Springer schlägt Wallraff

Springer schlägt Wallraff

Eine Gärtnerstochter von der Nordseeinsel Föhr, die in Sitzungen Äpfel schält, wird 70, während Günter Wallraff immer noch 69 ist. Und dass Bild das SZ-Magazin nachdruckt ("Ich, Kanzlerin, kroch einmal in eine harzige Baumhöhle"), überrascht die taz. Dazu Nachträge zum Deutschlandfunk-Weinreich-Streit und zwei verschiedene Stände der Dinge in Sachen Wallraff

Mancher linksideologisch verblendete Medienbeobachter wird sich heute verwundert die Augen reiben und sagen: "Sorry Friede, ich hab mich geirrt."

Es ist nämlich so: Friede Springer feiert am morgigen Mittwoch nicht nur ihren 70. Geburtstag, wie man im FAZ-Wirtschafts- und SZ-Medienteil schon mal lesen kann, obwohl es erst Dienstag ist – auch Geburtstage hat man ja gerne vorab –, sondern damit vor allem auch einen schönen Sieg gegen Günter Wallraff, den Mann, der bei Bild IM Hans Esser war: Sie ist 46 Tage älter als er. Und das Dollste: Sie war das schon immer und wird es voraussichtlich – hier gilt das Senioritätsprinzip – für immer bleiben.

Muss die deutsch-deutsche Geschichte mal wieder umgeschrieben werden? Die Axel-Springer-Pressestelle wird uns gegebenenfalls unterrichten.

Bis dahin tun wir, also mal wieder im Sinn von ich, uns gütlich an den zwei Porträts der "Gärtnerstochter von der Nordseeinsel Föhr (...), die mit ihren Geschwistern und alten Freunden noch immer Friesisch spricht" (FAZ); Porträts, die vor Details (SZ) und Großüberblick (FAZ) nur so vor sich hinstrotzen.

"Es ist das Erfolgsgeheimnis von Springers Witwe, dass ausgerechnet ihr, der Mehrheitsaktionärin und einflussreichsten Anteilseignerin, Macht, Geld und Renommee persönlich wenig bedeuten, sondern sie diese Triade immer in den Dienst der Sache und damit der Zukunftssicherung des Konzerns gestellt hat",

schreibt etwa in der FAZ Springers Biografin Inge Kloepfer, die auch – so viel zur Frage, wie viele betriebsfremde Journalisten Friede Springer eigentlich wirklich nahe kommen – in der SZ zitiert wird.

Und – bisschen Spaß muss sein – nach dem kleinen stacheligen Hinweis, dass Macht, Geld und Renommee persönlich traditionell kaum jemandem etwas bedeutet, der genug davon hat, um beharrlich "SMSe mit der Kanzlerin" (FAZ) auszutauschen und sich bei Bedarf dreimal täglich in von wechselnden Dienern gezapfte frische Eselsmilch einweichen zu können (nicht auf Tatsachen beruhende Unterstellung), wollen wir Friede Springer, die bekanntlich in Aufsichtsratssitzungen "Äpfel schält oder Orangenscheiben verspeist, und genau mitbekommt, was da läuft" (SZ), herzlich gratulieren. Nicht nur zum Triumph über Wallraff, sondern gerade auch zu dieser Tatsache, die Hans-Jürgen Jakobs, der Springer-Kenner der Süddeutschen aufschreibt:

"Sonntagsreden zum Artikel fünf hält sie nicht".

Das ist definitiv richtig und lobenswert, und dafür sei ihr hiermit mit beiden Händen ein großes Herz in die Luft gezeichnet. Und ihr Verlag sei herzlich gebeten, ihr wenigstens zum 100. mal die O2-World zu mieten, wenn es morgen schon nur

"mittags einen offiziellen Empfang im Verlag, abends eine Festivität im Restaurant"

geben wird statt einer knallgeilen Revue wie vor kurzem zum Hundertsten des verstorbenen Axel, bei der ihr Vorstandsvorsitzender in Unterhosen auftrat. Halt! Nein! Sorry! Pferde wieder durchgegangen! Kapuzenpulli!

(Ein bisschen weniger schnäkelig als bei Merkels Sause für Ackermann ("Backhits Donauwelle 1000 Gramm, 7,99 Euro") wird es aber hoffentlich schon zugehen. Sitzordnung an den Presseverteiler wäre übrigens auch schön. Kommt der süße Herr Prof. Dr. Sauer diesmal?)

