Occupy Occupy

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Watch your words: Die Initiative Nachrichtenaufklärung präsentiert vernachlässigte Themen, RTL 2 so was wie Nachrichten, Todenhöfer der ARD Assad und der NDR einen neuen Tatort-Kommissar. Und die Fernsehgartenbesetzerfans dürften die Fantasie der Werbung anregen

Isn't ironic? Da stellt die Initiative Nachrichtenaufklärung am Donnerstag ihre jährliche Liste der Top Ten von Themen vor, die in der Berichterstattung am stärksten vernachlässigt wurden – und der Hinweis darauf bei einem Onlinemedienportal wie Meedia.de, das doch von der Durchleitung aller möglichen News lebt, kommt fünf Tage später.

Der Hinweis beschränkt sich auf die Abbildung der Liste (Platz 1: "Keine Rente für arbeitende Gefangene"), was vielleicht auch etwas damit zu tun hat, dass das "Worst of" dieser Liste in medienerkenntnistheoretische Grauzonen führt: Woher weiß man, was am stärksten vernachlässigt wird in den Medien, wenn man aus den Medien nur weiß, was nicht vernachlässigt wird? Müsste das am stärksten vernachlässigte Thema nicht zwangsläufig das sein, von dem noch niemand weiß? Gibt es ein Leben außerhalb der Medien? Vielleicht könnten die schönsten, klügsten und besten Oberseminaristen bei Prof. Lilienthal dieser Frage mal erschöpfend nachgehen – uns schwebte da so eine Formel vor, in der Vernachlässigung und eine Relevanz zweiter Ordnung irgendwie korrelieren müssen.

[+++] Denn so einfach wie RTL 2 News wird es ja nicht sein. Peer Schader hat für die Berliner (Seite 26) zwei Wochen intensiver eine Sendung geschaut, die zur gleichen Zeit wie die Tagesschau läuft und in der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen mehr Zuschauer habe. Was immer das heißt.

Schader ist eingetreten in eine "Nachrichtenparallelwelt, bei der sich allenfalls erahnen lässt, dass sie denselben Tag abbildet wie zeitgleich das Erste". Die nachrichtliche Irrelevanz von RTL 2 News zeigt sich durch die Relevanz von Verbrauchertipps, Katastrophenjournalismus und Promiklatsch.

"Politik wird in den 'RTL 2 News nicht völlig ausgeblendet, allerdings aufs Nötigste zusammengekürzt. Mehr als ein Mal Angela Merkel pro Sendung mag man dem Publikum nicht zumuten."

RTL 2 News wäre also nicht das nebulöse Andere, sondern lediglich die Parodie der Tagesschau, die dort praktizierte Formen einfach mit faits divers füllt. Dass Politik in Schnipseln vorkommt, überzeugt Schader nicht:

"Weil sich Komplexität eben nicht dadurch redzuieren lässt, dass man jungen Leuten, die sonst vielleicht gar keine Nachrichten gucken würden, ein paar Satzbrocken über den Fiskalpakt oder die Lage in Syrien hinwirft und dann auf jegliche Erklärung verzichtet."

[+++] Die Lage in Syrien beschäftigt die TAZ. Talkshowbewohner, Bild-Spezl und Überhaupt-Tausendsassa Jürgen Todenhöfer hat für den Weltspiegel ein Interview mit Syriens Präsident Baschar al-Assad geführt. Was Ines Kappert auf der Meinungsseite zu der Frage verleitet:

"Warum versuchen sich die Journalisten immer wieder an den Diktatoren? Noch keinem ist es gelungen, die Propaganda im laufenden Gespräch bloßzustellen."

Die beantwortet Steffen Grimberg auf der Medienseite nicht. Zitiert aber den Korrespondenten Jörg Armbruster, der im Anschluss ans Gespräch in der Weltspiegel-Sendung gemeinsam mit Bernhard Zand vom Spiegel für Einordung und Dekonstruktion sorgen sollte:

"Und Armbruster meinte, 'es muss ein Stück Zynismus sein', dass man den syrischen Diktator so daherreden lasse."

