Slutlanas Rache

Slutlanas Rache

Wie weit die Meinungsfreiheit reicht oder warum sich Redaktionen vor ihre Mitarbeiter stellen sollten, auch wenn diese nicht so tolle Kommentare verfassen: Hellmut Königshaus im Dradio. Gilt nicht für: die Spielchen des Boulevards - Boris Becker in London. Außerdem: Schwitzen bei Ines Pohl.

In seinem Medienlexikon im Spiegel (Seite 88) widmet sich Stefan Niggemeier diese Woche dem Skandalsuffix -gate. Anlass ist Sowiesogate (Altpapier vom Donnerstag und Mittwoch), Prantls Muss-man-Erlebnisbericht über Voßkuhles heimische Dressingpolitik.

"So alltäglich ist es inzwischen geworden, die Silbe 'gate' an ein Wort anzuhängen, um einen Aufreger zu bezeichnen, dass der Begriff Watergate-Skandal fast wie ein Pleonasmus wirkt."

Wobei der Hinweis geliefert wird, dass die Inflationierung des Begriffs noch auf Nixons Redenschreiber zurückgegangen sein soll, genützt hat's bekanntlich nicht.

Zum Glück, sorry, gate es immer weiter. Ein Aufreger, aber noch nicht als Sonstwasgate apostrophiert: der Wehrbeauftragten des Bundestags Hellmut Königshaus und Deutschlandradio Kultur. Königshaus hatte sich über einen DLR-Kommentar von Klaus Pokatzky in einem Brief bei diesem und seinen Vorgesetzten beschwert und erreicht, dass der Audiobeitrag gelöscht wurde. Ein Spaßvogel würde sagen, Königshaus und DLR Kultur erlebten nun ihr Watergate, wohingegen der seriöse Medienbeobachter auf Streisand-Effekt entscheidet.

Oder wie Steffen Grimberg in der TAZ über den Kommentar schreibt:

"Er wurde gelöscht, weil sich der Wehrbeauftragte des Bundestags, der FDP-Mann Hellmut Königshaus, darin verunglimpft sah und dem Sender auf vier (!) Seiten heftigst mit dem Strafrecht drohte. Was wiederum beweist, dass sie in der FDP bis auf Hans-Joachim Otto keinen haben, der sich mit Medien auskennt."

Im Bendler-Blog von Sascha Stoltenow, auf das Grimberg als Quelle für den Kommentar verweist, heißt es naheliegenderweise:

"Warum ich dieses Internet so mag? Weil es nichts vergisst."

Dort kann man auch erfahren, dass Pokatzky Medientrainings bei der Bundeswehr veranstaltet und damit für die Armee wirbt.

Was den Kommentar selbst betrifft, meint Thomas Wiegold, ein anderer Bundeswehr-Blogger, via Carta nicht zu Unrecht:

"Nun kann man darüber streiten, ob die harschen Töne des Kollegen Klaus Pokatzky über den Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus und dessen Kritik am Ort des Gelöbnisses zum 20. Juli berechtigt oder überzogen waren. Man kann sogar der Meinung sein, dass der Kommentar den Wehrbeauftragten unzulässig als Person in den Senkel gestellt hat. Alles denkbar."  

Schwierig wird's dagegen mit der Reaktion des DLR Kultur. Oder wie Grimberg schreibt:

"Aber – und das ist der eigentliche Aufreger – Deutschlandradio-Chefredakteur Peter Lange kam den freundlichen Worten von Königshaus de facto nach und ließ den Stein des Anstoßes entfernen. Natürlich nicht, weil der Wehrbeauftragte mit Mobilmachung drohte. Sondern – und jetzt wird's echt verlogen, und jeder im Sender weiß es – weil angeblich die Qualität von Pokatzkys Kommentar nicht genügte, weil darin 'nicht stringent' argumentiert worden sei."

Dass Langes Erklärung eine "lahme Ausrede" ist, belegt Wiegold mit einer naheliegenden Beobachtung: "Der Kommentar war ja gesendet worden."

Interessant ist es deshalb auch, wie es Pokatzky in nächster Zeit beim DLR Kultur beim ergeht. Denn das Niederschmetternde an der Reaktion des öffentlich-rechtlichen Senders ist ja die vorauseilende Geräuschlosigkeit, mit der hier ohne Not nachgegeben wird. Welche Druckmittel hat ein verdreht vor sich hinargumentierender

"Die Maßlosigkeit, derer Sie sich bedienen, widerlegt Paul Sethes Anmerkung, die Pressefreiheit sei die Freiheit von (nur) 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Sie haben natürlich ebenfalls dieses Recht, obwohl Sie vermutlich nicht zu 'den Reichen' zählen, wenngleich allerdings wohl auch nicht zu den Kenntnisreichen, zumindest nicht in dem Zusammenhang, den Sie in so überheblicher Weise kommentiert haben"

Wehrbeauftragter denn, dass tatsächlich einem Satz wie diesem entsprochen wird:

"Ich erwarte, dass der Kommentar in der Audio- wie in der Textvariante schnellstmöglich aus dem Internetangebot des Deutschlandradios entfernt wird."

