Sexuelle Gewalt zu oft bagatellisiert

Frauennotruf
Die Sozialpsychologin Petra Klecina vom Frauennotruf in Hannover hat davor gewarnt, sexuelle Gewalt gegen Frauen zu bagatellisieren. Der Umgang mancher Fans mit den Vorwürfen gegen den "Rammstein"-Sänger Till Lindemann sei ein aktuelles Beispiel dafür, dass das Thema in der Gesellschaft noch immer nicht ernst genug genommen werde.

"Teilweise haben sich mir die Haare gesträubt", sagte Klecina im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst. So hätten einige Fans argumentiert, sie seien allein an der Musik interessiert, und die Vorwürfe interessierten sie nicht. Mit solchen Äußerungen werde das Leid möglicher Opfer ausgeblendet.

"Bagatellisierung schützt immer die Täter", mahnte die Sozialpsychologin. "Sexuelle Gewalt wird immer individuell erlebt, aber sie ist ein gesellschaftliches Problem." Nötig sei eine Kultur der Achtsamkeit und des Hinsehens, forderte sie. "Die Statistiken belegen, dass die Gewalttaten gestiegen seien, sowohl im Bereich häuslicher Gewalt als auch im Bereich sexualisierter Gewalt, und das ist auch unsere Erfahrung."

Die MeToo-Bewegung habe dazu geführt, dass mehr Betroffene den Mut hätten, sexualisierte Gewalt anzuzeigen, sagte Klecina, die als zertifizierte Prozessbegleiterin Frauen auch vor Gericht unterstützt. Allerdings schlage die Stimmung in der Gesellschaft schon wieder um. "Die Diskussionen, die die MeToo-Bewegung angeregt hat, sind manchen mittlerweile zu viel."

Neben Aufmerksamkeit für das Thema sei Prävention wichtig, damit Frauen oder Mädchen bewusst werde, dass sie sexuelle Übergriffe nicht hinzunehmen hätten. Gewalt gegen Frauen treffe nicht allein bestimmte Schichten und sei keineswegs nur ein Randthema, betonte Klecina. "Das ist ein Trugschluss." Es könne hilfreich sein, den Frauen Schutz zu bieten und sie zum Beispiel mit Selbstverteidigungskursen zu ermächtigen, sich zur Wehr zu setzen, erläuterte sie. Solche Kurse biete der Frauennotruf in Hannover auch an. Aber zuallererst müsse verhindert werde, dass Täter oder auch Täterinnen überhaupt erst übergriffig würden.

Fragwürdige Frauenbilder

"Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz", betonte Klecina. Wenn also den Frauen unterstellt werde, sie hätten sich zum Beispiel mit Pfefferspray oder einem Selbstverteidigungskurs schützen können, sei dies eine Täter-Opfer-Umkehr. Im Fall von Till Lindemann offenbare sich zudem ein fragwürdiges Frauenbild, wenn es heiße, ihm seien "Frauen zugeführt worden". Ob dies freiwillig oder unfreiwillig geschehen sei, die Aussage sei in jeder Hinsicht fragwürdig. "Wir sind doch nicht im Mittelalter!"