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Derweil in einem linksideologisch verblendeten Medienbeobachterkontext: Bild habe das SZ-Magazin nachgedruckt, schreibt die taz. SZ-Magazin: Freitag. Bild-Nachdruck: Samstag auf Seite 2. Dieser Nachdruck, das ist eine Geschichte, die sogar nicht nur links-, sondern auch rechts- und mittelideologisch verblendete Medienbeobachter erst einmal ein bisschen zu wundern vermag – aber da kann man sehen, wie offen Bild wirklich ist: Kaum erscheint einmal in einem Medium, mit dem die eigentlich nicht so dick ist, eine mehrseitige Beweihräucherung einer Autoritätsperson, schon druckt Bild auch dieses gerne nach, in diesem Fall zu einem knappen Drittel.

"Auf ein Wort, Frau Merkel" hieß die Titelgeschichte des SZ-Magazins, für die 37 Prominente Fragen an den "Menschen Merkel" stellten, die dann dummerweise nicht Mensch Merkel, sondern die PR-Berater der Kanzlerin beantworteten: "reine PR", schreibt die taz, "der Bild-Aufmacher auf Seite zwei wurde folglich zu einer Mischung aus inhaltlichem Nichts und Wiederholung". Das inhaltliche Nichts müsste man, wenn schon, denn schon, dann natürlich auch dem SZ-Magazin vorwerfen.

Nicht ungroß allerdings: Kanzlerins Antwort auf Markus Kavkas Frage: "Was war der größte Mist, den Sie als Jugendliche je gebaut haben?" Merkel: "Mit einem neuen Trainingsanzug aus einem Westpaket in eine harzige Baumhöhle zu kriechen."

Das kesselt. Und damit, mit dieser alten Stasi-Geschichte, zu Günter Wallraff: Dem großen Aufriss vom Wochenende (Altpapier von gestern) suppen heute noch ein paar Nachbereitungen hinterher. Die FAZ zweifelt, wie heute überhaupt manches ein wenig reduzierter klingt, in erster Linie die Glaubwürdigkeit des ehemaligen freien Mitarbeiters Wallraffs an, der den Stein mit einer Selbstanzeige ins Rollen gebracht hat:

"Wie der ehemalige Mitarbeiter (...) seine Anschuldigungen bisher stufenweise gesteigert hat, scheint nicht gerade geeignet, seine Glaubwürdigkeit zu untermauern".

Hans Leyendecker von der SZ, dem Jürgen Roth gestern (siehe ebenfalls Altpapier von gestern) in der taz "die gnadenlose Vorverurteilung eines Kollegen" vorwarf, folgeberichterstattet heute – vielleicht, wer weiß, deshalb – im Tonfall eines Nachrichtenjournalisten. Stand der Dinge demnach:

"Die Kölner Staatsanwaltschaft hat am Montag zwei Ermittlungsverfahren gegen den Enthüllungsautoren Günter Wallraff eingeleitet. Dabei geht es um angebliche Steuerdelikte und angeblichen Sozialbetrug. Außerdem prüft die Behörde, ob sie ein Verfahren wegen angeblichen Prozessbetrugs gegen den 69-Jährigen einleiten wird."

Es gibt allerdings eine Ungereimtheit nach Lektüre der Berichterstattung anderer Medien vom Tag: Während es in der SZ heißt, die Strafverfolgungsbehörde wolle "prüfen, ob Wallraff die Honorare und Kostenerstattungen für 13 Veranstaltungen im In- und Ausland im Jahr 2010 vollständig beim Finanzamt deklariert hat", heißt es in einem dpa-Text, zu lesen etwa bei Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau,

"Medienberichte, wonach es um Honorare gehe, die der Autor möglicherweise nicht ordnungsgemäß versteuert habe, bestätigte Bremer" – das ist der Sprecher der Staatsanwaltschaft – "ausdrücklich nicht."

Und der Tagesspiegel schreibt, ebenfalls unter Berufung auf Bremer:

"Geprüft wird der Verdacht des Vorenthaltens von Arbeitnehmerentgelt, Beihilfe zum Sozialleistungsbetrug und eine Strafanzeige wegen Prozessbetrugs."

Nach Stand der Dinge ist also, um das mal zusammenzufassen, im Detail nicht einmal eindeutig, worum es überhaupt geht. Ziemlich sicher ist immerhin, dass die Öffentlichkeit an Wallraff "andere moralische Maßstäbe anlegt als an einen in welchem Verhältnis auch immer bei ihm tätigen Mitarbeiter" (FAZ). Ausgeschriebene Professur für Medienethik mit philosophischem Schwerpunkt, vielleicht übernehmen Sie einfach.


