Das Öffentlich-Rechtliche der Herzen

Das Öffentlich-Rechtliche der Herzen

Der "Medien-Dino" ZDF macht nicht nur Twittererträume wahr, sondern lädt in Gestalt der coolen jungen "Dina Foxx" Internetnutzer bzw. "Mouse Potatoes" gar noch zum Fernsehkrimi-Miträtseln ein.

Das Öffentlich-Rechtliche der Herzen ist in dieser allgemein österlich-romantischen Stimmungslage (zur Einstimmung mal durchklicken? "Countdown zur Traumhochzeit", 30-bildrige "Top-Fotostrecke" von Berliner Zeitung/ DPA) ganz eindeutig das ZDF.

Schließlich genießt einerseits "kaum ein deutsches Medienunternehmen ...in der 140-Zeichen-Community" (pfiffiges Synonym für Twitter) "einen besseren Ruf". Beziehungsweise dringt derzeit die wunderhübsche "Win Win Win"-Story von den engagierten ZDF-Fans Marco und Michael an die Öffentlichkeit. Dank ihres "Husarenstücks", unbezahlt über offiziell ausschauende Accounts scheinbar im Namen des ZDF zu twittern, mussten die beiden Baden-Württemberger zwar zwischenzeitlich "ganz schönen Bammel" erleiden, wurden dann aber, kraft echter Arbeitsverträge, zu "offiziellen Mainzelmännchen auf dem zweiten Bildungsweg" ernannt.

"Die beiden haben es uns leicht gemacht, sie zu umarmen", sagte die zuständige Zentralredaktions-Chefin Tina Kutscher. Ja, wenn man nicht Kate und William umarmen kann, dann doch gern Marco und Michael.

Niemand vermag solche Geschichten ähnlich unbefangen unzynisch zu erzählen wie der Starblogger (und freie Mitarbeiter der Chefredaktion des Bayerischen Fernsehens) Richard Gutjahr. Der gängigen Newslogik gemäß müssen solche "Twitter-Märchen" (SPON; merken Sie sich ggf. die nicht ganz frische Berufsbezeichnung "Twitter-Jockey") mit einem sympathischen "Medien-Dino" (kress.de) in einer tragenden Nebenrolle aber auch in eigenen Worten einfach weiter erzählt werden, z.B. auch noch in der BLZ.

Andererseits läuft heute abend im Fernsehen das tollkühne Projekt an, mit dem das ZDF weitere junge Leute da draußen an den Laptops animieren möchte, bei einer, wenn nicht der ZDF-Zuschauer-Lieblingsbeschäftigung, der Fernsehkrimimördersuche, auch mal mitzurätseln. Natürlich interaktiv.

"Vom Zuschauer zum User" bzw. "Nach dem Abbruch der Geschichte rund um die Datenschützerin Dina Foxx im TV können Zuschauer und User auf freidaten.org - alleine oder gemeinsam mit anderen - im Internet die Suche nach dem Mörder aufnehmen", lauten zur Sendung die offiziellen Sprachregelungen des ZDF bzw. dem "Cross Media-Projekt" "Wer rettet Dina Foxx?"

Konkret handelt es sich um 50 Minuten Fernsehkrimi (von 23.20 bis 0.10 Uhr; die folgende Sendung "Todesfalle Internet - im Chat mit dem Mörder" ist eine "Dokumentation"), die anschließend online fortgesetzt werden.

Mit "nach ZDF-Angaben 55 Videos, 25 Audiobeiträgen, 14 weiteren Websites, 20 Social-Media-Profilen, zahlreichen Fotos, Rätseln und Dokumenten" (Tagesspiegel), bzw. mit "mehr als 50 Videos mit insgesamt mehreren Stunden Spielzeit sowie diversen Audiofiles und Socialmedia-Profilen" (Berliner Zeitung), bzw. mit "ingesamt 300 Minuten Videomaterial und hunderten von Texten und Fotos" (TAZ).