Story, Alta!, wäre da die richtige Reaktion gewesen oder: Meine Mutter erwartet auch viel – aber den Raum der Debatte künstlich verknappen? Wegen so nem Getue? Das hat doch mit Meinungsfreiheit und Demokratie nichts zu tun. Zumal Königshaus selbst so viel lässiger, besser, souveräner dastehen würde, wenn er auf den, wie gesagt, keineswegs brillanten Kommentar mit einem hübschen Witz reagiert hätte.

"Welch wichtige Rolle der Rückhalt aus der Führungsriege für die Redakteure spielt, weiß Holger Schellkopf. Der stellvertretende Chefredakteur der 'Mittelbayerischen Zeitung' kennt Beschwerden und weiß damit umzugehen. 'Wir stellen uns vor unsere Leute', sagt Schellkopf im Newsroom-Gespräch."

Das Gespräch geführt hat Bülend Ürük für einen Text auf newsroom.de, der Königshaus ignoriert, dafür von einer unangenehmen Frage an Boris Becker auf einem PR-Termin in London handelt.

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Allerdings ist der Zusammenhang von versuchter oder erfolgreicher Einflussnahme der Politik auf Journalisten und dem verlogenen Spiel, das sich "kritische" Boulevardjournalisten mit den von ihren Blättern gefeaturerten Promis liefern, nicht zwingend – im Fall Königshaus geht es um die Unabhängigkeit des Radios von Politik zum Zwecke von möglicher Kritik. Bei der derzeitigen Situation von Boris Becker geht es um Unterhaltung beim Friseur.

Insofern tut Ürük der Sache keinen Gefallen, wenn er Bastian Schweinisteigers irgendwie auch sympathisch-ungefilterten Anraunzer an einen von Springers Lohnschreibern ("Wegen so einem Pisser brauche ich mich nicht so zutexten lassen. Arschloch") in die Nähe von zu skandalisierenden Praxen im Lokaljournalismus rückt.

Eine mögliches Ausagieren von berechtigtem Brass aufgrund von Verunglimpfung imaginiert Jenni Zylka in der TAZ. Die neue Instyle hatte Tipps gegeben, wie man sich als Frau vor scharfen, jungen, russischen Dingern schützt, die einem den reichen Mann abspenstig machen. Zur Empirie taugen natürlich nur ultraseriöse Quellen:

"Des Weiteren wird noch ein drei Jahre alter Welt-Artikel mit ins Anprangerboot gehievt, der eine Flirtschule in Sibirien porträtiert, in der bereits 16-Jährige 'die hohe Kunst, ein böses Mädchen zu sein', erlernen. Das geht nämlich am besten mit 'himmelhohen Schuhen und hautengen kurzen Kleidern'. Genau so eine Comicfigur hält einem dickbauchigen Mann in der textbegleitenden Illustration ihre beeindruckenden Glocken unter die Nase. 'Leichtes Spiel für Slutlana aus Nowosibirsk', haben die deutschsolidarischen Texterinnen der Instyle daruntergeschrieben. 'Sie weiß, wie man einem Mann den Verstand, das Geld und die Ehefrau raubt.' Puh! Wenn das die Russenmafia spitzkriegt! Oder Slutlana selber!"

Ebenfalls in der TAZ ein sehr schöner Text von Silke Burmester out of Schützengraben der Kriegsreportage: Es geht noch einmal um Sowiesogate, und dabei um die Frage, warum diese hochgerühmten Journalistenmänner ihre Schilderungen anderer einfach nicht als Schilderungen anderer markieren können:

"Doch diese einordnenden Worte sind nicht gefragt. Mit jedem Wort, das deutlich macht, der Autor war nicht vor Ort, wird der Autoren-Schwanz kleiner. So, wie die Attraktivität der Kampfhunde verschwand, in dem Moment, wo der Maulkorbzwang eingeführt wurde, mindert die Einordnung die Position des Schreibers als toller Hecht."

Schön ist Burmesters Text auch wegen seiner allerfeinsten Ironie ("der geschätzte Spiegel-online-Kollege Jan Fleischhauer").

Und damit ab nach Olympia.


