Die Messis des Journalismus

Die Messis des Journalismus

Interviews zur Causa Kachelmann liefern weiterhin Anlass für Analysen. Außerdem: Viel Weihrauch rund um eine glaubwürdig gelassene Wochenzeitung aus Hamburg.

Der Sally ist nicht der bekannteste Medienpreis unter Deutschlands Sonne, aber da er an Personen verliehen wird, die sich um die Pressevielfalt verdient gemacht haben, ist das natürlich ein Event, den sich das Altpapier nicht entgehen lassen darf, denn was wäre - um hier mal kurz ins uns nicht ganz so vertraute Sonntagsrednerische abzugleiten - diese Kolumne ohne die Pressevielfalt? Gestern hat Giovanni di Lorenzo, der Chefredakteur der Zeit, den Preis verliehen bekommen. Sally ist im übrigen abgeleitet von AMV Sales Award, denn Stifter des Preises ist der AMV (Arbeitskreis Mittelständischer Verlage). Zur Feier des Tages lud man in eine edle Herberge im oberständischen Hamburg-Blankenese, wo der Spiritus rector des AMV, der demnächst aus Altersgründen ausscheidende Vertriebsgeschäftsführer des Jahreszeiten-Verlages Hermann Schmidt, di Lorenzo als „Glücksfall für unser Land“ pries. Mit Weihrauch aus dieser Preisklasse bedachte er auch noch einen Kollegen des Prämierten. Den Zeit-Magazin-Kolumnisten Harald Martenstein nämlich hält der Fußballbuchautor Schmidt (Disclosure: Er veröffentlicht Bücher im selben Verlag wie ich) für den „Lionel Messi des Journalismus“. Dabei ist Martenstein doch eher der Andrej Polunin des Journalismus, falls diese allzu insiderische, für Schmidt aber allemal verständliche Witzelei gestattet ist.

Für die eigentliche Laudatio hatte man Bernd Buchholz rekrutiert, als Vorstandsvorsitzender von Gruner + Jahr ja eher ein Großverlagsmensch. Der befand, die Zeit sei „eine der besten Print-Publikationen der Welt“. Im Rahmen der Marktforschung, mit der sein Verlag „auch die Konkurrenz begleitet“, hätten sich für die Zeit die Begriffspaare „gelassene Glaubwürdigkeit“ bzw. „glaubwürdige Gelassenheit“ herauskristallisiert“. In diesen Zeiten der „Schnelllebigkeit“ gebe es danach „offenbar eine Sehnsucht“. In einem aktuellen Text im lab-Blog der Deutschen Welle, in dem es eher am Rande um die Zeit geht, sondern vornehmlich um Prozessjournalismus und die Thesen des vielzitierten Medienzukunftsprognostikers Jeff Jarvis, klingt es nicht unähnlich:

„Dass Die Zeit derzeit so erfolgreich ist, liegt nicht daran, dass sie auf Papier gedruckt wird, sondern am Konzept. Sie liefert dem Leser einen Rahmen. Sie vermittelt das Gefühl: Wenn Du das gelesen hast, dann weißt Du vielleicht nicht alles was passiert ist, aber du hast etwas verstanden. Ähnlich funktioniert die 20-Uhr-Tagesschau, oft als anachronistisch kritisiert.“

Den Preis hat di Lorenzo im übrigen auch bekommen, weil er sich mit dem Pressevertrieb besser auskennt „als 98 Prozent seiner Chefredakteurskollegen“ (Buchholz). Es habe, plauderte der G+J-Boss, mal einen Stern-Chefredakteur gegeben, der der Auffassung war, der Vertrieb laufe prima, wenn an der Aral-Tankstelle nahe seines Feriensitzes im nordfriesischen Bredstedt die von ihm verantwortete Illustrierte erhältlich sei. Der Zeit-Chefredakteur referiert dagegen auch schon mal fachkundig beim Verband Deutscher Bahnhofsbuchhändler, wo er im vergangenen Jahr die für die Sally-Preisentscheidung ebenfalls nicht unmaßgeblichen „zehn Gebote für die Zukunft der Printmedien“ formulierte. Eines davon - das dritte - lautet:

„Du sollst das Potential deiner Leser nutzen, ohne es zu überschätzen.“

Da fällt uns Jill Abramson ein, die gelegentlich in dieser Kolumne zu Gast ist, seitdem feststeht, dass sie ab September als Chefredakteurin bei der New York Times wirken wird. Sie sagt zu diesem Thema (Freitag, S. 23; englische Originalversion hier):

