Viel hilft viel

Viel hilft viel

Die Spannungsfelder von heute: technikscheue Hauptstadtjournalisten und die digitale Realität, das öffentlich-rechtliche "Traumschiff" und die globale Realität.

Als hätten die armen Herren und Damen Hauptstadtjournalisten nicht schon Spottschaden genug, müssen sie jetzt noch eine weitere bittere Lektion aus der digitalen Gegenwart lernen: So belanglos sie auch erstmal zu sein scheint, quasi jede Veranstaltung wird heutzutage mitgefilmt. Und ins Internet gestellt, sobald sie einen Peinlichkeitsgewinn verspricht. Jetzt hat Carta zum Erfolgsartikel "Das Unbehagen der Hauptstadtjournalisten mit dem twitternden Regierungssprecher" von gestern auch noch "Das Unbehagen der Hauptstadtjournalisten mit dem twitternden Regierungssprecher - Das Video" veröffentlicht.

Freilich leidet das Filmchen ein wenig unter seiner einzigen Kameraeinstellung, also darunter, dass die mit Twitter fremdelnden Fragesteller nicht zu sehen sind. Andererseits kommt die "zarte Schaumgebremstheit" (schöne Formulierung von Kommentator Jens Würfel) der sich zu Wort meldenden Journalisten akustisch besonders schön herüber.

Ansonsten hat das Textdokument aus der Bundespressekonferenz seine Kreise gezogen. "Geistige Nachhut" nennt Thomas Knüwer, einer der wortkräftigsten Wadenbeißer der Digitalära, die Herren aus der Bundespressekonferenz:

"Journalisten sollen uns die Welt erklären. Sie müssen Dinge einordnen können, Zusammenhänge erkennen. Sie müssen im Rahmen des Fortschritts vorne mit dabei sein. Stattdessen aber zeichnet die Bundespressekonferenz das Bild einer Meute Gestriger, die ohne Wissen und ohne Recherche über eine Technik, die längst weit verbreitet ist, unkundigen Unsinn verbreitet. Sie lehnt diese ab, weil sie neu ist. (...) Sie lehnt diese Technik ab – weil sie neu ist. Diese Menschen sollen die Welt erklären? Nein, das können sie nicht."

Fünf Artikel ähnlich printjournalistischenkritischen Inhalts listet Knüwer unter dem verlinkten auf, ganz dem offiziell regierungssprecherlichen Motto "Viel hilft viel" entsprechend.

Geduldiger erklärt im Tagesspiegel (dem es gar gelang, dem Echtzeitmedium Twitter einen exzellenten Screenshot abzutrotzen) Kurt Sagatz den Kollegen, was Twitter noch mal ist, und spannt damit die frische amerikanische Studie "Who Says What to Whom on Twitter" zusammen, was den Artikel auch für die, die wissen, was Twitter noch mal ist, etwas lesenswert macht. Neu nämlich ist folgende 0,05-Prozent-These:

"Gerade einmal 100.000 Aktive aus den Gruppen Prominente, Medien, Organisationen und Blogger liefern demnach den Stoff, den die rund 190 Millionen Nutzer von Twitter suchen."

Spiegel Online hält gönnerhaft "kleine Recherchetipps für Kollegen in Social-Media-Nöten" parat. Zu denen auch zählt, dass, wer zu doof ist, Twitter zu nutzen, nicht unbedingt zu doof sein muss, um dieselben Nachrichten noch früher bei Spiegel Online nachlesen zu können.

Und meedia.de schließlich wünscht "einigen Hauptstadtjournalisten ähnlich viel Mut", wie ihn der die so gut dokumentierte Pressekonferenz leitende Christoph Steegmans beweise. Dieser Schuh wird kollateral also auch daraus: Wenn schon Bundeskanzlerin Angela Merkel gerade nicht auf dem Feld der Energiepolitik, dann bilden zumindest ihre smarten Sprecher auf dem ähnlich wichtigen Feld der Kommunikation die Avantgarde.