[listbox:title=Artikel des Tages[Gutjahrs Story von den ZDF-Twitterern##ZDF-Crossmedia-Krimi##Die TAZ darüber##Journalismus in Abhängigkeiten (Carta)]]

Die Zahlen haben es den Rezensenten, die das Projekt heute besprechen, jedenfalls angetan. Teilweise auch andere Qualitäten:

"Ästhetisch schwankt der Film zwischen 'Matrix' und Youtube, visuelle Effekte gibt es zuhauf. Gegenstände lösen sich in Tausende Pixel auf, Schrift verteilt sich im Raum, Wände werden zu Datenreihen. Man hat sich ganz auf die medialen Gewohnheiten der Generation iPod eingestellt", notiert Daniel Grinsted in der FAZ (S. 31). Ziemlich hin und weg war nach Gesprächen mit Projekt-Entwickler Kristian Costa-Zahn und anderen Machern Klaudia Wick von der Berliner Zeitung ("Die Regiehandschrift von Max Zeitler ist auch jenseits des Innovationscharakters der Dramaturgie sehenswert...").

"Ob allzu viele Fernsehzuschauer bereitwillig ins Internet wechseln und drei Wochen lang vom 'Couch Potato' zum 'Mouse Potato' mutieren", bezweifelt inds Thomas Gehringer im Tagesspiegel. Weniger begeistert könnten die angesprochenen jungen Leute selbst sein, wendet David Denk (TAZ) ein:

"Nur kommt 'Dina Foxx' wohl zu anbiedernd daher, um von der Zielgruppe ... angenommen zu werden: Die fahrige Bildsprache, die szenigen Kulissen und Kostüme, die obercoolen Dialoge, die prätenziösen Namen und alles irgendwie ironisch gebrochen - die ausgestellte Lässigkeit wirkt berufsjugendlich-bemüht und erzeugt Überdruss. Man hätte Thema wie Publikum doch auch einfach ernst nehmen können."

Man hätte vielleicht sogar erwähnen können, dass es sich bei der ZDF-"Dina Foxx" um ein Gegenstück zur SWR (ARD)-Bemühung "Alpha 0.7" (siehe z.B., ähm, zeit.de) handelt, die Ende 2010 dieselbe Zielgruppe mit recht ähnlichen Mitteln ansprechen wollte. Dass sich heute kaum jemand mehr daran erinnert (Nachtrag: außer SPON), beweist jedenfalls, wie schwer es solche tollkühnen fernsehkrimibasierten Onlineprojekte haben.


Altpapierkorb

+++ Zu sicher fühlen darf das ZDF sich nicht in der Rolle des Öffentlich-Rechtlichen der Herzen. Wir GEZ-Zahler finanzieren da ja einen knallharten Wettbewerb. Beim "jährlichen Spargelessen der Berliner Pressekonferenz" verwöhnten nicht allein "Beelitzer Spargel mit Schnitzel, Schinken, Kartoffeln mit wahlweise Buttersoße oder Sauce hollandaise" sowie das Wetter die anwesenden "Vertreter aus Medien, Wirtschaft und Gesellschaft", sondern auch Stargast Günther Jauch, indem er "ein kleines Geheimnis" "lüftete". Bzw. weitere Produktionsdetails zu seiner gespannt erwarteten ARD-Talkshow verriet (Tsp.). +++ Zu Gremien der Herzen, zumindest von Nicht-Boxfans, könnten die Fernsehräte von WDR, NDR und SWR avancieren. Sie haben dem vom MDR-Intendanten Udo Reiter angeleierten, rund 54 Millionen Euro schweren Fernsehbox-Deal der ARD bislang noch nicht zugestimmt (Süddeutsche). +++

+++ Neues aus der Medienjustiz: Der Bundesgerichtshof hat sein Urteil zum Recht auf Links im Rahmen von Online-Berichterstattung nun ausformuliert. Das wird heute vielerorts vermeldet. Wer dieses Urteil erstritt, ist heise.de. +++ Müssen Helmut Markwort oder zumindest Focus-Journalist Klaus Bötig wegen der berühmt-berüchtigten Griechenland-Titelstory des Focus vor griechischen Gerichten erscheinen? (Tsp.). +++ Nokia, das Googles Street View dreidimensional nacheifert, könnte ein Problem bekommen, weil es Nummernschilder, Gesichter u.a. "offenbar nur notdürftigst verpixelt" hat (basicthinking.de). +++

