Der Shitstorm von Baku

Der Shitstorm von Baku

Das Internet funktioniert anders als die gedruckte Zeitung. King Kong kämpft gegen Godzilla. Die Frauenquote ist die richtige. Und warum der ESC in Aserbaidschan die Menschenrechte nicht verletzt

Schon lustig, wie demonstrativ FAZ (Seite 33) und SZ (Seite 15) die Meldung vom Quotenhit des Vorvortags in die allerkleinsten Ecken auf ihren Medienseiten (FAZ links, SZ rechts) verbannt haben. Das ist eine Art von Ironie, die dem Netz so nicht zur Verfügung steht, was wiederum eindrucksvoll das Onlineangebot des KSTA beweist. Dort heißt es wenig zimperlich:

"Die 'Wanderhure' räumt ab."

Und geht auch gleich so weiter:

"Volltreffer: Das Sat.1-Drama 'Die Rache der Wanderhure' entpuppte sich am Dienstagabend als Publikumsmagnet. 8,01 Millionen Zuschauer (Marktanteil: 25,3 Prozent) verfolgten ab 20.15 Uhr den zweiten Film der Reihe mit Alexandra Neldel als Hauptdarstellerin."

Die "Wanderhure", soviel ist sicher, will return, und sie wird wohl nicht anders können, als wieder abzuräumen.

Hier ist daraus erst einmal nur zu lernen: Im Netz gelten andere Gesetze. Welche, erklärt die "Internet-Freiheits-Aktivistin" Anke Domscheit-Berg zur Sicherheit der Zeit noch mal (online bislang nur als Vorabmeldung), der beim Internet ja zuerst "Shitstorms, Cybermobbing, Hassmails" einfallen.

Wie oft Frau Domscheit-Berg nun noch erzählen muss, dass es im Fall des Guttenplag-Wiki, das in kollektiver Kleinarbeit die plagiierten Stellen in der so genannten Dissertation des einstigen Verteidigungsministers kenntlich gemacht hat und nicht mehr, tatsächlich keine Rolle spielt, wer diese Arbeit geleistet hat, vermag man nicht zu sagen.

Interessant ist ihre Legitimierung von Anonymität als Herrschaftsinstrument der Schwächeren:

"Die Klarnamenpflicht hat nichts mit Mut zu tun, weil sie immer von denen gefordert wird, die auf der Seite der Stärkeren sind: vom Staat, der seine Bürger durchleuchten und kontrollieren will. Und von der Industrie, die das Konsumverhalten der Menschen analysieren will, um mehr zu verkaufen."

Die Zeit pflegt online ja eine relativ rigide Netiquette, besonders hübsch:

"Zynismus und Ironie sind in schriftlichen Kommentaren oft nicht eindeutig zu erkennen. Vermeiden Sie diese Stilmittel, um die Diskussion nicht unnötig anzuheizen und nicht missverstanden zu werden"

Sprache – eine schwierige Geschichte, im Zweifel lieber die Finger von lassen. Ob die Zeit also jemals diesen emanzipatorischen Gedanken verstehen wird, anstatt darin einen Freibrief für "Shitstorms, Cybermobbing, Hassmails" zu sehen, ist offen. Vor allem nach Lektüre der Randspalte, in der Anna von Münchhausen Einblick in Leserzuschriften gibt, die normalerweise nicht veröffentlicht werden. Ein Beispiel:

"Was soll Ihr Wulff-Geschmuse? Wollen Sie das Renommee Ihres Blattes mit Gewalt schreddern?"

Sicherlich nicht der Ton, mit dem man Eindruck auf Abendeinladungen macht, bei denen der Mund mit gestärkten Servietten abgeputzt, aber den Untergang des Abendlands stellt man sich doch anders vor.

Dafür steht, wir sind noch immer in der Zeit, dem Abendland womöglich ein historischer Moment bevor:

"Jetzt muss es klappen", schreibt Susanne Gaschke am Ende ihres Texts auf der Feuilletonseite (45), die der Frauenquote in den Medien gewidmet ist (Altpapier vom Montag).

