die Gelegenheit, auf ein Talking-Heads-Video zu verlinken. 

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.
 

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