Krisen-PR in eigener Sache

Krisen-PR in eigener Sache

Banker ist nicht gleich Banker: Was Wall Street und NZZ-Verwaltungspräsident unterscheidet. Und jetzt ist Kernkompetenz gefragt: Krisen-PR-Berater Wolfgang Stock gerät mit seinem Wiki-Watch-Projekt selbst in die Krise

Zumindest mal was anderes: Sebastian Moll hat für die Berliner das in den USA erschienene Buch "Deal from Hell" des einstigen LA Times-Chefredakteurs James O'Shea gelesen.

Anders, weil zur Abwechslung mal nicht der Medienwandel schuld am Zeitungssterben ist, sondern diese Finanzoligarchie, die in der Wall Street hockt.

Bei der Übernahme der Tribune Company, zu der die LA Times seinerzeit gehörte, durch den verlagsfremden Immobilienmogul Sam Zell sei Investoren von JP Morgan und der Bank of America klar gewesen, dass Zell scheitern würde.

"Ihre Kalkulation: Die Tribune Company hatte zwar nicht genügend Sicherheiten, um zu überleben. Die Konkursmasse habe aber genügend Substanz, damit die Banken mit Profit aus der Geschichte herauskommen, inklusive ihren schwindelerregenden 283 Millionen Dollar Gebühren."

Das liest sich alles unerquicklich, von den Schulden, die den Unternehmen und ihren Angestellten aufgehalst wurden bis zur Unternehmenskultur:

"Auf der Chefetage wurden Strip- und Pokerpartys gefeiert, weibliche Angestellte wurden nach sexuellen Qualitäten und Gefügigkeit bewertet."

Ein anderes Verständnis von journalistischer Kultur pflegt der Privatbankier und Verwaltungspräsident der – anders als die LA Times – auch noch existierenden schweizerischen NZZ Konrad Hummel.

Hummel haut im Interview mit dem eigenen Blatt ein paar Sätze raus, die man von einem Banker so vielleicht nicht erwarten würde.

"Frage: Sie sagten vor den NZZ-Aktionären, der Journalismus müsse die 'Machtaffinität des Mainstreams' abstreifen, dann werde er interessanter und unverzichtbar. Eine prinzipielle Antihaltung ist doch keine Haltung. Geht es nicht in erster Linie darum, relevant zu sein?

Hummel: Das tönt so formuliert einerseits schön, anderseits ein bisschen langweilig. Aus meiner Sicht ist das Löcken wider den Stachel unglaublich wichtig. Dass man etwa immer wieder in Frage stellt, weshalb das Bundesamt für Gesundheit diese oder jene Kampagne fährt. Es gilt zu fragen, was dahinter steckt."

Man kann das auch als Zeichen der Verwischung jeglicher Positionen nehmen, wenn der NZZ präsidierende Banker etwas gegen Mainstream haben – aber auch für ein gesundes Maß an Selbstaufmerksamkeit. Außerdem hat das Löcken seine Grenzen.

"Grundsätzlich darf man alles hinterfragen. Wir haben aber auch gerade bei der NZZ eine Verpflichtung, dass wir nicht alles und jeden fertig machen."

Bei aller Sympathie lässt sich das Interview gerade wegen seiner Nettigkeit aber auch lesen als Aufruf zum zeitgemäßen Reformismus, der immerfort Gefühligkeit gegen Analyse ausspielt (was dann zu solch merkwürdigen Formaten wie diesem Panorama-Unsinn führt, der gestern hier eine Rolle gespielt hat):

"Der Bericht aus einem verrauchten Café in Istanbul gibt vielleicht mehr wieder als eine hoch analytische Abhandlung. Wie gesagt, es geht um Geschichten. Da wird es menschlich."

Nichts sagen lässt sich gegen Hummels Journalismusdefinition:

"Schreiben muss eine Lust sein. Wer lustvoll schreibt, der schreibt auch gut."

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Der Finanzkapitalismus macht Medienkrise (Berliner)##Der Privatbankier macht Laune (NZZ)##Der Krisen-PR-Agent macht Krisen-PR (FAZ)##DJV macht Dresdener Affäre zur Chefsache (TAZ)]]

Und mit ihr könnte man zu dem Schluss kommen, dass Jörg Wittkewitz gut schreibt, der heute in der FAZ Weiterungen zur von ihm publik gemachten Affäre um den Krisen-PR-Manager-Wiki-Watch-Transparenz-Hersteller Wolfgang Stock veröffentlicht. Denn Wittkewitz lässt, auch von investigativem Ehrgeiz beseelt, durchaus lustvoll einen Experten nach dem anderen auftreten, um das Engagement von Stock mit seinem nebulösen Wiki-Watch-Projekt an der Frankfurter Uni einordnen zu können.

