Wir Blendwerkarbeiter

Wir Blendwerkarbeiter

Existiert Veronica Ferres auch unabhängig von unserer Beobachtung? Wendet sich der Shitstorm gerade verstärkt gegen seine Teilchen? Und was will die Redaktionskonferenz Online der ARD wirklich?

Ja nun, die Dinge könnten bekanntlich immer auch anders sein. Und weil gestern Neu-Nachdenk-Sonntag war und heute Neu-Nachdenk-Montag ist, müssen wir vielleicht auch nochmal neu nachdenken: über Cem Özdemir, Wolf Schneider und Veronica Ferres, zum Beispiel.

Antonia Baum behandelt letztere in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung nach einer Begegnung so ungewohnt, wie sagt man?, fair, wie man es in Sachen Ferres nur von Frauenzeitschriften gewohnt ist.

Jetzt also auch die FAS mit Weichheitsdrive? Jene FAS, deren Redakteure "morgens schon mit Whisky" gurgeln, bevor sie "den alten, lauten Porsche richtig" hochdrehen (Claudius Seidl über seine Redaktion und ihr Verhalten in der ziemlich hohldrehenden "Schmerzensmänner"-Debatte, die Die Zeit anstieß, FAS-Seite 29)? Über Ferres, über die man als Zuschauer "immer liest: Veronica Ferres ist völlig unmöglich", ist da jedenfalls zu lesen: "Es stellte sich heraus, dass Veronica Ferres überhaupt nicht unmöglich ist, sondern sehr freundlich, ernsthaft und professionell". Nicht einmal die PR-Frau habe beim Gespräch gestört, allein,

"Es störte uns die ganze Zeit, wer wir waren: sie, die Schauspielerin mit PR-Absicht, schlechter Presseerfahrung und erheblichem Korrekturbedürfnis, ich die seriöse Journalistin mit dem (...) No-Vroni-Bashing-Beschluss im Hinterkopf, welche zu viel Freundlichkeit aus Anstandsgründen verboten, ein Mindestmaß aber dennoch voraussetzten, weswegen wir zusammen (...) einen Blendwerk-Zusammenhang ergaben, einen durchaus perfiden, aber niemand konnte etwas dafür".

Niemand, abgesehen von Kollege Werner Heisenberg vielleicht (Foto, hier relativ unscharf). Der hat das ja wohl erfunden mit dieser Beziehung von Medium und Medienfigur, als er versuchte, die Bahnen der Elektronen im Atomkern zu berechnen und herausfand: Die Bahn entsteht erst dadurch, dass wir sie beobachten. Was Heisenberg – wäre der eigentlich nicht auch mal ein Bio-Pic wert? – seinerzeit berühmt machte, war also eine Teilantwort auf die Frage: Existiert Veronica Ferres auch unabhängig von unserer Beobachtung?

[listbox:title=Artikel des Tages[Nichts gegen einen hanebüchenen Plot (taz)##Über die Goldene Kamera (SPON)]]

Was von all dem Berichtetem existiert überhaupt unabhängig von der Medienbeobachtung, und wie? Anlässlich der Frage nach "Grünen-Chef Cem Özedemir", der "ein verbilligtes Fußballticket angenommen haben" soll, gibt der montäglich von der taz um Erklärung gebetene Friedrich Küppersbusch unter Verweis auf Heisenberg zu Protokoll:

"Wenn ein Messinstrument – hier: die Medien – nur noch misst, was es selbst an Verwirbelung in der Versuchsanordnung auslöst, ist der Versuch gescheitert. Tollpatsch Özdemir hat – mehr patsch als toll – beim Vorzugsticket auf Selbstzahlung und ordentliche Rechnung bestanden. Das hatten die Medien nach seinen früheren Eskapaden eingeklagt."

[+++] Auch in Sachen Wolf Schneider gilt es heute, die Beobachtungen, die vergangene Woche über u.a. dessen neues Journalismus-Handbuch (Achtung, Primärquellenleser: Der Onlinejournalismus-Teil ist online verfügbar) angestellt wurden (Altpapier), neu zu betrachten. Stefan Niggemeier kritisiert in seinem Blog:

"(D)as Buch hält nicht, was seine Kritiker versprechen. Ich habe darin keine 'Steinzeitansichten über Zukunfts-Journalismus' entdeckt, kein 'schockierend schlechtes Machwerk', nicht einmal einen fast bewundernswerten 'Mut, ohne irgendeine Recherche zum Thema ein paar steile Thesen aufzustellen'. Die Kritiker tun Wolf Schneider unrecht, und das ärgert mich schon deshalb, weil es dadurch so wirken könnte, als hätte Wolf Schneider recht."

Und unter der etwas magazinigeren Fokussierung auf das Phänomen des Shitstorms inklusive Verweis auf die jüngst mit einem Kater abgeschlossene Causa Heveling schreibt er in seiner Spiegel-Kolumne (S. 77):

"(Z)unehmend gibt es einen Effekt, bei dem die Reaktionen der sich provoziert fühlenden Internetnutzer so berechenbar sind, dass sie den Provokateur bestärken."

[+++] Wo wir schon im Internet sind: Was die Öffentlich-Rechtlichen darin dürfen (gängige Medienjournalistenformulierung), wird uns diese Woche noch beschäftigen, heute und morgen treffen sich die ARD-Intendanten (SZ, S. 15); und während zugleich eine Einigung (Altpapier) "im Streit um die Online-Aktivitäten von ARD und ZDF im Internet näher" rückt (FTD), lehne die Redaktionskonferenz Online (RKO) der ARD "den Entwurf einer gemeinsamen Erklärung von Öffentlich-Rechtlichen und Zeitungsverlegern ungewöhnlich deutlich" ab, schreibt Der Spiegel. Man fürchte "negative Auswirkungen und Eingriffe in den Bestand und die Entwicklung" der ARD-Netzangebote usw.