[listbox:title=Artikel des Tages[Twittershow der Bundespressekonferenz (Video)##Tsp. kommentiert##Knüwer kommentiert##Wie man seinen Persönlichkeitsschutz verwirkt (SZ)##Wie man Axel Springer ausstellen sollte (TAZ)]]

Ansonsten ist heute vielleicht noch wichtig, dass der Ernst der Lage auch in den ganz ganz klassischen Programmschwerpunkten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ankommt. Nachdem die Bild-Zeitung gestern meldete, dass die jüngste Folge der ZDF-Reihe "Traumschiff" anders als geplant nicht in Japan angesiedelt wird, und dazu frische Sprüche des Produzenten-Originals Wolfgang Rademann brachte ("Die Storys der Figuren bleiben fast unverändert. Ob die nun in Japan spielen oder in Bali, macht nichts aus"), rief für die heutige Ausgabe auch die Süddeutsche Zeitung Rademann an. Und ergatterte ebenfalls einen originellen Spruch ("'Das wird teuer', gibt Rademann zu, 'aber das ZDF wird deshalb nicht pleite gehen'").

Die Schaffenshöhe des "Traumschiffs" kommt aber doch im Bild-Artikel besser zum Vorschein, der überdies nämlich noch eine - Anekdote darf man's wohlkaum nennen - aus der Produktionsphase des voraussichtlichen ZDF-Weihnachtshighlights 2011, "Traumschiff - Kambodscha" enthält:

"In Kambodscha hatte Rademann Glück im Unglück: Als dort am 22. November beim Wasserfest in Phnom Penh eine Massenpanik ausbrach und mehr als 370 Menschen starben, war er vor Ort. Auf Recherchereise mit dem Produktionschef, dem Regisseur und dem Autor. Rademann: 'Wir waren in der Menschenmasse, haben die Panik aber nicht mitgekriegt. Wir hörten die Sirenen der Krankenwagen, konnten aber vor lauter Menschen nichts sehen.' Sie gingen zurück in ihr Hotel, das gegenüber eines Krankenhauses lag. 'Da ahnten wir, dass etwas passiert sein musste.'"

Solche Ahnungen bilden für den Eskapismus, der im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen so gut gedeiht, den perfekten Hintergrund.

 


Altpapierkorb

+++ Dietrich Leders Nachruf auf den kürzlich verstorbenen Jörn Klamroth, einen unter mehreren Geschäftsführern der ARD-Degeto, bietet die Funkkorrespondenz derzeit frei online: "Als Ironiker war er selbst dann sehr angenehm, wenn er Programme, Sendungen und Filme präsentieren und verkaufen musste." +++

+++ Neues aus der Medienjustiz: Wer der Bunten für 50.000 Euro "Jetzt spricht die Ex-Freundin"/ "Er hat mein Leben zerstört"-Interviews gibt, hat sein "Recht auf Persönlichkeitsschutz verwirkt", so die Süddeutsche vom Kachelmann-Prozess. +++

+++ Neues vom Fernsehsport: Von Gewichtheben bis Eisschnelllauf bleiben die Fernsehrechten an vielen Sportarten weiterhin öffentlich-rechtlich. Die einigen Sports- und Fernsehsportsfreunden wichtige Leichtathletik ist von diesem Vertragsabschluss der ARD/ ZDF-Sportrechteagentur SportA jedoch nicht betroffen (Tsp.). +++

