Die Bibel ist Weltkulturerbe, ja sie hat das Abendland geistig tief geprägt, "bei aller Zwiespältigkeit, die eine Prägung mit sich bringt", ist Johanna Haberer überzeugt, emeritierte Professorin für Christliche Publizistik an der Universität Erlangen-Nürnberg. Deswegen hat sie das Buch "Bibel.100 Seiten" geschrieben, das im Reclam Verlag (Ditzingen) erschienen ist.
Ihrer Meinung nach kann die Bedeutung des "Buchs der Bücher" gar nicht überschätzt werden. "In der Bibel wurzelt die Idee der Menschenrechte und auch die Verpflichtung, die das Eigentum mit sich bringt, ist dort verankert.
In der Bibel gibt es das Recht auf Asyl, das Recht eines Fremden wie das eines Gastes und auch das Verbot, Geflüchtete und Ausländer schlecht zu behandeln." Auch die Freiheitsrechte einer demokratischen Gesellschaft seien ohne das biblische Fundament nicht denkbar, "selbst der kommunistische Gleichheitsgrundsatz nicht". Sogar beim Recht des Widerstands gegen die Mächtigen könne man sich auf die Bibel berufen.
Dass auf die Bibel auch "Kriegstreiber, Sektengründer, Verbrecher und Verrückte" pochen, damit müsse man leben, wenn Texte über Jahrhunderte der Interpretation eines jeden anvertraut sind, so die Theologin. "Vieldeutigkeit ist kein Zeichen für die Schwäche einer Tradition, sondern das Zeichen eines souveränen und freien Umgangs mit Texten."
Auf 100 Seiten geht Haberer auf markante Texte der Bibel und Fragen ein, zum Beispiel auf die Frage "Wer ist der Mensch?" Der Mensch ist in der Bibel ein Beschenkter, so die Theologin, die mit ihrer Schwester Sabine Rückert, stellvertretende Chefredakteurin der "Zeit", wöchentlich den Podcast "Unter Pfarrerstöchtern" herausgibt, in der die beiden über die Bibel sprechen. Das Leben ist den Geschöpfen von Gott geschenkt, der Mensch ist also nicht der Ursprung seines eigenen Lebens. "Er ist - um es poetisch auszudrücken - ein Kuss Gottes." Das Leben sei demnach Geschenk und Aufgabe in einem, "unwiederholbar und einmalig".
Potenzial steckt in Großherzigkeit
Der Kern der Botschaft von Jesus ist laut der Autorin, dass nur in der Großherzigkeit und Großzügigkeit das Potenzial steckt, Menschen, ja die Menschheit zu verändern. In der Bergpredigt in Matthäus 5 sagt Jesus: "Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. (...) Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will."
Als Beispiel dieser selbstlosen Großzügigkeit steht in der Bibel das Gleichnis vom "barmherzigen Samariter", der einem Mann hilft, der ausgeraubt und verletzt am Straßenrand liegt. In Zeiten, in denen "das Ökosystem der jüdisch-christlichen Kultur zunehmend austrocknet" würden Begriffe wie Barmherzigkeit, Vergebung, Reue und Gnade kaum noch verwendet, beobachtet Haberer. Dabei brauche es diese Werte auch heute noch, beispielsweise in Situationen wie der in Syrien, wo nach dem Sturz des Diktators Bashar al-Asssad Tausende Gefangene aus den Foltergefängnissen freikamen und ehemalige Gegner nun zusammenleben müssen.
Bei allen Revolutionen dieser Art sei klar, dass die neuen Machthaber auf Dauer nur Bestand haben, "wenn sie nicht ihrerseits aus Gefolterten zu Folterern werden". Das Prinzip des Ausgleichs komme hier an sein Ende. Für eine neue, friedliche Zukunft brauche es deshalb Gesten der Vergebung und Reue, Gnade und Barmherzigkeit.
Folge man den Ideen des jüdischen Rabbis Jesus, dann entstehe die Kraft für eine solche Selbstüberwindung aus dem Überfluss göttlicher Liebe. "Wer sich von Gott, also dem Prinzip Liebe, getragen und auf ewig begnadigt fühlt, kann seinerseits auch in den schmerzhaftesten Stunden des Lebens vergeben." Sowie Jesus als Sterbender am Kreuz noch sagte: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!"