Das wäre dann eher als Kritik am Weltspiegel denn an Todenhöfer zu verstehen, denn die Rules waren vorher klar:

"Todenhöfer darf nicht nachfragen, auf noch so abwegige Antworten im auf Englisch geführten Gespräch nicht eingehen."

Weshalb Grimberg beim verantwortlichen SWR nachgefragt hat.

"Da es für Journalisten derzeit keine Möglichkeiten gebe, ein ähnliches Gespräch mit Assad zu führen, sei man auf Todenhöfers Angebot eingegangen, sagte SWR-Sprecher Wolfgang Utz der taz: 'Die Alternative wäre gewesen, dass wir gar nichts haben.'"

Ein Schlag in die Magengrube der Initiative Nachrichtenaufklärung oder befahlen höhere Mächte (Disclosure: Wir denken an Sigmar Polke, nicht an Verschwörungstheorien), O-Töne von Assad beschaffen?

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Einen Schauwert wird er wohl gehabt haben. Wobei der, in Quoten gemessen, immer noch geringer sein wird, als Todenhöfer, Armbruster, Claudia Roth gestern abend bei Frank Plasberg ergeben haben werden. Ob es, wie der TAZ-Text noch nicht wissen konnte, zum Disput zwischen Interviewer Todenhöfer und Korrespondent Armbruster gekommen ist, lässt sich der Frühkritik auf welt.de nicht entnehmen, weil Swantje Wallbraun sich vor allem auf Claudia Roth kapriziert.

Wobei das Aufmerksamkeiterzeugen dank sozialer Medien heute noch einfacher zu haben ist. Die TAZ spricht mit dem twitternden ZDF-Fernsehgarten-Fan Jörn Sieveneck, der am Wochenende live vor Ort war. Die Aktion hatte es im vorhinein zur Meldung gebracht, weil sie als "Occupy Fernsehgarten" bei Twitter kursierte.

"'Occupy Fernsehgarten', der Name unserer Aktion auf Facebook, war unschlau gewählt. Ich habe diesen reißerischen Namen nicht selbst ausgesucht, sondern ein Kumpel. Als ich den Titel der Aktion sah, dachte ich mir schon, dass das zu Problemen führen würde. Es war aber nie geplant, irgendetwas zu besetzen oder den Programmablauf der Sendung zu stören. Wir gucken den Fernsehgarten alle seit Jahren und wollten das, was wir sonst im Fernsehen sehen, mal live erleben."

Das Ergebnis war ein dagegen voller Erfolg, wie man in solchen Zusammenhängen wohl sagen würde, und zwar nicht nur für die Besuchergruppe, wie Sieveneck weiß.

"Übrigens hatte die Sendung die beste Quote seit 2010 - keine Ahnung, ob das was mit unserer Aktion zu tun hatte oder mit dem Thema der Show: Siebziger-Jahre-Schlager."

Diese Frage müsste wohl jemand vom Fach beantworten, eine RTL 2 News-Sprecherin oder so. Was man aber wiederum aus der Sache lernen kann: Watch your words.

Twitterer/in Hasi_Neurotunes schreibt auf hasibloggt.de:

"So schnell kann´s gehen, ein Spruch im Netz falsch (oder richtig) positioniert und ein ganzer Sender steht Kopf!"

Ob das zu mehr Vorsicht im Umgang mit der Sprache führt oder zu neuen Formen des Marketings ist aber noch offen. Die erfahrene Aufmerksamkeit schlägt sich jedenfalls als stolzes Bewusstsein von Einfluss nieder:

"Leute, wir haben den fsg zum Toptrend gemacht, Werbung geschlagen bis der Arzt kommt, Sonnenbrand und nasse Füsse in Kauf genommen - und als nächstes ist das Traumschiff dran… oder was sollen wir für euch besetzen und darüber berichten???"

Wir würden die Top Ten der am stärksten vernachlässigten Themen vorschlagen.


