The visionary Voß

The visionary Voß


Neue Wege aus der Medienkrise: Die gut ausgebildete PR übernimmt einfach die Funktionen des Journalismus. Erste Erfolge: bei Stern TV, in Frankreich und beim Prince-Konzert

Na, endlich: Lady Gaga hat über 10 Millionen Facebook-Freunde. Weltrekord, titelt die FTD, zumindest unter den lebenden Facebook-Menschen, der tote Michael Jackson gefällt stolzen 14 Millionen Friends. Dankenswerterweise informiert die FTD auch gleich, wozu Facebook-Freundschaften gut sind:

Mit seinen Facebook-Freunden kann man Mitteilungen austauschen, sich verabreden und über Aktuelles auf dem Laufenden halten.

Die geeigneten Platforms fürs Sich-Verabreden sind im Falle von Lady Gaga und ihren Friends wohl die Konzerte, die die beliebte Sängerin von Zeit zu Zeit veranstaltet. Und "über Aktuelles auf dem Laufenden halten" meint in diesen fürs menschliche Auge nicht mehr zählbaren Zusammenhängen wohl auch nichts anderes als PR vom Management.

Lady Gagas überlieferter Post über das große Glück, Barack Obama friendshipmäßig überholt zu haben – "Lady Gaga thanks all of the little monsters on Facebook who helped her become the first living person with over 10 million friends!" –, nimmt sich jedenfalls aus wie gute Markenpflege: die aktuelle Tour heißt "Monster Ball", passend zum aktuellen – ja, so was gibt's noch – Album namens "The Fame Monster".

Nicht nur die Grenzen von Freundschaft und PR sind fließend, auch die Grenzen von PR und Journalismus, wie dem aktuellen Spiegel (Seite 124) zu entnehmen ist. Der widmet sich der PR-Hochschule Quadriga in Berlin, die zum Helios Media Publishing House des umtriebigen vormaligen Animateurs Rudolf Hetzel gehört.

Quadriga-Präsident ist der vormalige ARD-Vorsitzende und beliebte Lyriker Peter Voß, der seine neue Tätigkeit naturgemäß nicht so dirty sieht wie der selbstkritische Spiegel (Der "Helios-Verlag hat jahrelang die Verleihung des Journalistenpreises "Goldener Prometheus" mitorganisiert. Auch etliche Spiegel-Journalisten wurden dabei ausgezeichnet"):

Da viele Zeitungen und Redaktionen immer weniger Mittel zur Recherche hätten, könne sich die Gesellschaft nicht mehr darauf verlassen, dass der Journalismus die Wirtschaft kontrolliere. Es müssten auch in den PR-Abteilungen der Unternehmen Menschen sitzen, die "begriffen haben, dass letztlich nur Transparenz und Offenheit für Glaubwürdigkeit sorgen."

Das ist doch mal ein Weg aus der Medienkrise, der in die richtige Richtung führt: Weil die Journalisten keine Zeit mehr haben, übernimmt die PR einfach total transparent und glaubwürdig die Informationspflicht.

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Stern TVs Überwachungstipps (FAZ-Fernsehblog)##Französische Pressefreiheit (FAZ)##Billigeres Fernsehen (Berliner)##"11 Freunde" als Erfolgsmodell (TAZ)]]

Wenn es ihn noch gäbe, wir würden Peter Voß sofort für den "Goldenen Prometheus" vorschlagen. Als Gallionsfigur seiner, ja, sagen wir ruhig, Utopie könnte niemand besser taugen als sweet KMH, Katrin Müller-Hohenstein. Die beliebte ZDF-Moderatorin, die sich unter Sprachwissenschaftlern schon Respekt verschafft hat, in dem sie die 1945 kontextlose und damit nicht mehr verständliche ironische Wendung vom "inneren Reichsparteitag" wieder ironiefähig gemacht hat, lebt bereits das, was visionary Voß nur "anmahnt" (Hugo Müller-Vogg).

Vom Spiegel angesprochen auf ihr Engagement als "Schirmherrin" im "Qualitätsbeirat" des Molkereiunternehmens Weihenstephan, erklärte KMH:

"Es war nie meine Absicht zu werben."

Da hat jemand seine Quadriga-Lektion gelernt. Man lässt im elaborierten Segment von PR ja auch nur bezahlen, damit man als ZDF-Moderatorin nebenher noch die Qualität von Molkereiprodukten checkt.