ALTPAPIERKORB

+++ "Gegen Multimedialität an sich ist nichts einzuwenden, jedenfalls solange sie nicht zum Komplettvermittler mutiert und am Ende mehr Distanz als Nähe schafft", schreibt Melanie Mühl auf der Feuilletonaufmacherseite der FAZ (Seite 27). Sie meint damit das Museum von heute und nicht London 2012. Denn das ist eher so wow: "Eine Hand an der Fernbedienung des Fernsehers, die andere auf dem Touchpad, kontrolliert er auf dem Laptop, ob die Hockey-Frauen ihre knappe Führung behaupten, während auf dem großen HD-Fernseher das Drama im Radstadium läuft. Blitzschnell muss der Ton umgeschaltet werden, wenn die Hockey-Damen eine Strafecke bekommen. Ständig passiert irgendwo in London etwas Interessantes." Schreibt Torsten Wahl in der Berliner. Und sagt damit, was die meisten sagen gerade angesichts von unkommentiertem Livestream: "Das Drama kommt von selbst" (FAS, Seite 25). +++ "Vier Stunden und 26 Minuten einfach mal die Häppchenberichterstattung der Fernsehübertragung auf stumm schalten und Livesport gucken. Mit einem ruhigen Kommentator, ohne die aufgeregte Hektik der Fernsehschnipsel. Eine Wohltat." (TSP). +++ Dementsprechend kann sich Markus Ehrenberg ebenfalls im TSP für den Allergrößten – Dirk Thiele, Metaphernkönig – auf Eurosport nicht begeistern: "Dem Mann über Stunden bei der Arbeit zuzuhören, wie am Sonntag beim Frauen-Marathon, ist schon ein zweifelhaftes Vergnügen. Der 69-Jährige ist in der ohnehin um Stanzen selten verlegenen Sportreportergilde ein Exot. Da wird 'oh jemineh!' gerufen, 'ordentlich Gas“ oder 'Fersengeld gegeben' und im Marathon-Endspurt die 'Schmalzstulle rausgeholt'. Mahlzeit. Hin und wieder geht die Leidenschaft, gar der Patriot im Kommentator durch. Dafür kennt Thiele jedes Weltcup-Rennen in Kasachstan oder Kolumbien seit 1968." +++

+++ Recht unfreundlich ist Ulrike Simon von TAZ-Chefredakteurin Ines Pohl empfangen worden/geht Ulrike Simon mit TAZ-Chefredakteurin Ines Pohl, weil sie schwitzte und kein Glas Wasser angeboten bekam. Es geht in dem Text in der Berliner (Seite 30) um Pohls bisherige Zeit, Relaunch-Pläne und Verwerfungen in der Redaktion – nur ist leider so schwer einzuordnen, ob sich die ungünstige Darstellung Pohls allein der Wirklichkeit oder auch dem Schwitzen ohne Wasserglas verdankt. Journalismus, manchmal macht's du es einem aber auch nicht leicht. +++ Die SZ protraitiert dagegen groß und freundlich Wotan Wilke Möhring, den allerneusten NDR-Tatort-Kommissar. +++ Zum Tatort äußert sich auch Lars Kraume (Regissur und Autor der Frankfurter Folgen) in der TAZ: "Natürlich gibt es ein Ungleichgewicht. Das Gros der deutschen Ermittlerduos funktioniert noch immer sehr konservativ und altbacken, mit einem sehr aufrechten Ermittler im Zentrum." +++

+++ Fernsehen: Eine Dokumentation (Dienstag 21.40 Uhr, Arte) über das mafiöse Kuba der Batista-Zeit. Michael Hanfeld kann sich nicht recht dafür erwärmen, weil ihm der politische Standpunkt des im Film zu Wort kommenden Autors Enrique Cirules  - Dirk Thiele wäre stolz auf uns - spanisch vorkommt: "Dessen Perspektive auf die spannend geschilderte Geschichte aber markiert die große Schwäche dieses Films. Denn dem Terror Batistas und der Ausbeutung durch die Mafia stehen nach 1959 kubanische Verhältnisse gegenüber, die man so verständnisinnig und schönfärberisch nur von einem marxistischen Standpunkt aus goutieren kann... Viele Menschen forderten 'eine deutlichere Öffnung des Systems'; heißt es verharmlosend. Aber selbstverständlich wünschten sie nicht die Mafia zurück. Das scheint die einzige Alternative zu sein im Denken des Autors Cirules und der beiden Filmemacher, die ihm folgen." +++ Sebastian Schoepp ist sich in der SZ (Seite 35) dagegen nicht so sicher, dass Kuba schon bald in sozialer Marktwirtschaft erblühen wird, wenn er über Cirules schreibt: "Stolz schwingt mit, wenn er im Film hinzufügt: Sie haben es nicht geschafft. Er glaubt: Das letzte was die Kubaner wollten, wäre eine Rückkehr der Mafia, der Konzerne, der CIA. Die Frage ist nur, ob die sich - wenn die Castros mal nicht mehr sind - groß um die Meinung der Kubaner scheren werden."

Neues Altpapier gibt es morgen wieder.

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