Anna von Münchhausen wiederum steuert einen historischen Überblick zur Stellung der Frau in der Zeit bei – und, das würden angeschriebene Männer wohl anders handhaben, hält die Gräfin nicht als leuchtendes Beispiel für die Modernität der Zeit hoch.

"Schon als die Harvard-Absolventin Constanze Stelzenmüller Verteidigung- und Sicherheitspolitik, Kosovo und Afghanistan als ergiebige Themen entdeckte, hob sich manche Augenbraue – Achtung, Grenzüberschreitung. Und weg war sie."

Immerhin haben die Zeit-Frauen, von den 20 auf pro-quote.de gesigned haben, grünes Licht von ganz oben: Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, der eigentlich nichts von Quoten zu halten vorgibt, verspricht auf Seite 1:

"Namens der Chefredaktion der Zeit erkläre ich: Wir nehmen den Ball auf und werden alles in unserer Macht Stehende tun, dieser Forderung auch gerecht zu werden."

Das diese Macht beim Denken ansetzen muss, zeigt di Lorenzos Erklärung, die auf die bereits gestern hier vermeldete Planübererfüllung im Zeit-Magazin Bezug nimmt:

"Das in Berlin seit 2007 hergestellte Zeit-Magazin hat eine Frauenführungsquote von 40 Prozent, sie wäre noch höher, hätte die stellvertretende Chefredakteurin vor Kurzem nicht aus familiären Gründen beschlossen, in die Leitung eines Ressorts in unserer Hamburger Zentrale zu wechseln."

Diese Naturgewalten versauen einem auch jede Statistik, zumal wenn es einfach keine fachlich geeignete weibliche Nachfolgerin für die gewesene Stellvertreterin gibt.

[listbox:title=Die Artikel des Tages[King Kong vs. Godzilla (Carta)## ##ESC in Aserbaidschan (TAZ)##Frauenzeitschriftendilemmata (Berliner)##Dagmar Reim macht beim RBB weiter (TSP)##]]

[+++] Was der Shitstorm dem Internet ist, sind die Menschenrechte Aserbaidschan: der Filter, unter dem das Ganze betrachtet wird. Zumindest wenn man Thomas Schreiber, dem Unterhaltungschef des NDR und damit Grand-Prix-Verantwortlicher der ARD, folgen will. Der wehrt sich im TAZ-Interview über ethische Fragen zum Austragungsort des nächsten Eurovision Song Contest doch sehr differenziert gegen einfache Wahrnehmungen aus der Ferne:

"Stellen wir uns mal vor, da kommt ein Journalist aus dem Ausland nach Deutschland und betrachtet Deutschland ausschließlich durch die Brille der NSU-Morde. Es wäre die Wahrheit - aber nur in einem winzigen Ausschnitt."

Keine Sorge, hier wird nichts verglichen, es werden lediglich Sachen auseinander gehalten:

"In Aserbaidschan gibt es unterschiedliche Menschen, das Bild ist nicht schwarz-weiß. Es gibt verantwortliche Politiker, die haben ihre Sozialisation in der Sowjetzeit erlebt und denken in entsprechenden Strukturen. Und es gibt andere Politiker, die ganz anders geprägt wurden. Der Übergang aus der Kultur einer ehemaligen Sowjetrepublik in eine moderne, demokratische Zivilgesellschaft ohne Korruption geht nicht in einem Wimpernschlag, wie bei der 'Bezaubernden Jeannie'."