ALTPAPIERKORB

+++ Was natürlich ein Knaller für jeden Branchentreff wäre: Wenn der Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung, Thomas Steinfeld, einst unter Herausgeber Frank Schirrmacher bei der FAZ, dann laut Welt "frustriert", wirklich, wie diese auf Indizienbasis ermittelt haben will, unter einem schwedischen Pseudonym an einem Krimi (mit-)geschrieben hätte, in dem jemand stirbt, der Schirrmacher stark ähnele: "Alles deutet darauf hin, dass der Feuilleton-Chef einer großen überregionalen Tageszeitung sich eine komplette Deckidentität inklusive getürkten Autorenfotos erfindet, um seinem Ex-Chef und Blattmacher-Rivalen unter dem Mantel der Fiktion eines grausigen Todes sterben zu lassen und dessen publizistisches Schaffen durch den Dreck zu ziehen", schreibt die Welt +++

+++ Das CDU-Interview mit David McAllister (CDU), das die CDU an Redaktionen verschickte (Altpapierkorb von gestern), wird heute hier und da gegeißelt. "Plumper Versuch, die Anzeigenblätter in den CDU-Wahlkampf einzuspannen", heißt es beim DJV, via Spiegel Online, was schon richtig ist. Dass Politiker aber versuchen, positiv in die Presse zu kommen, ist so eine wahnsinnig große Geschichte dann auch nicht. "Das Sommerinterview 'Dr. h.c. McAllister fragt den Spitzenkandidaten McAllister' belegt ein weiteres Mal das gestörte Verhältnis der CDU Niedersachsen zur Unabhängigkeit der Medien", wird der SPD-Landesgeschäftsführer im Hamburger Abendblatt zitiert. Aber eigentlich belegt es vor allem den Glauben daran, dass genügend Journalisten ihr Handwerkszeug nicht draufhaben +++

+++ Olympia-Nachbereitung: Michael Hanfeld von der FAZ macht sich qua Jobbeschreibung nicht nur Gedanken über journalistische Leistungen, wenn er vom Fernsehen als "Spiegel erst überzogen angeheizter und dann enttäuschter Erwartungen" schreibt, sondern auch über die Öffentlich-Rechtlichen im Internet und ihre Streams: "Die Zuschauer haben die Streams millionenfach geklickt, und damit dürfte klar sein, dass es ohne sie bei solchen Ereignissen künftig nicht mehr geht. Für ARD und ZDF ist das auch strategisch von besonderer Bedeutung, zeigt sich doch, dass auch für diejenigen Gebührenzahler etwas geboten werden muss, für die das Fernsehen ein Medium von gestern und das Internet der natürliche Informationsraum ist." DWDL findet, ein etwas anderer Zungenschlag: "Ein toller Service, keine Frage. Und doch wäre es schön gewesen, hätten ARD und ZDF ihre Digitalsender auch diesmal wieder zu Olympia-Kanälen umgebaut – jetzt erst recht, zumal nach der Abschaltung des analogen Satellitensignals vermutlich so viele Menschen wie nie zuvor den Weg zu diesen Sendern gefunden hätten. Mit Blick auf die Kosten wurde darauf jedoch verzichtet. Schade – schließlich will man abends eben doch nicht unbedingt ständig auf dem Laptop zwischen den Livestreams im Netz hin- und herschalten, sondern die ohne Zweifel beeindruckenden Eindrücke der Olympischen Spiele auf einem großen Fernseher aufsaugen" +++  Und der Social-Media-Berater und Ex-Journalist Thomas Knüwer fand wieder alles entsetzlich, was die stinkende analoge Steinzeitbande des Fernsehens so treibt: "Tom Bartels, Franziska van Almsick und der während der Spiele omnipräsente Rolf Seelmann-Eggebert hatten konsequent Live-Musik mit teilweise unfassbar uninteressantem Halbwissen überquasselt" +++

+++ Nachtrag zum DLF-Jens Weinreich-Streit (siehe gestern): Herbert Fischer-Solms hofft auf eine Einigung zwischen den Parteien (newsroom.de), während die Journalistin Grit Hartmann ebd. den Sportjournalismus des Senders kritisiert: "es hat zum Beispiel so genannter Interviewjournalismus Raum gewonnen, mit wenig Distanz, mit wenig Kompetenz auch, in einer Form, die ich als PR bezeichne, weil Bühne geboten wird für Selbstdarstellungen von Sportfunktionären, populären Bundesligamanagern oder Trainern. Ein Berufsverständnis, das nicht an Inhalten, sondern an Namen orientiert ist" +++

+++ Die SZ findet die neue Klambt-Zeitschrift Flair ganz gut, so richtig klar, warum genau, wird mir aber nicht +++ Und dann hätten wir da das Fernsehen: Der Tagesspiegel bespricht, vorausschauend, die ZDF-Reportage "Auf der Suche nach dem Glück" +++ Die taz bespricht "Innenansichten: Deutschland 1937" (Arte, 21.45 Uhr) +++ Und die FAZ die Kabel-1-Reihe "Blue Bloods" mit Tom Selleck sowie die ZDF-Doku "Der deutsche Adel" (20.15 Uhr) +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Mittwoch.

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