Die Cola des 21. Jahrhunderts

Die Cola des 21. Jahrhunderts

Starke Marken performen wieder prima: Apple erweckt Liebe, Axel Springer erzeugt Rekordergebnisse in vielfältigen Operationsgebieten. Und bild.de bietet der Genderforschung eine einmalige Chance.

Wenn man sich mal kurz vom Tagesgeschehen loszureißen und auszumalen versucht, was die Menschen in ein, anderthalb Jahrhunderten über das Alltagsleben der Menschen im sogenannten Westen während der 2010er Jahre wissen wollen könnten: Was dürfte bleiben?

Zu befürchten steht: sogenannte starken Marken. Apple, Google, eventuell Axel Springer?

"1,8 Millionen Blogposts, 100 Millionen Tweets, mehr als 120 Millionen Status-Updates und 420 Milliarden E-Mails: Google-Chef Eric Schmidt hat einmal bemerkt, dass die Welt heute in zwei Tagen so viel Information produziert, wie seit Beginn der Zivilisation bis zum Jahr 2003",

mit diesem Satz beginnt im SZ-Feuilleton (S. 11, derzeit nicht frei online) Jan Füchtjohanns Besprechung der deutschen Ausgabe von Eli Parisers "Kampfschrift" (SZ) "Filter Bubble", die der Rezensent dann gegen Ende "sehr interessant, aber nicht immer ganz befriedigend" findet.

Falls interessiert, was Eric Schmidt derzeit so sagt - seit ein paar Tagen schon liegt ein Interview des neuen FAZ-Netzökonoms, also des Holger-Schmidt-Nachfolgers Martin Gropp mit ihm vor. Interessant daran aber vor allem, dass Gropp mindestens so freundlich zu sein scheint ("Lassen Sie uns von der Zukunft auf die Gegenwart kommen: Vor welchen Herausforderungen stehen Internetunternehmen wie Google heute?"), wie er auf seinem Porträtfoto auch guckt.

[+++] Andrian Kreye hat einmal geschrieben, gestern war's und steht heute in der Süddeutschen Zeitung auf der Meinungsseite (sowie in Kreyes SZ-Blog):

"Für junge und jung denkende Menschen des 21. Jahrhunderts hat der angebissene Apfel des Firmenlogos jedoch eine ähnliche Bedeutung wie das Coca-Cola-Signet für die Demokraten des 20. Jahrhunderts und das Peace-Zeichen für die Generation der Hippie-Jahre."

Dass neurologischen Kernspinuntersuchungen zufolge "die Reaktion auf das Vibrieren eines iPhones" bei iPhone-Nutzern "fast identisch mit den Hirnströmen angesichts eines geliebten Menschen" sei, steht auch in dem Artikel. Ob das Prickeln der Cola, die Form ihrer Flasche oder gar ihr Signet einst ebenfalls solche Bedeutung besaßen, können sich Interessenten sicherlich ergoogeln. Jedenfalls, auch Texte wie derjenige Kreyes könnten bleiben, nicht ihrer analytischen Schärfe wegen, sondern als Beispiel dafür, wie auch grundsätzlich kritisch gesonnene Feuilletonisten selbst dann, wenn sie es vermutlich möchten, den Marketingbubbles einfach nicht entkommen können.

Falls die Vorstellung des neuen Apple-Geräts interessiert, zu dem die Nicht-sensationell-aber-super-"Berichterstattung" momentan auch noch so desinteressierten Mediennutzern um die Ohren fliegt - für das FAZ-Netzwirtschaftsblog hat Gropps Kollege Roland Lindner einen Bericht verfasst, der zumindest dadurch ins Auge springt, dass er auf die Abbildung des neuen Apple-Geräts verzichtet (aber Links zu bebilderten Berichten enthält).

[+++] Damit ins Inland: Locker auf Kniekehlenhöhe mit dem späten Steve Jobs, was das Performen in Unternehmens-Mission betrifft, und damit im nationalen Vergleich ganz vorn befindet sich Springer-Chef Mathias Döpfner. Gestern performte er wieder ("Rekord-Jahresbilanz", "zweistelliges Umsatz- und Ergebniswachstum"...), seither findet die Springer-Bilanz ihren Niederschlag in den Medien.