"Der Informatiker Justin Gilbreath ist Mitinhaber eines Münchner Spezialanbieters für die linguistische und semantische Analyse von Daten und Dokumenten. ... Seine Einschätzung lautet: 'Ein positiver Aspekt von Wiki-Watch ist, dass man dort die Aufmerksamkeit auf den Umstand legt, dass Artikel bei Wikipedia unterschiedliche Grade an Qualität aufweisen. Das dort benutzte amerikanische Werkzeug WikiTrust visualisiert dies ganz ansprechend. Man muss allerdings hinzufügen, dass das Projekt Wiki-Watch dem kaum etwas hinzufügt.'"

Es wird zu beobachten bleiben, wie die Sache weitergeht. Auf Stocks Facebook-Seite datiert der letzte Post vom Sonntag (im FAZ-Text zitiert). Dort wird auf den Spiegel-Text (Altpapier von gestern, hier eine kürzere Fassung) Bezug genommen und erklärt, warum "wir" (Stock) an Wikipedia-Artikeln zu einem umstrittenen Produkt des Pharmakonzerns editiert haben, der später zum Kunde von Stocks Krisen-PR-Agentur wurde (persönlich betroffen).

Interessant ist die Reaktion von Dennis Klüver darunter:

"Lieber Wolfgang ob es in der Sache etwas bringt, wenn Du immer noch aufklärerisch argumentierst? Da will jemand nicht verstehen."

Man kann sie als Verteidigung von Stock lesen. Oder als Aufforderung zum Eingeständnis.


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+++ Noch was nach kommt auch beim KiKa: Christiane Kohl beschreibt in der SZ (Seite 15), dass mit der Verurteilung des veruntreuenden Herstellungsleiters Marco K. keineswegs alles vorbei ist. Trittbrettfahrer kommen ins Spiel, der Revisor ist erzürnt, und nur der einstige Marco-K.-Vorgesetzte und heutige NDR-Geschäftsführer Frank Beckmann kann von sich sagen, dass in zehn Jahren "'niemals eine beanstandete Rechnung auf meinen Tisch gekommen'" gekommen sei. Eine fast hübsche Pointe ist die Begründung der Budgetkürzung: "Die ARD-Intendanten wollen durchsetzen, dass der Haushalt des Kika jährlich um eine Million reduziert wird - denn immerhin sei ja zuvor auch nicht aufgefallen, dass jeweils rund 800 000 Euro auf betrügerische Weise abgezweigt worden waren. Reiter meint, dem Argument sei 'schwer etwas zu entgegnen'." +++

+++ Noch was nach kommt bei NoW. Handy des ehemalige britischen Premiers Gordon Brown soll auch abgehört worden sein (Welt-Online). +++ So was Ähnliches wie phone hacking in Deutschland: Der DJV macht die Dresdner Handydatenaffäre zur Chefsache, schreibt die TAZ. +++ Die Berliner hat mit einer sehr langjährigen Bekannten von Julian Assange gesprochen, deren Auskünfte schon lebenswerk- beziehungsweise nachrufhaft klingen. +++ Die Berliner lobt außerdem das französische Nachrichtenportal Mediapart.fr. +++

+++ Kommt immer was Neues: Google. Niklas Hofmann erklärt in der SZ, was es mit der Berliner-Uni-Unterstützung des so genannten Internetgiganten auf sich hat. +++ Die FAZ erklärt die Google+-Begeisterung (Seite 21). +++ Dort außerdem ein Nachruf auf die Schauspielerin Maria Kwiatkowsky, die schon am 4. Juli im Alter von nur 26 Jahren gestorben ist (Seite 39). +++

+++ Für einen Begriff des Lügenfernsehens: Hans Hoff vergleicht in der SZ (Seite 15) eine eine WDR- und eine Vox-Dokumentation (und erwähnt eine Radio-Arbeit) ein Jahr nach dem Love-Parade-Unglück in Duisburg. +++


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