„Mir ist sehr bewusst, dass die Leser unsere Autorität hinterfragen. Wir müssen uns stärker auf sie einlassen, sie sind für uns eine unglaubliche Ressource.“

di Lorenzo erwähnte bei der Sause in Blankenese, „dass vor zehn Jahren jeder, wirklich jeder Medienexperte“ der Zeit „die Totenglöckchen geläutet“ habe. Daran, dass sie quicklebendig ist, habe der Zeit-Verlags-Geschäftsführer Rainer Esser einen wesentlichen Anteil. „Rainer, ich finde, Sie haben hier den größten Applaus verdient“, säuselte er in seiner unnachahmliche Art in Richtung des Managers, weshalb wir nun immerhin wissen, dass in den oberen Zeit-Etagen der Vorname-plus-Sie-Stil gepflegt wird.

Der Preis für di Lorenzo liegt insofern im Trend, als sein Verlagshaus schon in der vergangenen Woche reich prämiert wurde, bei den Lead Awards nämlich. Der Ausstellung zur Preisverleihung in Hamburg widmet sich Till Briegleb im Feuilleton der Süddeutschen. Sein Urteil: „viel Mittelmaß“. Er lobt aber „die brutal ausgestellte Hässlichkeit“ von „Jonas Ungers Nahaufnahmen von Gerard Depardieu in seiner Küche, die das Zeit-Magazin veröffentlichte“, Sie seien

„von einer solch grotesken Wurstigkeit gegenüber jedem guten Geschmack, dass sie als einziges aufregendes Bildzeugnis in dieser Auswahl gelten können. Und dass ausgerechnet diese Fresse es bei allen Publikationen des Lead Awards auf die Vorderseite geschafft hat, mag auf ein stilles Wissen der deutschen Blattmacher hindeuten, dass der Zeitungskrieg um die Leser mit den zahllosen Waffen des guten Geschmacks alleine nicht zu gewinnen ist.“

In der viel gepriesenen Zeit selbst äußert sich in dieser Woche TV-Produzent Nico Hofmann (S. 52) im Rahmen des Schwerpunkts „Wann wird die Frau zum Sexobjekt?“ zum Thema „Erotik im Fernsehen“:

„Ich bin (...) ein großer Befürworter der Inszenierung von Sex. In meinem letzten Film ‚Solo für Klarinette‘ habe ich an der zentralen Beischlafszene zwischen Götz George und Corinna Harfouch fast drei Tage inszeniert. An der Art, wie der Sex zwischen den beiden vollzogen, haben wir gearbeitet wie an einem Text.“

Wir würden ja gern wissen, was der bei Medienseitenmitarbeitern sehr beliebte Klaus Lemke zu Hofmanns Sexszenen-Philosophie zu sagen hat. Den „Regie-Anarchisten“ würdigt heute die FAZ (S. 37), Anlass sind die Dreharbeiten zu einem neuen Film, bei dem „wie immer“ die Devise „ohne Drehbuch“ gilt. Mit einem Leserbrief Lemkes an die Zeit ist allerdings nicht zu rechnen, denn, ach, er dürfte das Blatt kaum lesen. Nico Hofmann hat in seinem ebd. publizierten Text auch noch ungewollt ein Ratespiel eingebaut. Wie viele Fehler stecken in folgendem Satz??

„Keine der wichtigsten deutschen Schauspielerinnen, ob Martina Gedeck, Maria Furtwängler, Katja Riemann oder Hannelore Elsner, werden Sie zu einer rein spekulativen Nacktheit überreden können.“

Die Beantwortung hängt natürlich davon ab, wie man das Wörtchen „wichtigsten“ interpretiert.