Die TAZ z.B. berichtet betont kritisch und freut sich am Ende, dass Springer-Aktien gestern 2,7 Prozent "verloren ...und ...zu den schwächsten Werten im MDAX" gehörten - beinahe so, als seien die Börsen medienkritisch, beinahe so, als hätte die TAZ zum Börsenschluss Redaktionsschluss. Frische Kurs-Chartskurven enthält der FTD-Bericht dazu. Die Welt verblüfft durch eine ungewöhnliche Medien-Aufzählung, mit der sie den Konzern vorstellt, der "abermals ein Rekordergebnis eingefahren" hat: "Der Medienkonzern Axel Springer ('Bild', 'Rolling Stone', 'Welt', 'Welt Online')..." Womöglich hat Ulf Poschardt da Hand angelegt?

Empfehlenswert: der gestrige NZZ-Bericht über das mittel- und osteuropäische Joint Venture Springers mit dem schweizerischen Ringier-Konzern, unter dem eine "Operationsgebiete"-Landkarte fast ein wenig an Landkarten zum Zweiten Weltkrieg erinnert.

Während im Wirtschaftsressort der Süddeutschen, das bekanntlich der medienaffine Hans-Jürgen Jakobs leitet, Springer übrigens nicht auftaucht, stellt die FAZ-Wirtschaft in ihrem Bericht (S. 17) einen Zusammenhang zwischen den Bezügen Döpfners (für die Jakobs Experte ist) und dem aktuellen Aufreger Leistungsschutzrecht (siehe Altpapier) her:

"Gemeinsam mit seinen drei Vorstandskollegen erhielt er im vergangenen Geschäftsjahr Bezüge von 17 Millionen Euro. 'Grundsätzlich fühlen wir uns angemessen bezahlt', sagte Döpfner, der im Zeitalter von Google nicht müde wird, für die Leistungsschutzrechte von Journalisten einzutreten – und am Ende natürlich auch die verlegerische Leistung meint."

Was Döpfner, der als einer der Väter des Leistungsschutzrechtes gelten darf (falls es zu diesem Leistungsschutzrecht kommt), sonst zum Thema sagte, fassen der Tagesspiegel ("Nicht nur Suchmaschinen, sondern 'alle großen Player' im Netz, die Inhalte benutzen und vermarkten, sollten dafür bezahlen"...) und meedia.de (..."angesprochen fühlen dürften sich alle Aggregatoren, 'von der Huffington Post bis Zite'") zusammen.

[listbox:title=Artikel des Tages[Was Apple-Geräte so erzeugen (SZ-Blog)##Springer als Kraftwerk betrachtet (meedia.de)##Springer mit Ringier in Ostmitteleuropa (NZZ)##Chervel zum Leistungsschutzrecht (perlentaucher.de)##Bud Spencer in Berlin (SZ)]]

Und während die gedruckte FAZ in ihrem Wirtschafts-Kommentar (S. 18) betont, "wie weit Döpfners Weg in die digitale Zukunft ist" ("Doch auch ohne Investitionen werfen die gedruckten Inlandszeitungen nach wie vor das meiste Geld ab..."), betont der Onlinedienst meedia.de, wie weit Döpfner auf seinem Weg in die digitale Zukunft doch schon sei:

"Jemand hat mal nachgerechnet bei Springer – und herausgefunden, dass der Konzern allein mit seinem Digital-Umsatz von 962 (Vorjahr: 711) Millionen Euro auf Platz 2 der börsennotierten Online-Unternehmen in Europa landen würde. Nur United Internet setzt mit 2 Milliarden Euro im Jahr mehr um. Eine weitere Rechnung, die Springer aufmacht: Alle Webseiten des Konzerns zusammengezählt, werden 63,7 Millionen Unique Visitors erreicht. In Europa folgt mit weitem Abstand die BBC mit 34,8 Millionen Uniques."

Der Konzern sei "souverän wie kaum ein anderes Medienunternehmen in Deutschland" und ein "medienpolitisches Kraftwerk", und zwar "jenseits aller - manchmal geschmäcklerischen - Bewertungen der Selbstdarstellung des Medienkonzerns", schwärmt Christian Meier geradezu im Rahmen einer für meedia-Verhältnisse recht ausführlichen Analyse.

Wer versuchen möchte, ungeschmäcklerisch den Inhalte-Ausstoß des Konzerns zu bewerten, klickt natürlich am besten auf bild.de. Heute zum Weltfrauentag wird die Webseite ihrer eigenen Titel-Topschlagzeile zufolge "nur von Männern gemacht" - und bietet Gender-/MedienforscherInnen die einmalige Chance zu überprüfen, ob der Inhalt an diesem Donnerstag wirklich noch schlimmer ist als sonst.