ALTPAPIERKORB

+++ Dass einem die Wörter verrutschen, es geht den größten der Zunft so. In – schon wieder – TAZ schreibt OPI über Googles Kampf gegen Homophobie. "Mit der großen Kampagne 'Legalise Love: LGBT Rights Are Human Rights' gegen Homophobie sollen sich an allen sechzig Google-Standorten Seminare und Konferenzen dem Thema widmen." Ist aber irgendwie nicht recht, Stichwort: Beigeschmack. "Es ist naiv zu glauben, dass ein Wirtschaftskonzern wie Google mit einem Umsatz von mehr als 10 Milliarden Dollar im ersten Quartal sich mit einer solchen Positionierung nicht in erster Linie auch Vorteile erhofft: sich im World Wide Web als liberales Unternehmen präsentieren, am Zahn der Zeit sein und dabei politisch wunderbar korrekt? Ein klarer Imagegewinn." Genau! Oder anders gesagt: Ein Text, der argumentativ am Puls der Zeit nagt. +++

+++ Fehler passieren auch den größten Nachrichtenagenturen: Die dpa-Meldung über den neuen NDR-Tatort-Kommissar Wotan Wilke Möhring aka Thorsten Falke, die etwa in der Berliner steht, endet mit dem Satz: "Der NDR hat damit künftig für drei 'Tatort'-Teams die Verantwortung, denn in Hannover ermittelt [neben den neu hinzukommenden Schweiger und Möhring] nach wie vor Maria Furtwängler als Hannoveraner Kommissarin Charlotte Lindholm." +++ Da hat Jochen Hieber in der FAZ (Seite 29) besser aufgepasst: "Es gibt bereits Maria Furtwängler in Hannover, es gibt Axel Milberg und Sibel Kekilli in Kiel, es gibt, im Rostocker 'Polizeiruf 110', Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau – und es wird in Kürze den ubiquitären Til Schweiger geben, mit dem zusammen Möhring für die neuen 'Männerherzen' gerade im Kino zu sehen war." +++ Katharina Riehl kann in der SZ (Seite 31) in der Verpflichtung Möhrings gar Surprise entdecken: "Möhring allein erscheint schon als überraschende Wahl. Dass auch die blonde, ausdrucksstarke Aktrice Petra Schmidt-Schaller mitwirkt - als Falkes Kollegin Katharina Lorenz -, macht den neuen Tatort des NDR zunächst einmal immerhin besonders." +++ Sonja Pohlmann erzählt im Tagesspiegel schon mal die ganze Auftaktfolge, die nun gedreht wird: "Gleich in der ersten Folge 'Feuer über Flottbeck' werden Falke und Lorenz auf die Probe gestellt. Sie müssen nach einem Feuerteufel fahnden, der Autos in Brand setzt. Eine Frau kann sich aus einem der Wagen nicht mehr retten und stirbt. Die beiden Ermittler bekommen es mit einer aufgebrachten Bürgerwehr und der autonomen Szene zu tun." Ach ja, und der Täter ist der Freund der Mutter von der Frau, von dem sich die Oberautonome vor kurzem getrennt hatte. +++

+++ Ironie? Sollte man vorsichtig mit sein, lehrt das Beispiel Gabriele Hooffackers auf vocer.org: "Ich lehre Online-Journalismus. Nicht selten werde ich gefragt: 'Können Sie bitte bei uns in zwei Tagen den Seminarteilnehmenden die neuen Präsentationsformen online, mit Bloggen, Audio, Video und Social Media, alles mit vielen praktischen Übungen, beibringen?' Manchmal frage ich zurück: 'Wollen wir die journalistischen Darstellungsformen, Suchmaschinenoptimierung, Photoshop und Content-Management nicht noch gleich mit dazupacken?' Leider verstehen nicht alle Auftraggeber die Ironie." Es geht um journalistische Ausbildung heute. +++

+++ In der SZ (Seite 31) widmet sich Moritz Baumstieger acht Jahre nach "Bianca" dem Niedergang der ZDF-Telenovela und erfährt die Erklärung für die Erfolg von "Sturm der Liebe" (ARD): "Daily Novela". +++ Michael Martens war für die FAZ auf einer Konferenz mit griechischen Deutschland-Beobachtern und deutschen Griechenland-Beobachtern. +++ Und in der NZZ macht sich Rainer Stadler Gedanken über die nationalmediale Versöhnung und Ablenkung, die Roger Federer mit seinem Wimbledon-Triumph stiftet. +++

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