Im Magazin der Zeit findet sich ein Interview mit Katja Kullmann, die mal Bestseller-Autorin war, dann Hartz-IV-Bezieherin und dann Ressortleiterin bei der Frauenzeitschrift Petra:

„Anderthalb Jahre habe ich diesen glamourösen Redaktionsjob gemacht. Ich hatte Macht, es stand mir ziemlich gut. Und trotz meiner Erfahrungen habe ich mich getraut, diesen Job aufzugeben. Denn dort sollte jetzt ich die Honorare kürzen und die freien Kollegen dahin bringen, wo ich vorher war. Es war auch eine Gewissensfrage. Die Kündigung ist eines der vernünftigsten Dinge, die ich je getan habe.“

Weniger Journalistenpreise als die Kollegen des Zeit-Verlages bekommen derzeit noch die die Leute von der Bild-Zeitung: Dass es mindestens einer zu viel ist, finden Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz, Autoren der Studie „Drucksache BILD“. Sie äußern sich zu der Vergabe des Herbert-Quandt-Medienpreises an die fünfteilige Serie „Geheimakte Griechenland – der große BILDReport“ aus dem Herbst 2010, die in diesem Theater auch schon Thema war.

„Dass die drei angesehenen und jeweils in verantwortlichen Positionen amtierenden Journalisten Roland Tichy, Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Helmut Reitze, Intendant des Hessischen Rundfunk, und Stephan-Andreas Casdorff, Chefredakteur des Tagesspiegel, als Mitglieder der Jury in dieser Serie einen überzeugenden Beleg für ausgezeichneten Journalismus sehen, macht den gesamten Berufsstand auf die noch zu leistende Aufgabe aufmerksam, gerade in diesen Zeiten der Medien-Krise präziser als bisher zu definieren, was guten Journalismus im Kern ausmacht.“

Die Einschätzung, ob es sich hier um sehr moderate Formulierungen handelt, oder ob es das Sarkastischste ist, was im Zusammenhang mit den drei genannten hohen Herren je gesagt wurde, fällt nicht ganz leicht. Außerdem schreiben Arlt/Storz:

„Wir haben die Veröffentlichungen von Bild zur Griechenland- und Euro-Krise detailliert untersucht (...), auch die prämierte fünfteilige Serie haben wir analysiert und gedeutet. Unsere Befunde belegen: Inhaltliche und handwerkliche Kriterien des Journalismus werden von Bild ignoriert oder verletzt und überschritten.“ 

[listbox:title=Artikel des Tages[Ist ignorante Griechenland-Berichterstattung preiswürdig? (Spiegelfechter)##Wissen die Korrespondenten im Nahen Osten, was sie tun? (Kontext)##Darf man Staatsanwälte "durchgeknallt" nennen? (Tagesspiegel)]]

Auch Jörg Kachelmann, der derzeit meistiztierte Medienkritiker im deutschsprachigen Raum, wird den Umgang der Bild-Zeitung mit „inhaltlichen und handwerklichen Kriterien des Journalismus“ wohl ähnlich beurteilen wie die Autoren der Studie. Die FAZ zitiert seine gegenüber der Weltwoche geäußerte Einschätzung, dass sich über ihn berichtende Journalisten „als Speichellecker einer durchgeknallten Staatsanwaltschaft“ erwiesen hätten. Der Tagesspiegel konzentriert sich auf de letzten beiden Worte - bzw. darauf, ob dem Wettermann wegen dieser Art der Justizkritik Ärger ins Haus steht:

„Ob man einen Staatsanwalt in Deutschland ‚durchgeknallt‘ nennen darf oder ihn damit strafbar beleidigt, hat die Gerichte bis zum Bundesverfassungsgericht beschäftigt. Seinerzeit hatte der ehemalige Zeit-Herausgeber Michael Naumann, heute Cicero-Chefredakteur, einen Ankläger derart tituliert. Er sah großes Unrecht darin, dass der Kokain-Verdacht gegen den TV-Moderator Michel Friedman publiziert wurde. Friedman wurde später verurteilt, Naumann auch, allerdings war er 2009 mit einer Verfassungsbeschwerde erfolgreich. ‚Durchgeknallt‘ könne ehrverletzend sein, muss aber nicht. Naumann habe hier seine Meinung geäußert, niemanden geschmäht.“

Cigdem Akyol wertet in der taz darüber hinaus das Interview aus, das Kachelmanns Ex-Geliebte der Bunten gegeben hat und spricht dabei etwas an, was wir auch gern gewusst hätten: Die Illustrierte widme „der Geschichte ganze zwölf Seiten plus Editorial von Chefredakteurin Patricia Riekel. Wie viel diese Geschichte dem Magazin wert war, darüber wird geschwiegen“.