Diese Form des Altruismus in unserer weniger werdenden Gesellschaft verstehen Ewiggestrige Medienjournalisten wie Stefan Niggemeier naturgemäß nicht. Der fragt doch in der FAS von gestern (Seite 25) in Richtung unserer anständigen ZDF-Moderatorin:

Wie dumm kann man eigentlich sein?


Altpapierkorb

+++ Tja, wie dumm kann man eigentlich sein? Die Skala ist, veranschlagen wir hier grob, nach oben hin offen. Ein Beispiel gefällig? Die an sich geschätzte Barbara Sichtermann wartet in ihrer Fernsehkritik im Tagesspiegel zum Film über den Moshammer-Mord in der ARD-Reihe "Die großen Kriminalfälle" allen Ernstes mit der Formulierung auf: "Ein Modezar also mit Neigung zur Unterschicht, warum nicht." +++ Warum nicht? In der Zeit, in der wir über unseren Neigungen zur Frühschicht nachdenken, verweisen wir auf den die ARD-Serie viel umfassender und angemessener würdigendere Rezension von Torsten Wahl aus der Berliner. +++

+++ Zurück zur Ausgangsfrage: Wie dumm kann man sein? Stern TV mit Beinahe-Bundespräsident Günther Jauch hat, wie das FAZ-Fernsehblog ausführt, eine unterkomplexe Software eher unreflektiert gefeiert, die Eltern die Überwachung der Computeraktivitäten ihrer Kinder gestatten soll (epd, wie Stefan Niggemeier berichtet, leider auch). +++ Vielleicht wäre es ratsamer, statt zum IM der eigenen Brut zu werden, sich lieber den Artikel des Psychologie-Professors Steven Pinker im Feuilleton der SZ (Seite 9) durchzulesen. Dort wird daran erinnert, dass neue Medien nicht das Ende der Menschheit bedeuten: "Manche Medienkritiker schreiben, als würde das Gehirn die Eigenschaften von allem übernehmen, was es verarbeitet." +++ Ob Nicolas Sarkozy davon weiß? Der benimmt sich wie ein PR-Berater, den Peter Voß hätte durchfallen lassen: Er schert sich um seine Glaubwürdigkeit einen feuchten Kehricht. In der Samstags-FAZ ist von der Entlassung zweier Komiker beim Radio "France Inter" zu lesen. Dessen Chef, Philippe Val, hat eine beeindruckende Karriere vorzuweisen: "Nachdem Philippe Val, Chefredakteur von 'Charlie Hebdo', den Zeichner und Satiriker Siné wegen eines Beitrags über den Sohn des Staatspräsidenten entlassen hatte, wurde er kurz darauf mit dem Amt des Chefredakteurs von France Inter belohnt - zum Vergleich: ein Redakteur von 'Titanic' wird über Nacht zum Programmchef des Deutschlandfunks, weil Angela Merkel einen publizistischen Dienst in persönlicher Angelegenheit erweist." +++ Dass Sarkozy die Tageszeitung "Le Monde" vorerst nicht von den Leuten übernehmen lassen könnten, die seine Gunst genießen, erzählt die SZ heute noch einmal (Seite 15). +++

+++ Die Erfolgsgeschichte des von G+J übernommenen Magazins "11 Freunde" entfalten TAZ, Spiegel (Seite 55) und SZ vom Samstag (Seite 17). +++ Dass das Fernsehen billiger werden kann, ahnt Peer Schader in der Berliner. +++ Das HB portraitiert die "L'Equipe"-Chefin Marie-Odile Amaury. +++ Die TAZ stellt türkische Partymagazine in Deutschland vor. +++ Der Tagesspiegel sorgt sich um die Fotografen, die beim heutigen Prince-Konzert in Berlin nur kurz und für diesen Anlass, also 40, 50 Euro randürfen. +++ Und der KSTA featured nicht nur die afrikanische Nachrichtenagentur A24 Media, sondern auch den letzten "echten Kerl" des deutschen Fernsehens, den Schauspieler Henning Baum, der allerdings eine merkwürdige Auffassung von seinem eigenen Beruf hat: "Und dann standen da junge, gesunde Menschen, die künstlich Leid erzeugten, weil sie glaubten, erst dann seien sie große Schauspieler. Ich fand schon immer, das so was bloß eine Attitüde ist." +++

+++ In der WM-Kolumne macht Marcus Bäcker in der Berliner Vorschläge zur Jubelbilder-Auswahl, die Peter Voß zugleich schätzen und ablehnen dürfte. +++


Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.
 

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