Altpapierkorb

+++ Da wir gerade bei Metaphern aus der Film- und Fernsehwelt sind: Wolfgang Michal beschreibt auf Carta in einem klugen Text am Beispiel von King Kong und Godzilla recht anschaulich den Kampf zwischen Content- und Plattform-Industrie, der in Kürzeln wie ACTA resultiert, ohne aus dem Auge zu verlieren, dass beide sich ähnlicher sind als das Heer der Normaluser einem von beiden: "Nun möchte King Kong Godzilla (auf dem Umweg über die Provider) rechtlich verpflichten, ein Auge auf King Kongs Produkte zu haben, und alle Menschen zu melden oder auszusortieren, die nicht an King Kong bezahlen. Godzilla hat keine Lust zu dieser Überwachung, weil ihm die Menschen, die nicht an King Kong zahlen, genauso willkommen und nützlich sind wie die, die bezahlen." +++

+++ Nicht online: Ulrike Simons Portrait des scheidenden ZDF-Intendanten Markus Schächter in der Berliner (Seite 26). Man erfährt: "Schächters Stärken entfalten sich in Hinterzimmern, die er meist in leicht geduckter Haltung betritt: künftig nicht mehr als Intendant, aber weiterhin als Vorsitzender der Arte-Mitgliederversammlung, bei der Europäischen Rundufunkunion EBU und, ganz neu, als Gründer eines Lehrstuhls für Medienethik, bei den Jesuiten der Münchner Hochschule für Philosophie." How fromm. +++ Erstes Thema, das disktuiert werden könnte, entnehmen wir der SZ (Seite 15), wo Sonja Zekri über die getöteten und geretteten Journalisten von Homs nachdenkt: "Was zählt mehr – das Leben eines Journalisten oder das Leben der Menschen, über die er berichtet? Was ist wichtiger, um die Welt zu alarmieren – die Notizen eines Reporters aus einer belagerten Stadt oder Frauen und Kinder, die aus dieser Stadt gerettet werden?" +++ Um moralische Fragen will sich auch die Ärztin, Kickboxerin und Moderatorin Christine Theiss kümmern, wie der Tagesspiegel weiß: "Doch ihre dritte Karriere soll nichts mit Sport zu tun haben. Christine Theiss will moderieren. Da dürfte es nicht schaden, dass Edmund Stoiber sie in den Beirat der ProSiebenSat1Media AG berief. Ihre Rolle hier hat Theiss klar abgesteckt: Sie will 'Werte vermitteln'." +++ Dagmar Reim wird sich wohl weiterhin um die Intendanz beim RBB kümmern, auch wenn der Tagesspiegel das Verfahren der Wiederwahl diskutiert. +++

+++ Die Frauenzeitschrift "Seasons" kommt, wie gestern schon in der SZ, heute auch in der Berliner nicht so gut an. +++ Auch Meedia.de ist ein Widerspruch aufgefallen: "Die Zeitschrift hat den Anspruch, die Welt ihrer Leserinnen übersichtlicher zu machen, sie etwas zu entschleunigen. Gleichzeitig fordert Season aber dazu auf, sich an neuen Produkten zu erfreuen." +++ Zielgruppe von RTL Nitro sind eher Männer, worüber sich Jochen Voss in der TAZ Gedanken macht. +++ Dort steht auch eine medienethische Frage, die den holländischen medialen Umgang mit dem verunglückten Königinnensohn betrifft. +++

+++ In der FAZ (Seite 33) informiert Swantje Karich über das Bild der Öffentlichkeit in Iran, auch anhand ihrer brüchiger werdenden E-Mail-Kontakte. +++ Und Michael Hanfeld erregt sich ebenda plausibel über Markus Lanz als angeblichen Heroen des Journalismus: "Das freilich mag nur glauben, wer Rösler die Geschichte vom einsamen Helden abnimmt und nicht danach fragt, wer bei den Liberalen tatsächlich die Figuren beim Kandidatenschach bewegt hat. Markus Lanz fragt sich das offenkundig nicht, meint er doch, leichtgläubig, wie er ist, Rösler habe „aus dem inneren Zirkel der Macht“ referiert." +++

+++ Die SZ portraitiert Wibke Bruhns aus Anlass ihrer Erinnerungen (Altpapier vom Montag). +++ Nana Heymann stellt im TSP Sarah Kuttners neue Sendung vor. +++ Und Jan Freitag hat für den KSTA vergleichend Nachrichtensendungen gesehen. +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder.

 

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