Altpapierkorb

+++ Unterstützen eigentlich alle Frauen in den Medien die vorige Woche an die Öffentlichkeit gegangene Initative pro-quote.de? Nein, die ehemalige Altpapier-Autorin Katrin Schuster auf vocer.org [für das ich im Moment arbeite] nicht. Sie hält vor allem das von den Initiatorinnen bemühte Gabor-Steingart-Zitat, Frauen seien "nicht das Problem, sondern die Lösung", für "Blödsinn". +++

+++ Voll auf Frauentag ist die TAZ mit vielen Extras und der Frauenministerin sowie Frauenmedienturmretterin Kristina Schröder schreibend auf der Titelseite. +++ Völlig andere Frauenthemen behandelt die Zeitschrift Germany's Next Topmodel aus dem Jahreszeiten-Verlag. Kioskforscher Markus Böhm hat 167 Produktempfehlungen gezählt, "von Lippenstiften über Glätteisen bis hin zu Stiefeln, Hörbüchern und Kopfhörern". +++

+++ Gefangene Journalistinnen und Journalisten: Kai Strittmatter macht auf der ersten Seite der Süddeutschen auf die 21-jährige Özlem Agus aufmerksam, die nun zur dreistelligen Zahl in der Türkei inhaftierter Medienvertreter zählt. +++ Ulrike Simon bespricht in der BLZ das Buch, das der anno 2010 im Iran gefangen gehaltene Bild am Sonntag-Reporter Marcus Hellwig geschrieben hat. +++

+++ Mehr LSR: Darauf, "dass die halbe Niederlage der Verleger in den meisten Kommentaren übersehen wird", weist auf perlentaucher.de der in solchen Halbsiegen/ Halbniederlagen erfahrene Thierry Chervel hin und prophezeit: "Das Leistungsschutzrecht wird floppen". +++

+++ Großer Bericht auf der FAZ-Medienseite über die amerikanische "Netz-Politik", in der Matthias Rüb ansatzweise ein Äquivalent zur in gewissen Regionen vor allem mit Drohnen betriebenen Außenpolitik erkennt. Es geht um den "Zugriff auf das lose Hacker-Bündnis Anonymous und deren Ableger LulzSec, AntiSec und Internet Feds", der vor allem mit Hilfe des Überläufers bzw. "absoluten Verräters" (Anonymous) Hector Xavier Monsegur alias "Sabu" gelang. +++

+++ Neues aus den Anstalten auf der Medienseite der Süddeutschen: SWR-Intendant Peter Boudgoust, der seinen Plan eines ARD-/ ZDF-Jugendsenders nicht durchsetzen konnte, will nun auf eigene Faust dem von seinem SWR verantworteten ARD-Digitalkanal EinsPlus "ein jugendliches Image" verschaffen. "Erste Ausschnitte lassen auch auf charmante Reportage- und Dokuformate hoffen: 'Waschen, Schneiden, Reden' etwa lauscht den Unterhaltungen hipper junger Friseure und ihrer nicht minder hippen Kunden... 'Klub Konkret' soll ein 'netzaffines' Politikmagazin für die Piraten-Wähler-Generation werden." +++ Indes werden manche Kulturradioprogramme (etwa die des WDR, um die sich die Radioretter sorgen) weniger, andere wie DRadio Kultur häufiger eingeschaltet (ebd.). +++

+++ Heute der Zapfenstreich im Fernsehen: Der Tsp. schreibt ungefähr das, was gestern im Altpapier stand. +++ Irgendwann demnächst im Fernsehen: der "Tatort" aus Dortmund. Die TAZ hat Hauptdarsteller Jörg Hartmann interviewt, der u.a. den knallhart realistischen Ansatz umschreibt: "Ich habe mich gerade erst mit einem Kriminalhauptkommissar im Dortmunder Polizeipräsidium getroffen. Wir waren sogar in der Kantine essen." +++

+++ Am 17. März bei Arte: die Dokumentation "Bud's Best", von deren Berliner Premiere in Anwesenheit Bud Spencers die Süddeutsche berichtet: "Im Berliner Kinosaal wünscht er sich mit getragener Stimme Vereinigte Staaten von Europa und erklärt, dass Fäuste niemals helfen, Probleme zu lösen. 'Warum halten wir nicht einen Moment inne und lächeln', fragt er, 'oder überlegen, wie wir andere zum Lächeln bringen können? Wir sterben vom ersten Moment unseres Lebens an.'" +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

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