Altpapierkorb

+++ „Was muss er, was kann er?“ - das fragt Christian Buß (Spiegel Online) mit Blick auf Thomas Bellut, den bisherigen Programmdirektor, der heute zum neuen Intendanten gewählt wird wurde: „Nun hat sich Serien-Connaisseur Bellut, der sich in Interviews gerne als Fan von US-Serien wie ‚Mad Men‘ oder ‚30 Rock‘ outet, als Programmdirektor mit ZDFNeo und ZDFkultur zwei hübsche Fernsehlabore eingerichtet. Nicht nur, dass er hier die genannten Edelserien zeigt, er lässt auch an interessanten Showkonzepten basteln ... Doch so sehr man Christian Ulmens Golfer-Tragikomödie ‚Snobs‘ (auf Neo) oder den famosen Folkie-Talk ‚TV Noir‘ (auf kultur) schätzen mag - Belluts Aufgabe als Intendant wird es auch sein, diese hippen, innovativen und quietschfidelen Formate auch mal in den Muttersender zu überführen. Was nützt das schickste Programm, wenn es in der Nische verkommt?“

+++ Ralf Mielke fordert anlässlich der ZDF-Intendantenwahl in der Frankfurter Rundschau: „Raus mit den Strippenziehern.“ Gemeint sind die Politiker in den ZDF-Gremien.

+++ Für die neue Online-Wochenzeitung Kontext hat der ARD-Mann Jörg Armbruster die Frage, ob die TV-Korrespondenten „wirklich wissen“, was sie im Nahen Osten tun, nüchtern, reflektiert und teilweise auch nicht unwitzig beantwortet. Unter anderem geht es um bürgerjournalistisches Material: „Die Blogger, über die wir die Handybilder mit den Demonstrationen bekommen, versuchen Spreu vom Weizen zu trennen und versprechen, nur die weiterzugeben, deren Herkunft sie einigermaßen verifizieren können. Ein Restrisiko bleibt, das Regime versucht, Fälschungen in diesen Kreislauf einzuspeisen, um anschließend Sendern, die die Videos eingesetzt haben, ebendiese Fälschungen nachzuweisen. Syrien zielt bei solchen Schmuddeltricks auf die arabischen Nachrichtensender wie Al-Jazeera, die beliebt sind bei den Syrern, ihre einzige Informationsquelle, weniger auf europäische Programme.“

+++ In der Süddeutschen (S. 17) geht es um die sehr, sehr behutsamen Veränderungen, die beim Magazin „ARD-Ratgeber“ bevorstehen, die uns unter anderem eine Sendung zum Thema Internet bescheren (Disclosure: Der Artikel ist von mir). Außerdem auf der Medienseite der Münchener: Das Wirtschaftsmagazins Brand eins hat einen neuen Großaktionär. Und die ARD-Vorsitzende Monika Piel hat für ein mögliches Engagement Thomas Gottschalks im Ersten ein Rechenmodell aufgestellt, das sie nicht kommentieren möchte.

+++ „Kathrin Rüegg stand für das Fernsehen am Herd, lange bevor senderübergreifend der Kochwahn ausbrach. Und bis zuletzt gab sie mehr als ein paar Zubereitungshinweise, sie machte Heimatfernsehen mit Traditionsbewusstsein und voller Lebensklugheit.“ Dies ruft die FAZ der im Alter von 81 Jahren verstorbenen Ex-TV-Köchin nach.

+++ Mit dem Einfluss sozialer Netzwerke auf unser gesamtes Leben beschäftigt sich The Pew Research Center’s Internet & American Life Project in einer Studie. Die Ausgangsfragen: „Do these technologies isolate people and truncate their relationships? Or are there benefits associated with being connected to others in this way? and how use of these technologies is related to trust, tolerance, social support, and community and political engagement.“ Eine Zusammenfassung gibt es hier.

+++ Noch eine neue Studie: Die taz hat mit Elke Amberg gesprochen, die untersucht hat, „wie lesbische Frauen in den Medien dargestellt werden“. Ergebnis: Verglichen mit schwulen Männern sind sie unterrepräsentiert. 

+++ „Hochprofitabel“ sind die so genannten Line Extensions des Spiegel zum Thema Wissen und Geschichte. Das erzählt der dafür zuständige Objektleiter Stefan Buhr im Porträt von text intern (S. 6/7)

+++ Aus Buhrs Verlag kommt zum Schluss eine gute Nachricht für Jobsuchende: Bei Spiegel Online sind Stellen frei

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

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