+++ Gestern vermeldet (vgl. Altpapier mit Links zu den Gewinnern), heute auch auf deutsch inhaltlich gewürdigt: die frischen Pulitzer-Preisträger. In der Süddeutschen stellt Johannes Boie Ruben Vives und Jeff Gottlieb von der Los Angeles Times vor, die "den wichtigsten Pulitzer-Preis", ja, "den weltweit wichtigsten Preis des Journalismus", den goldenen Pulitzer-Preis for public service gewannen (S. 15). Frei online steht Jordan Mejias' FAZ-Bericht. Und "erstmals siegt" auch ein "Online-only-Text" (TAZ kurz). +++

+++ Ferner befasst sich die Süddeutsche mit der Fernsehübertragung der eingangs erwähnten Traumhochzeit ("In Deutschland übertragen sechs Sender jeweils bis zu zwölf Stunden live, das wären so 2500 Fernsehminuten, es hätten mehr sein können, wenn der Pay-TV-Kanal Sky nicht ausgestiegen wäre. Sky Deutschland und BSkyB wollten die Prinzenhochzeit dreidimensional filmen. Doch das Königshaus, dessen strenge, auf Sicherheit bedachte Medienstrategie der eines G-20-Gipfels gleicht, war not amused..."). +++ In der FAZ weist Jürg Altwegg mit Bedauern auf das neue Buch des Reporter ohne Grenzen-Gründers Robert Ménard hin. "Vive le Pen!", heißt es. Der einst "unermüdliche Kämpfer für die Freiheit der Journalisten" ist jetzt Anhänger der neuen Chefin der rechtsextreme Front National, Marine Le Pen (S. 31).+++

+++ "In welch erniedrigende Abhängigkeit Journalismus gerät, der entweder am Tropf des Staates hängt oder auf die Barmherzigkeit von Spendern angewiesen ist", arbeitet Stephan Ruß-Mohl auf Carta am Beispiel des amerikanischen National Public Radio heraus. Der "langfristig einzig gangbare Weg: Die Leserinnen und Leser davon überzeugen, dass guter Journalismus etwas wert ist, egal ob er auf bedrucktem Papier oder online verbreitet wird." +++ "...Die 'Huffington Post' ist eine Art gehobenes Mittel zur Selbstdarstellung, besser als Facebook. Dort schreiben ja auch Abermillionen, und Gründer Mark Zuckerberg lacht sich kaputt auf dem Weg zur Bank." (Konrad Ege, epd medien). +++

+++ Martin Stadelmaier, rheinland-pfälzischer Staatskanzleichef und vielleicht der relativ einflussreichste deusche Medienpolitiker ist wieder da. Der DPA gegenüber forderte er einen ARD-Jugendkanal (TAZ, mehr bei satundkabel.de). +++ Wer einen neuen Spartensender plant: Spiegel TV (dwdl.de; im ersten Kommentar dazu meint Sebastian Geurtsen: "Wie wäre es mal damit, die bestehenden Spiegel-TV Sender bzw. Zeitfenster mit neuen Inhalten zu füllen. So langsam kenne ich das 3. Reich auswendig..."). +++ Mehr Bein zu zeigen fordert, von sich selbst, als Leseanreiz aufgrund eines Erlebnisses in der "Stadt der Ignoranten, Berlin", die TAZ-Kriegsreporterin, die aber auch auf Philipp Welte und die Wochenendbeilage der Süddeutschen eingeht. +++ Peer Schader bloggt jetzt außer über Fernsehen auch über Supermärkte (faz.net). +++

+++ Schon wieder eine neue Zeit erschienen, heute. Was in der letzten Ausgabe alles an Journalismusjournalismus drinstand (Medienanwalt Christian Schertz "reichlich gönnerhaft", Jens Jessen "beleidigt", "den vernünftigsten Satz in dem Artikel sagt ausgerechnet Regie-Maniac Dieter Wedel"...), hatte sich meedia.de kritisch durchgelesen. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

 

weitere Blogs

Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.