+++ Eigentlich werden in jeder der zahlreichen Besprechungen schlechter deutscher Fernsehfilme wenigstens die "hochkarätigen" Schauspieler gelobt.Insofern auffällig, dass das hier (Tsp.) Mark Waschke, Fritz Karl und Wotan Wilke Möhring, die heute in "Freilaufende Männer" (ARD, 20.15 Uhr) zu sehen sind, mal nicht widerfährt. +++ Aber Björn Wirth von der BLZ (in der ja gestern erst Heinrich Schafmeister vom Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler erklärte, wie schlecht Schauspieler verdienen), der findet nette Worte natürlich nicht nur fürs Werk, sondern auch die Hauptdarsteller. +++ Romanvorlagenautor ist übrigens der vormalige Filmkritiker Gernot Gricksch. +++"Auch die Darsteller tragen ihren Teil dazu bei, dass der Film nicht langweilig wird", heißt es nett in einer Tsp.-Besprechung zu einem am Wochenende bevorstehenden RTL-Film. +++

+++ Auch nicht leicht haben's die, die im Fernsehen für das sorgen müssen, was die Branche angeblich nicht mehr "Klatschvieh" nennt, also Zuschauer in den Studios all der Fernsehshows. Heute seien "Zuschauer gefragt, die sich auch für die konkrete Sendung und ihre Inhalte interessieren". "Warum es immer schwerer wird, klatschende Zuschauer in die Säle deutscher Fernsehshows zu bekommen", erzählt die BLZ heute ausführlich. +++

+++ Für Axel Caesar Springer sei "Israel" "so etwas gewesen wie das rätselhafte Wort 'Rosebud' des Pressezaren Kane in Orson Wells Meisterwerk 'Citizen Kane'"? Rudolf Walther berichtet in der TAZ von einer Frankfurter Diskussionsveranstaltung im Vorfeld einer vom Fritz-Bauer-Institut und dem Jüdischen Museum geplanten Ausstellung über Axel Springer. Und schließt sich dem Historiker Norbert Frei an, der den Ausstellungsmachern riet, "Springers Person und sein Wirken stärker auf die politischen und medienpolitischen Kontexte zu beziehen". +++

+++ Hartmut Ostrowski, Bertelsmann-Chef und Präsentator schöner Geschäftszahlen, würde den 2010 u.a. von ihm unterschriebenen Appell zur Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke, "heute wieder unterschreiben - allerdings mit dem Zusatz, dass die Sicherheit an höchster Stelle steht" (meedia.de von Bertelsmanns Bilanzpressekonferenz; mehr Bertelsmann natürlich in der FTD). +++

+++ Spannend wegen weniger schöner Geschäftszahlen wird's jetzt für die Frankfurter Rundschau. "Die entscheidende Sparrunde" wird "heute in der Kölner DuMont-Zentrale" " eingeläutet" (TAZ kurz). +++ Dass der Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch "technisch keine Möglichkeit" sieht, die Cybermobbing-Seite isharegossip.com "schnell vom Netz zu nehmen", berichtet kurz die FAZ (S. 33). "Die Betreiber, die sich als Firma aus Lettland ausgeben, womöglich aber in Deutschland sitzen, sind bisher nicht gefasst. Die für Internetdelikte zuständige Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main ermittelt." +++ Groß empfiehlt die FAZ auf ihrer heute eher kleinen Medienseite Michaela Meliáns "multimediale Großtat" namens "Memory Loops", weil sie "einen Meilenstein für die Verbindung von Radio und Internet" setze. Diese Großtat ist, anders als  Eva-Maria Lenz' Artikel von , frei online zu haben. +++ Wer sich dafür interessiert, könnte sich auf für 60 Jahre Hörspielpreis der Kriegsblinden interessieren (Funkkorrespondenz). +++

+++ Ein paar weitere Details zur Mobbingklage der ARD-Generalsekretärin bietet epd medien. +++

+++ Und "Ich würde gern mal wissen, wo Ihr eigentlich alle herkommt, Ihr Jura-BWL-Saloppen mit Eurer Angst vor eigenständigem Denken", das ruft TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester beim Vorbereiten ihrer "Ich, das Traumschiff" betitelten Memoiren all den "Jura- und BWL-Studenten mit Grün-hinter-den-Ohren-Abschluss" zu, die jetzt in so vielen Fernsehanstalten Karriere machen. +++
 

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.
 

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