Wie bei Blogposts über Bücher gilt es auch hier freilich, heisenbergmäßig, die Beobachter als Akteure zu betrachten, schließlich entsteht eine solche "ungewöhnlich deutliche Ablehnung" unter Umständen überhaupt nur deshalb so, wie sie entsteht, damit sie dann an den Spiegel gelangen kann. Was nicht erwähnenswert wäre, nur weiß man halt nie, was noch alles in einem Dokument steht, aus dem fürs Erste nur ein Medium zitiert.

Nehmen wir die Spiegel-Meldung von vergangener Woche über schlechte Stimmung beim ZDF (siehe, wiederum, Altpapier): In der vom Spiegel zitierten Massenmail des stellvertretenden ZDF-Chefredakteurs Elmar Theveßen an die Belegschaft war, was Der Spiegel nicht erwähnte, auch die Rede davon, dass dieser für die schlechte Stimmung mitverantwortlich sei; das Magazin habe den KEF-Bericht, laut dem das ZDF sparen müsse, nicht im Sinn des Erfinders zitiert (Wortlaut siehe Carta):

"Ein genauer Blick in den KEF-Bericht hätte ergeben, dass es sich bei der Spiegel-Meldung in erster Linie um böswilligen Spin und damit selbst um eine Täuschung der Öffentlichkeit handelt."

Ob Theveßens Vorwurf berechtigt ist oder nicht, darüber sei an dieser Stelle übrigens explizit nichts gesagt und auch nichts angedeutet.


Altpapierkorb

[+++] Medienseiten sind ja wahrscheinlich u.a. für Betrachtungen der Medien als Akteure da (und für die Fragen nach den "Gottschalk Live"-Quoten und dem neuen "Wetten, dass..?"-Moderator natürlich), und insofern ist es eine gute Nachricht, dass die Medienseite der FAS, die vergangene Woche erstmals Feuilleton geheißen hatte (siehe, na?, Altpapier), in der gestrigen Ausgabe wieder mit "Medien" überschrieben war +++

+++ Wer muss eigentlich bei der Goldenen Kamera immer hinter Mathias Döpfner (3,40 Meter) sitzen? Das ist doch Wahnsinn! Auch heisenbergtechnisch aber eine irre Sache, diese Goldene Kamera, deren Übertragung am Samstagabend das ZDF übernahm und bei der die Springer-Leute Döpfner und Friede Springer in Reihe 1 saßen, eingerahmt von der Dings und dem, na? +++ Die Links: Der KSTA sah "wenig Glanz", Kress sah "neuen Glanz", die BLZ/FR sah "ein als Show-Attrappe getarntes Betriebsfest des Hörzu-Verlages, der Springer AG" mit einem guten Hape Kerkeling als Moderator; und Spiegel Online war phasenweise "peinlich berührt" +++ Aber jedenfalls: ein herrlicher Frieden zwischen Verlag und Öffentlich-Rechtlichem, wenn auch – anders als im Fall der möglichen öffentlich-rechtlichen Online-Aktivitäten-Beschränkung – nicht zwangsläufig in erster Linie zum Wohl des Endverbrauchers +++

+++ Und dann wäre da noch das angebliche Hauptsmalltalkthema der Goldenen Kamera hinter der Bühne: die Moderation von "Wetten, dass..?": Das ZDF wolle Thomas Gottschalk nicht zurück, schreibt Bild am Sonntag und zitieren Tagesspiegel, sz.de oder DWDL; Gottschalk soll sich ja selbst für seine eigene Nachfolge ins Gespräch gebracht haben: "ein drolliger PR-Gag", so die SZ +++

+++ In der Urheberrechtsdebatte schreibt Dirk von Gehlen im SZ-Feuilleton (S. 11), die gängigen Pro- und Contra-Positionen müssten versöhnt werden: "(D)ie entscheidende Frage ist nicht, ob man zwischen dem freien Internet und dem Copyright wählen muss, sondern die, ob es einer Gesellschaft gelingt, beides zu garantieren: das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf angemessene Vergütung" +++

+++ Im Fernsehen: Den ZDF-Krimi "Mord in Ludwigslust" besprechen FAZ (S. 29), Tagesspiegel und taz, und deutlich stärker als die ersten beiden zieht letztere vom Leder: "Gegen einen realitätsfernen, abstrusen, hanebüchenen, zusammengeschusterten, überkonstruierten Plot ist ja grundsätzlich gar nichts einzuwenden. Vorausgesetzt, er kommt als lässige Räuberpistole daher. Autor Thomas Kirchner und Regisseur Kai Wessel meinen es mit ihrem "Lulu"-Aufguss-Krimi leider ernst. Todernst. Bierernst" +++ "Wer wird Millionär?" wurde 1000 (BLZ), außerdem im Fernsehen (wiederum ZDF) läuft ein Dokumentarfilm über Barack Obamas Schwester (SZ), eine neue Serie ist Anlass für die, ebenfalls, SZ, über Netflix als Player, der "den etablierten Pay-TV-Kanälen der USA - u.a. HBO, Showtime, Cinemax - Konkurrenz macht", und "Danni Lowinski" wird in der taz gelobt +++

+++ Über den "Hörspielpark" schreibt die SZ, über die geplanten Ausgaben von ARD, ZDF und Deutschlandradio 2012 die Funkkorrespondenz und über das türkische Kopftuchmode-Magazin Ala der Tagesspiegel +++

Das Altpapier stapelt sich am Dienstag wieder.

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